Loránt Tilkovszky (1927–2021)

Ein Nachruf von Prof. Dr. Zoltán Tefner zum Tode des ungarischen Historikers

Die ungarische und deutsche wissenschaftliche Welt hat am 13. Januar d. J. vom Tod von Prof. Dr. Loránt Tilkovszky erfahren. Alle, die mit dem Herrn Professor Tilkovszky in persönlichem Nexus standen, sowie diejenigen, die mit ihm im Bereich der Geschichtswissenschaft zusammenwirkten, sind tief betroffen, sind fassungslos und unendlich traurig. Ein Wissenschaftler von hohem beruflichen Engagement ist wieder von uns gegangen.

Aber auch in den Tagen der Trauer können wir uns nicht seiner lustigen, lebensbejahenden Persönlichkeit entfesseln. „Horas non numero nisi serenas”, „wir zählen nur die heiteren Stunden”, sagten die alten Römer, als sie einen beliebten, für die eigene Gemeinschaft nützlich agierende Persönlichkeit verloren hatten. So eine von diesen Persönlichkeiten war Professor Loránt Tilkovszky. Ich hätte nie daran gedacht, als wir uns 2015, zusammen mit Professor Bradean-Ebinger, in der Straßenbahnhaltestelle am Budapester Hauptzollamtsplatz (Fővám tér) – mit Regenschirmen in der Hand – lange über das Ungarndeutschtum unterhalten haben, dass ich jemals einen Nekrolog über ihn schreiben werde. Es rieselte, dennoch schienen die Fragen des Fachbereiches, die aktuelle Lage der Deutschen in Ungarn ihm wichtiger als der persönliche Komfort zu sein. So, als ein die Verantwortung entschlossen annehmender Wissenschaftler bleibt er in meinem Gedächtnis für die kommenden Zeiten ohne ihn eingebrannt.

Er ist am 19. März 1927 in Budapest geboren. In einer madjarischen Familie. Was ihn dem donauschwäbischen Globus so innig nah brachte, das kann ich, der ihn persönlich nur flüchtig kannte, nicht einmal vermuten. In den ersten Jahren nach seinem Eintritt in die Welt der ungarischen Wissenschaft schien er sich von den deutschen Themen noch nicht angezogen zu fühlen. Der Bauernaufstand im Jahre 1831, weiterhin das agrarwissenschaftliche Schaffen von János Balásházy, seine früheren Werke gehören nicht zur Branche der – wie man scherzhaft sagt – „Schwabologie”. Etwas näher zum Thema Ungarndeutschtum stand die Biographie über Pál Graf Teleki, den Ministerpräsidenten, der wegen der deutschen Jugoslawien- und Ungarnpolitik 1941 in so tiefen Konflikt mit dem Dritten Reich geriet, dass er – wie allgemein bekannt – Selbstmord begangen hat. Dann kamen seine vielseitig komponierten Zeitungsartikel, Fallstudien, Monographien über das Ungarndeutschtum zur Welt. Irgendwann zu Anfang der 1970er Jahre setzte er das Zentrum seiner Forschungsperiode auf das 20. Jahrhundert. Den vielleicht ersten, alles entscheidenden Schritt hat er in diese Richtung mit der Arbeit „Nationalitätenpolitische Richtungen in Ungarn in der gegenrevolutionären Epoche (1919-1945)” im Jahre 1975 getan. Seit 1982 an der Universität Fünfkirchen tätig, 1985 Mitglied des „Komplexen Ausschusses für die osteuropäischen Nationalitäten” der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA), in demselben Jahr Mitgliedschaft in dem „Tschechoslowakisch–Ungarischen Historikerausschuss”, 1987 „Landesausschuss der Nationalitäten der TIT” – eine steil emporsteigende Lebensbahn in der Welt der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens.

Und seine Werke in den heiklen Forschungsbereichen wie der SS-Werbung, außerdem die Veröffentlichung des Buches „Ez volt a Volksbund. A német népcsoportpolitika Magyarországon 1938–1945 [„Das war der Volksbund”], Kossuth Könyvkiadó, Budapest, 1978.” Die Reaktionen auf die angeschnittene Thematik ließen einen heftigen Wellengang in der Öffentlichkeit auslösen. Hierzulande und außerhalb der Grenzen, in der Gemeinschaft der Heimatvertriebenen. Sine ira et studio – diese Weisung der alten Römer stößt nicht in allen Fällen auf ein Gefallen der Allgemeinheit. Der Historiker hat aber nur eine einzige Pflicht: die Unbefangenheit. Leopold von Ranke: „…nicht das Amt die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, sondern bloß zu zeigen, wie es eigentlich gewesen”. Tilkovszky war ein Mann, der samt allen Zeitgenossen in der Mannschaft auf dem Feld der Geschichtswissenschaft die Ranke’sche Methodik überwunden hat – er deutete die Vergangenheit an, belehrte die Kollegen und das Publikum, aber das Allerwichtigste war für ihn die Unbefangenheit der Geschichtsschreibung. Und das Publikum, die Leser spüren immer, wenn sie aufrichtig angeredet werden. Einmal, vor vielen Jahren, kurz vor seinem Tod hat mir Paul Ginder in Stuttgart gesagt: „Weißt du, damals, als er [Tilkovszky] das erste Mal zu uns nach Deutschland kam, sahen wir ihn an, als wäre er von Ceylon oder vom Mond gekommen. Heute sieht es schon alles anders aus. Wir kamen darauf, dass er nicht ins Blaue redet.”

Ein höchst erfahrener, mit dem ganzen Vorrat der Technik ausgerüsteter Mitspieler ist wieder ausgeschieden. Mit seinem Tod wurde das Team schwächer. Wir behalten ihn in unserer Erinnerung.

_______________________________________________________________________________________________

Bild: https://www.sulinet.hu/oroksegtar/data/magyarorszagi_nemzetisegek/nemetek/nemet_nemzetiseg_magyar_hazafisag/pages/000_konyveszeti_adatok.htm

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!