Am Rande eines runden Jubiläums

Von Christine Schweighofer

Ein neues Jahr spornt einen immer wieder nicht nur zur Voraus-, sondern auch zur Rückschau an. Besonders auch dieser Jahresbeginn, denn genau vor vierzig Jahren, am 5. Februar 1981, ist mein Onkel, Julius Gottfried Schweighofer verstorben. Etwa 10 Jahre später – zwei Jahre nach der Wende – begann ich im Historischen Archiv nachzuforschen…

Meine Eltern erzählten, was um 1960 herum passierte, als sie in ihrer Ofner Wohnung eine Hausdurchsuchung durch ein Kommando des Innenministeriums (das gehasste Wort ÁVH oder dann ÁVÓ wurde in diesen Zeiten nicht mehr verwendet, dafür stand das verallgemeinernde, verhüllende Wort BM, die ungarische Abkürzung für das Ministerium des Innern) erdulden mussten. Damals lag ich noch als Wickelkind in meinem Bettchen und auch dort suchten sie unter den Tüchern und Kleidchen nach belastenden Reliquien. Es war nicht das einzige Mal, bei dem es bei uns zu einer Durchsuchung kam – jedes Mal inmitten der Nacht, mit dem Auftakt des schockierenden Klingelns an der Eingangstür. Bei diesen ernsten Gelegenheiten wurde vor allem nach Samisdat, klassenfeindlichen Büchern, Schriften, Aufzeichnungen und Notizheften gesucht, um aufgrund dieser Indizien jemanden von den Anwesenden abzuführen. Einmal hatte meine Mutter sogar gemerkt, dass einer der Eindringlinge – vermeintlich unbemerkt – am Bücherregal herumhantierte und ein zusammengefaltetes Blatt zwischen zwei Bücher schob, um ein Indiz zu kreieren, falls keines zu finden wäre. Als er unter lautem Ruf dieses „Beweisstück“ gerade gefunden haben wollte, entgegnete ihm meine Mutter (sie hatte ja nicht mehr viel zu verlieren, denn sie wurde 1948 mit 17 Jahren, samt ihrem Vater und ihrem Bruder als reaktionäre Klassenfeinde, aufgrund konspirativer Prozesse aus Ämtern und Schulen Ungarns „für ewig“ entfernt und somit nach Vermutung der hiesigen Stasi zu Boden gestreckt) entschlossen, damit es alle mit anhören konnten: „Sie haben es dorthin getan“. Dadurch hat sie das hinterlistige Vorhaben vereitelt, – nicht aber das Vorfinden von echten Indizien. Gefunden haben die WÜHLER nämlich doch schon manches: die bei uns mit einem Teil seiner Bibliothek untergebrachten Aufzeichnungen und Notizhefte meines Onkels, in denen er auch Namen und Adressen seiner früheren Schüler und Pfadfinder aus der Zeit vor 1948 aufgelistet hatte. (Nach Verstaatlichung des Ordenshauses in der Aga-Straße musste er seine mitunter schon wertvolle Bibliothek bei befreundeten Familien, bei Bekannten und Altschülern und das Persönliche davon wie selbstverständlich bei seinem jüngeren Bruder unterbringen. J. G. Schweighofer, als letzter Doktorand des ungarndeutschen Universitätsprofessors Elmar Schwartz1, hatte als Schenkung dessen Fachbibliothek für deutsche Sprache, Literatur und deutsches Volkstum bekommen, bevor Professor Schwartz kurz nach 1945 unter Beraubung seiner ungarischen Staatsangehörigkeit von den Behörden ins westliche Ausland abgeschoben wurde.

J. G. Schweighofer hatte nicht nur im Fachbereich Volkstumsforschung2 der Ungarndeutschen Verdienste. Er war bis zur Verstaatlichung der kirchlichen Einrichtungen eine vielfach gebildete Lehrkraft des Sankt-Emmerich-Gymnasiums der Zisterzienser in Ofen. 1935 absolvierte er nach dem Abitur bei den Benediktinern das Priesterseminar und anschließend die philologische Fakultät der Loránd-Eötvös-Universität in den Fächern Deutsch und Latein und trat bereits als Ordenspriester sein Lehramt im Ofner Zisterziensergymnasium für Jungen an. Er trat gerade dem Zisterzienserorden bei, weil dieser Orden in seiner engeren Heimat, dem Bakonyer Wald, nach der verheerenden Türkenherrschaft auf den ordenseigenen und noch von den Arpaden geschenkten Grundbesitzen für die Neubesiedlung deutsche Siedler, so auch die Schweighofer-Vorfahren, ins Land rief. Pater Gottfried war damals auch ein begeisterter Naturfreund und Pfadfinderleiter. Er führte seine Gruppen auf lange Wandertouren, bei denen er nicht versäumte, den Jungen moralischen Unterricht zu geben.

All diesem Engagement machte die Verstaatlichung der kirchlichen Bildungseinrichtungen, die Zerstreuung der Ordensleute und die Enteignung ihrer Gebäude im Jahre 1950 ein abruptes und schonungsloses Ende. Es folgten für die Ordensleute die undankbaren Zeiten der Zerstreuung. Die meisten Betroffenen wollten damals gar nicht glauben, dass die neue vermeintlich provisorische Herrschaft Jahrzehnte lang andauern wird. (Typisch für diese Haltung: Ein Pfadfinderleiter schleppte um die Mitte der siebziger Jahre einmal eine sehr lange Stange in seinen Schrebergarten und auf die aufgeregte Frage seiner Frau, was er damit wolle, antwortete er: Die wird der Fahnenmast beim Gelübde der neuen jungen Pfadfinder auf diesem Grundstück sein.) Genauso pflegten die Zisterzienser wie viele andere Vertreter der verschwindenden christlich-bürgerlichen Welt den Gedanken, die kommunistische Ära sei wie eine Kinderkrankheit nur etwas Vorübergehendes.

Julius Gottfried Schweighofer stand vor der Öffentlichkeit nur noch als Julius Schweighofer ohne Brot und Unterkunft da – nicht nur seines Ordensnamens, sondern auch fast aller seiner Habseligkeiten beraubt, nicht aber seiner Ordensweihe und seines Priestertums, dem er zeitlebens treu geblieben ist. Vom finsteren Jahr 1950 an wohnte er zu billigen Untermieten und verdiente durch Fensterputzen im Priesterseminar das Nötigste. Ihm war ja, wie seinen Weggefährten nach der Verstaatlichung, verboten, sowohl als Priester als auch als Lehrer tätig zu sein. Was er aber nie aufgegeben hat: das Zelebrieren der Heiligen Messen, jeden Tag auf seinem Zimmer in der Ménesi-Straße, das im Winter nur ganz spärlich beheizt war! Mit Hilfe eines seiner alten Schüler gelang es, ihm eine Lehrerstelle in Aszód zu finden. Von da an fuhr er jeden Schultag – jahrelang – bis Mitte der 1960er nach Aszód hin und zurück, um zu unterrichten. Man könnte wohl fragen, warum er darauf beharrte, unter unfreundlichen Umständen in Ofen zu wohnen und die weiten Fahrten auf sich zu nehmen: Er tat es in Treue zu seinem Orden und zu dessen Gymnasium. Er tat dies auch dem Wort seines, in den Kerkern von Rákosi brutal gefolterten Abtes, Vendel Endrédy (SOCist * 1895 – † 1981) folgend. Der Zisterzienserabt unternahm im Jahr der Zerstreuung bekanntlich Folgendes: Er teilte seine Söhne in zwei Gruppen – die eine bekam den Auftrag über Rom nach Amerika zu fliehen und in Dallas bei der Errichtung eines neuen Klosters3 mitzuwirken. Die zweite Hälfte der Ordensbrüder verblieb auf das Wort des Abtes hin zu Hause, und zwar womöglich in der Nähe des verstaatlichten Gebäudeensembles von Ordenshaus und Gymnasium, um bei dem Wiederaufbau mitzuhelfen, wenn die kommunistische Macht ein Ende nimmt und ihre Gebäude zurückgegeben werden. Mein Onkel kam 1950 in die zweite Gruppe, deren jüngere Mitglieder noch die praktische Aufgabe hatten, die durch die Stacheldrahtgrenze Richtung Österreich Fliehenden durch den Wald über die Grenze zu begleiten. Durch seine Erfahrungen bei den Pfadfindern war mein Onkel für diese spezielle Aufgabe besonders talentiert, und zwar in dem Maße, dass kein Einziger von den ihm Anvertrauten – nach Aussagen der Zeitgenossen – vom Grenzmilitär erwischt wurde. Und in Dallas steht seit Jahrzehnten das neue Zisterzienserkloster.

Zurück aber in unser Zimmer auf der Béla-Bartók-Straße, wo 1960 meine Mutter gerade bestrebt war, die Situation zu retten: Nachdem die Stasi-Leute die bei uns heimlich untergebrachten, ihn und meine Eltern kompromittierenden Reliquien von Onkel Julius doch gefunden hatten, nahmen sie meinen Vater ins Gefängnis in der Gyorskocsi-Straße mit. Er versuchte zwar für seinen Bruder durch eine Ausrede einzutreten, indem er beim Verhör behauptete, der verdächtige Fund gehöre ihm, doch nahm man seine Worte für keine Sekunde ernst und er wurde am nächsten Morgen wieder freigelassen. (Er war wohl an seinem Arbeitsplatz in einer damals noch kriegswirtschaftlichen Fabrik als begabter junger Ingenieur, wenn auch kein Parteimitglied, für das Regime eine unentbehrliche Fachkraft.)

J. G. Schweighofer wurde nicht verhaftet. Nein, keineswegs, denn er war auf freien Füßen kostbarer. Eine Zielscheibe mit sogar zwei Treffern, wenn nicht sogar drei: Erstens ein vermeintliches Bindeglied zu seinen katholischen Mitbrüdern, zweitens bei der Beobachtung der nach wie vor „verdächtigen“ Minderheit der Ungarndeutschen und drittens war seine Person schon seit den Vorkriegsjahren mit dem christlich-bürgerlichen Milieu von Sankt-Emmerich-Stadt4, Szentimreváros, in Ofen durch sein Lehramt am Zisterziensergymnasium und seinen Wohnsitz im – nach 1950 in ein koedukatives Kinderheim umfunktionierten und nach der Wende dem Orden wiedergegebenen – Ordenshaus in der Aga-Straße ansässig geworden. Als Lehrer und Priester gab er nach seinen Ordens- und Lehramtspflichten auch Jugendlichen fakultativen Religionsunterricht, auch begleitete er Pfadfinder aktiv. Ja, der dritte Treffer der Stasi war gelandet, indem eine prominente Person in Sankt-Emmerich-Stadt nunmehr fast gewaltlos denunziert und somit ausgeschaltet werden konnte.

Als es meinem Onkel klargeworden ist, dass jemand ihm stets folgt, sein Zimmer in seiner Abwesenheit durchsucht, seine Telefonate abgehört werden, sah er keinen anderen Weg, um dem Orden, seinen Vorstehern, Mitbrüdern und Schülern wie auch seinen ungarndeutschen Landsleuten nicht zu schaden, als dass er zu sämtlichen Personen, welche nach seiner Erwägung die neuen Machthaber interessieren würden, jeglichen Kontakt abbrach. Von da an mied er persönliche Treffen, besonders auch innige Gespräche mit Menschen, die seines Erachtens in den Augen der Behörden als „verdächtig“ vorkämen. Er ging auf die andere Straßenseite hinüber, wenn er einen Lehrerkollegen entgegenkommen sah. Er besuchte seinen ältesten Bruder Johann kaum mehr, nur noch in Anwesenheit anderer Familienmitglieder. Der älteste Schweighofer-Sohn war ebenfalls dem Zisterzienserorden beigetreten und diente für Julius als Vorbild. Er nahm es Julius sehr übel, bekam aber keine Erklärung für dieses Verhalten.

Nicht einmal die engsten Familienkreise wussten von den psychischen, mitunter physischen Attacken, denen er zwischen 1950 und 1967 stets ausgesetzt war. Unsere Stasi gab nicht auf, irgendwelche Informationen durch seine Person zu erwerben. Wie es ihr gelungen ist, konnten wir erst nach dem Tod meines Onkels erfahren. Anfang Februar 1981, schon schwerkrank im Krankenhaus, diktierte er einer vertrauten Ordensperson einige Details bezüglich seiner langjährigen Belästigung durch die Stasi. Aus dieser Erinnerung wurde uns klar, dass unter den ganz wenigen Menschen, zu denen er nach wie vor Kontakt hielt, es etliche gab, die zu einer Mitarbeit mit den BM-Leuten bereit waren.

Um die Mitte der neunziger Jahre ging ich zum ersten Mal ins Historische Archiv, – ins Stasiarchiv Ungarns. Den Anlass gaben die – für uns als Vermächtnis geltenden – letzten Worte meines Onkels, die er in seinem Sterbebett diktiert hatte. Da wurde es mir erst klar, warum er kaum über seinen Orden, seinen Abt und seine Ordensbrüder, aber auch kaum über das Deutschtum in Ungarn gesprochen hat. Er hielt es einfach für gefährlich und seine Nächsten wollte er ja auf keinen Fall Gefahren aussetzen.

Erst 1967 bekam er endlich eine Lehrerstelle in Budapest im Lajos-Kossuth- Gymnasium bekommen, wo er sich dann mit Unterstützung von Direktor Martin Thomann beim Starten eines Nationalitätenklassenzuges mit deutscher Unterrichtssprache wieder engagieren konnte. In diesem Jahr haben die Behörden auch mit den Belästigungen aufgehört und ihn endlich in Ruhe gelassen.

Unmittelbar nach seinem Tod mit 63 Jahren, also im Februar 1981, erfuhren wir erst, welchen Behelligungen er Jahrzehnte lang als Ordenspriester und Volkstumsforscher ausgesetzt war. Wie selbstverständlich wollte ich auf meine dringende Frage Antworten bekommen, wie das geschehen konnte, wer daran Schuld hatte. Für eine Weile waren uns noch weitere Informationen verschlossen.

Ende der neunziger Jahre sind die Stasi-Akten allmählich und bruchweise zugänglich geworden. Da stellte ich meinen Antrag und ich durfte in manche Akten, die Meldungen über meinen Onkel beinhalteten, Einsicht gewinnen. Es gab beinahe einhundert Seiten von Meldungen, die diverse Informelle Mitarbeiter – Spione – verfassten, allerdings immer unter Kontrolle und auf thematische Anleitung eines Geheimdienstoffiziers hin. Jeder Spion wurde in den Akten nur unter einem Decknahmen geführt: Die wahre Person ließ sich manchmal nur aus dem Kontext heraus folgern. Nun wollte ich wissen, wer die Personen mit den echten Namen sind, die diese langen Meldungen geschrieben und damit zur langjährigen Belästigung meines Onkels ihren Beitrag leisteten. Bekanntlich hat das Historische Archiv hierfür ein Standardformular, das auszufüllen ist, um die Bekanntgabe der Familien- und Vornamen der Spione und ihrer Vorsteher, der Geheimdienstoffiziere, zu beantragen. Nach etwa zwei Wochen wurde mir schriftlich mitgeteilt, keine der Personen mit den von mir angegebenen Decknamen könnten identifiziert werden.

Anfang der 2000er Jahre, als die Medien berichteten, ein ansehnlicher Teil der Geheimakten sei bereits aufgearbeitet worden, stellte ich wiederholt den Antrag mit einer ähnlich langen Namensliste. Diesmal wurden einige Namen genannt, die einerseits aus dem Kontext heraus feststellbar waren, andererseits die echten Namen von involvierten Zivilisten, nicht aber die Personalien ihrer Auftraggeber und Aufseher, also der gemeinen Mitarbeiter, Abteilungsleiter und Geheimdienstoffiziere, nicht gesprochen von den höher positionierten Stasi-Offizieren. Das heißt, keiner der Berufsspione wurde beim Namen genannt.

Um diese Zeit hieß es auch in den Nachrichten, viele Akten seien in einem entstandenen Feuer zerstört worden.

Das war für mich der Punkt Null. Hier angelangt fand ich fortan sinnlos weiter zu forschen. An diesem Punkt ging es für mich nicht mehr weiter: Es hat ja keinen Sinn, weitere Meldungen zu lesen, bei denen der Auftraggeber oder aber der Adressat im Geheimen bleibt.

An diesem Punkt Null angelangt, dabei in Kenntnis einiger Akten, musste ich zwangsweise eine Bilanz ziehen: Ich habe fast ausschließlich die kleinsten Kettenglieder der höllischen Maschinerie ausfindig machen können; ich kann darauf überhaupt nicht stolz sein, denn es geht in ihrem Fall faktisch um Zivilisten. Es gibt unter ihnen auch prominente Leute, die durch ihre menschlichen, oft auch mentalen oder körperlichen Schwächen oder aber wegen ihrer Umstände einfach mehr fehlbar als ihre Mitbürger und daher erpressbar waren. Wie selbstverständlich gab es unter ihnen welche, die einer ersehnten Karriere zuliebe zur „Mitarbeit“ bereit waren. Sie waren zugleich aber auch Verräter, da sie mit meinem Onkel befreundet oder sogar verwandt (wenn auch nicht blutsverwandt) waren. Ein Verrat war es schon, auch wenn dabei auch eine Drohung oder ein Versprechen, je nach dem, ausreichend war, den involvierten Agenten oder die Agentin zu motivieren. War jemand wegen seiner menschlichen Schwäche oder aber der allzu großen Rosinen im Kopf erpressbar, fiel er der Stasi leicht zum Opfer. Wessen Opfer konkret mein Onkel war, das konnte ich im Historischen Amt niemals erfahren, der Terror ist gesichtslos geblieben. Nirgends waren die Berufsspione zu finden. Man hat den Eindruck, als ob nicht nur Geheimdienstoffiziere hierzulande wunderbare Tarnkappen hätten, sondern auch das ganze Korps der Stasi für immer unsichtbar bleiben werde. Wäre es möglich, dass die berüchtigte Behörde auch noch nach ihrer Auflösung die Macht hätte, Opfer und psychisch missbrauchte Zivilisten gegeneinander aufzuhetzen und so die Zivilgesellschaft zu untergraben? Die Involvierten waren Ärzte, Pädagogen, Redakteure, Schauspieler – Intelligenzler also, die durch ihre Bildung und gesellschaftlichen Kontakte imstande waren, die gewünschten Meldungen zu präsentieren. Dabei weisen allerdings diese Meldungen oft sehr laienhafte Kenntnisse auf, wenn ein Ingenieur etwa über Volkskunde oder eine vor dem Ceaușescu-Regime Geflüchtete über ungarndeutsche Dörfer berichten musste. Was noch zwischen den Zeilen eindeutig hervorgeht, ist, dass die Verfasser der Meldungen unter einem enorm großen mentalen Druck standen. Einmal wurde von ihnen erwartet zu schreiben, was in den konzipierten Plan der Besteller passt, andererseits wurde ihnen vorgeworfen, keine selbstständige und engagierte Arbeit zu leisten. Ich las auch ein Geständnis von einem zusammengebrochenen jungen Mann, der unter Tränen schwur, in der Zukunft voll und ganz den Erwartungen seines Geheimdienstoffiziers gerecht zu werden. Der hielt sein Wort, die Belohnung blieb auch nicht aus: Der junge Mann bekam um 1964 eine Stelle an einer ungarischen Botschaft.

Erpresste Opfer des Regimes sollten daher auch nicht unbedingt freigesprochen werden.

Sie waren zu tief in ihre eigene Vergangenheit verstrickt, gefangen in dem Netz, das sie selbst gesponnen mit den Fäden ihrer umwegigen Logik und umwegigen Ethik;”

Arthur Koestler: Sonnenfinsternis

Fußnoten:

  • Elmar Schwartz war der Sohn des Rotenturmer Oberlehrers Josef Schwartz. Er besuchte das Gymnasium in St. Gotthard. 1907 trat er in den Zisterzienserorden ein und studierte an der Budapester Universität Deutsch und Latein. 1914 promovierte er zum Doktor der Philosophie mit einer Arbeit über die Lautlehre der deutschen Mundart zwischen Raab und Lafnitz. Er unterrichtete einige Jahre am Ordensgymnasium in Budapest und ging dann an die Universität München. 1934 wurde er Professor für deutsche Sprache und Volkskunde an der Pázmány-Universität in Budapest, wo er das Institut für deutsche Sprachwissenschaft und Volkskunde gründete. 1945 wurde Elmar Schwartz aus Ungarn vertrieben. 1950 erhielt er eine Berufung an die internationale katholische Universität in Löwen, wo er bis 1961 als Professor für deutsche Sprache wirkte. Werke: Die deutschen Ortsnamen Westungarns (1932); Die deutschen Ortsnamen des Burgenlandes (1934) (Quelle: http://www.atlas-burgenland.at)

  • Julius Gottfried Schweighofer: Siedlungsgeschichte und Mundart von Deutschtewel/Nagytevel – Textbetreuung und –Ergänzung des Manuskripts durch den Freund Professor C. J. Hutterer und posthum hrsg. von Prof. K. Manherz in der Serie Beiträge zur Volkskunde der Ungarndeutschen 1991

  • 1947 übernahm die Abtei Sirtz/Zirc (die sich besonders der Erziehung der Jugend widmet) die Paternität über das Priorat Spring Bank, wohin Mönche der Sirtzer Kongregation Zuflucht genommen hatten, die unter kommunistischem Druck Ungarn hatten verlassen müssen. Später zogen sie nach Dallas, Texas, wo sie sich an der Gründung der Katholischen Universität und einer neuen Abtei beteiligten (Our Lady of Dallas, 1963). Die Kongregation in Ungarn, die ursprünglich aus der Abtei Sirtz mit ihren (damals) sieben Prioraten bestand, wurde am 8. September 1950 vom kommunistischen Staat unterdrückt und konnte erst 1989 offiziell wieder in Erscheinung treten. (Quelle: Biographia Cistserciensis/Cistercian Biography online)

  • Sankt-Emmerich-Stadt wird auch heute der zentrale Teil von Újbuda (Neuofen) – der 11. Stadtbezirk von Budapest – genannt. Die Bezeichnung datiert ab 1930, dem von der ungarischen katholischen Kirche verkündeten Sankt-Emmerich-Jahr. Dieses Stadtviertel kennzeichnete eine oftmals durch bairisch-österreichische Wurzeln mitbestimmte christlich-bürgerliche Weltauffassung und Haltung. Die beiden, zwischen den zwei Weltkriegen von geistlichen Orden erbauten großen Gymnasien – das Sankt-Emmerich-Gymnasium der Zisterzienser für Jungen und das Sankt-Margarete-Gymnasium der Redemptionistinnen für Mädchen – sorgten für eine solide Erziehung der Jugend auf der Basis von Moral und Wissen. Die Familie Pöschl – Mädchenname meiner Mutter – war tief verwurzelt in diesem Milieu. Sie und ihre Schwester lernten bei den Schwestern, ihr Bruder bei den Zisterziensern. So kam es zu dem Fall, dass mein Onkel väterlicherseits meinen Onkel mütterlicherseits etwa vier Jahre lang in Deutsch und Latein unterrichtete. Die Sankt-Emmerich-Stadt – damals für ein größeres Gebiet geltend – war besonders ein Dorn im Auge der Kommunisten. Sie schonten kein Mittel, dieses Milieu zu zerschlagen und seine Bewohner zu denunzieren.

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