Reisenotizen: Niederlausitz – Dolna Łužyca

von Richard Guth

Kaum die Autobahn verlassen begegnet einem eine Landschaft, die an die Große Ungarische Tiefebene erinnert: Wiesen und Felder, abwechselnd mit Waldstücken, flaches Land, soweit das Auge reicht und zweisprachige Schilder, oben auf Deutsch, darunter in kleinerer Schriftgröße in einer Sprache, die an Polnisch erinnert. Wir befinden uns in der Niederlausitz und die Sprache ist (Nieder-)Sorbisch.

„Nein, die Menschen, die hier wohnen, heißen Wenden, Sorben findet man weiter südlich – in Sachsen, in der Oberlausitz”, korrigiert mich meine Gastgeberin in einem kleinen Ort im Spreewald-Neisse-Kreis. Sie selbst ist Zugewanderte aus Cottbus, ihre Mutter stammt aus dem Erzgebirge, was sich im Gespräch mit Mutter und Tochter im Nachhinein herausstellt. Die Tochter berichtet, dass die Kinder Sorbisch heute in der Schule lernen würden, aber dass die Sprache heute nur noch von wenigen gesprochen würde. Sie selbst stamme väterlicherseits aus diesem Dorf und erinnere sich an Verwandte, die die Sprache noch zu Hause gesprochen hätten. Auch eine andere junge Dame, die ich auf der Straße mit ihrem Sohn im Kindergartenalter treffe, bestätigt diese Informationen: Sie ist nach eigenen Angaben auch Rückwandererin; ihre Großeltern mütterlicherseits hätten hier gewohnt. Sie spricht vom Sorbischunterricht in der Schule (was sich in den ersten Jahren auf die Vermittlung von Grundkenntnissen im Lesen, Schreiben und Rechen erstrecke) und vom Verschwinden des Sorbischen aus den Familien in einer Gegend, die schon immer multiethnisch war.

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass der Mann unserer Gastgeberin, ein Landwirt, Nachkomme von Heimatvertriebenen aus Niederschlesien ist, die nach 1945 in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone gestrandet sind. In den Anfangsjahren nach dem Krieg – das erfahre ich in einer Ausstellung im Marstall des ehemaligen Fürstenschlosses von Pückler-Muskau in Branitz – waren 40 % der Bewohner des Kreises Cottbus Heimatvertriebene.

Aber nun zurück zu den Sorben: Vor knapp 30 Jahren, als ich noch das Gymnasium besuchte, fielen mir alte Deutsche Kalender aus der Vorwendezeit in die Hände. In diesen Kalendern wurde mehrfach über die sorbische Minderheit in der DDR berichtet. – durchweg positive Berichte, fokussiert auf das Folkloristische. Die DDR erscheint dabei als sozialistisches Bruderland, das eine mustergültige Minderheitenpolitik betreibt. Zur damaligen Zeit – so wie Ungarn, eigentlich schon immer!

Unsere Reise führt uns durch die Dörfer der Niederlausitz und des Spreewaldes. Die Landschaft, die Häuser, die nicht durchweg aufgeräumten Höfe, die auch ihren Charme haben, erinnern einen an Polen. Und dabei diese akkurat zweisprachig gehaltenen Orts- und Straßenschilder! Preußisch konsequent und fast schon verdächtig idyllisch! Nicht so die kommerzielle Beschilderung, denn diese ist bis auf ganz wenige Ausnahmen deutsch. Ich kehre in einen Geschenkeladen ein und komme mit einer Endfünfzigerfrau ins Gespräch. Sie findet die Schilder auch schön und es hätte sich seit der Wende Einiges getan: In den Schulen würde man wieder Sorbisch unterrichten. Vorbei die Zeiten, wo die Kinder ins Nachbardorf gemusst hätten, wegen zwei Stunden Sorbischunterricht! (Ähnlich klingende Erzählungen kennt man auch aus Ungarn: Deutschstunden außerhalb des Vormittagsunterrichts!) In der DDR habe man die Sorben zwar nicht unterdrückt wegen ihres Sorbischseins, aber auch nicht sonderlich gefördert. Aber es gebe nur noch ganz wenige Familien, in denen Sorbisch die Umgangssprache sei und nennt ein paar Orte in der Umgebung, aber in denen liege die Zahl dieser Familien überall deutlich unter zehn. Auch ihr eigener Lebensweg scheint den Weg der sprachlichen Assimilierung zu zeigen: Ihre Eltern und Großeltern hätten mit ihr und untereinander sorbisch gesprochen, aber sie habe deutsch geantwortet. (Zweite Übereinstimmung mit uns Ungarndeutschen!) Die Generation der Muttersprachler sterbe aus, so das Fazit der Frau. Mich interessiert auch, wie es um die sorbischsprachige Seelsorge bestellt sei – sie sagt, dass es sorbische bzw. wendische Messen gebe, zum Beispiel an Ostern, aber nicht regelmäßig. (Eine weitere Übereinstimmung!) Merkwürdig! Trotz Schildern, die hier in diesem Ort noch zahlreicher sind und sich auch auf Fahrradständern und Wegweisern finden!

Wirtschaftlich hat der Landstrich nach ihrem Eindruck den Tiefpunkt überwunden – nach Werksschließungen und dem Zusammenbruch der LPGs Anfang der 1990er Jahre herrsche jetzt vielmehr Arbeitskräftemangel (nicht zuletzt wegen der massiven Abwanderung in der Vorjahren). Die beiden größten Arbeitgeber heißen „Vattenfall“ –  mit ihrem umstrittenen Braunkohletagebau -und „Deutsche Bahn“. Aber gerade in der Region rund um Lübbenau spielt nach ihren Angaben der Tourismus eine große Rolle, der jetzt nach der Corona-Zwangspause allmählich wieder erwacht.

Diesen Eindruck teilt auch ein Herr Mitte 50, der als Kahnfahrer in Lübbenau auf Gäste wartet. Sorbisch? Ja, ein paar Brocken könne er, manchmal schimpfe er während der Fahrt, was die Gäste aus aller Herren Länder eh nicht verstehen würden. Aber leider auch Einheimische aus der Niederlausitz immer weniger!

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