Dr. Friedrich Wild vor 30 Jahren gestorben – UNSER FRITZI-BATSCHI

Von Georg Krix

Als erster Generalsekretär des 1955 vom ungarischen Staat bzw. dessen Partei gegründeten DEMOKRATISCHER VERBAND (ursprünglich Kulturverband) DER DEUTSCHEN WERKTÄTIGEN IN UNGARN war er für die Schwaben in Ungarn, also für die Ungarndeutschen immer und überall nur – so ganz einfach, volkstümlich und freundschaftlich – der Fritzi bácsi, UNSER FRITZI-BATSCHI.

Dr. FRIEDRICH WILD war Wortführer der Ungarndeutschen 18 schwierige sozialistische Jahre hindurch. Er wurde am 5. November l910 zu Bad Borseck/Borszék in Siebenbürgen geboren.

Über seinen Geburtsort Bad Borseck wissen wir, dass dies ein sehr berühmter Badeort und auch – eben dank dem Heilwasser – ein wichtiges touristisches Zentrum war und ist; dass 1850 auf dem Gebiet der heutigen Stadt 320 Personen, darunter 144 Ungarn, 104 Deutsche und Juden und 67 Rumänen lebten. Bis 1880 war die Zahl der Bewohner auf 1116 und im Jahre 1910 auf 1862 gestiegen, doch da gab es neben 1702 Madjaren noch 126 Rumänen, jedoch nur mehr 10 Deutsche. Bei der Volkszählung 2002 wurden keine Deutschen mehr verzeichnet. Über die Eltern von Wild und seine Jugendjahre liegen uns leider keine Angaben vor. Er selber hat darüber – meines Wissens – nie erzählt.

Kurz über seinen Lebenslauf:

Als Bildung/Beruf führte er den Titel: Gymnasiallehrer, Dr. phil. Doch ihm Nahestehende wollen erfahren haben, dass Wild vor dem Krieg im legendären „Pazmaneum zu Wien“ studierte, schließlich sollte er ja Priester werden. Auf jeden Fall promovierte er in Wien als Theologe! Dieser Umstand ist dem ungarischen Staatssicherheitsdienst bestimmt nicht unbekannt geblieben, ebenso die Tatsache, dass er nach dem Krieg aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Ungarn (nicht in das heimatliche Siebenbürgen!) heimgekehrt ist. Dennoch konnte er unbeschadet ein neues Leben beginnen, was – damals und auch im Nachhinein – Spekulationen aufkommen ließ, welche Gegenleistungen wohl dafür von ihm ungarischerseits eingefordert wurden.

Wild hat – dank seinen Rumänischkenntnissen – vorerst mal sieben Jahre in Jula/Gyula, Grenzstadt zu Rumänien und mit teils Einwohner rumänischer Nationalität, als Direktor des dortigen rumänisch-sprachigen Balcescu-Gymnaiums verbracht. Dann wurde er 1954/55 als leitender Universitätslektor in Weißbrunn/Veszprém angestellt. Schließlich beherrschte er ja sieben (oder mehr?) Sprachen: Ungarisch, Deutsch, Rumänisch, Italienisch, Französisch, Russisch und Latein.

Zur Lage der deutschen Minderheit in den Nachkriegsjahren

Schon in all diesen Jahren verfolgte er aufmerksam das Dasein und die Entwicklung der in Ungarn lebenden ethnischen Minderheiten. Die Südslawen (Kroaten, Serben, Bunjewatzen etc. inbegriffen), die Slowaken und Rumänen hatten schon gleich bei Kriegsende ihre Nationalitätenverbände gründen können. Nicht so die Deutschen, die zu dieser Zeit noch auf der Anklagebank saßen und als Vaterlandsverräter noch ihrem Urteil harrten. Nachdem sie Hab und Gut und somit ihre Heimat (durch Vertreibung und Zersiedlung) verloren hatten und schließlich zahlenmäßig sehr zusammengeschrumpft waren, dauerte es noch Jahre, bis man auch sie als vollwertige Bürger Ungarns anerkannte, wobei jedoch bereits Ende 1948 die zur Macht gekommenen Kommunisten die Vertreibung als abgeschlossen erklärten und mit der Verordnung 84/1950. M.T. die Entrechtung der im Land befindlichen Deutschen aufgehoben wurde. Gleich in diesen Tagen wurde Dr. Wild, dessen sächsische Abstammung bekannt war, ersucht auch bei der Gründung deutscher Kulturgruppen mitzuwirken.

Die erste deutsche Kulturgruppe (Tscholnok?) kam sehr schnell zustande und ist bereits im Sommer des Jahres bei einem Kulturfestival aufgetreten. Am Jahresende gab es in Jula bereits eine zweite deutsche Kulturgruppe. Ein Jahr darauf, im Dezember 1951, ist diese Kulturgruppe im Rahmen einer Kulturrundreise in zehn deutschbewohnten Ortschaften im Komitat Komom/Komárom aufgetreten. In den darauffolgenden Jahren entstanden deutsche Kulturgruppen noch in der Totiser Kolonie / Tatabánya, Nadwar / Nemesnádudvar, Willand / Villány, Sulk/Szulok, Nadasch / Mecseknádasd und Werischwar / Pilisvörösvár. 1952 wurden die Deutschen im Rahmen einer allgemeinen Amnestie von weiteren kollektiven Strafen befreit, erhielten die Staatsbürgerrechte zurück und durften ihren früheren Besitz zurückkaufen.

Weitere Anzeichen der „Anerkennung“ der Deutschen konnten 1955 verbucht werden. Im April dieses Jahres fand in Budapest ein Kulturfest der ungarländischen Nationalitäten statt, wozu auch die Vertreter der Deutschen eingeladen wurden. Auf der Bühne sind der Chor und die Tanzgruppe von Tscholnok aufgetreten. Im Mai wurde an der Universität anlässlich des 150. Todestages von Friedrich Schiller eine Feier in deutscher Sprache veranstaltet, die erste dieser Art nach dem Krieg.

Die „Wiederherstellung der Gleichberechtigung der in Ungarn verbliebenen Volksdeutschen“ im März 1950 mit Verordnung Nr. 84/1950 (III. 25.) M.T. machte es den Deutschen endlich auch möglich, in sehr bescheidenem Umfang am Nationalitätenschulwesen teilzuhaben. Als es zu dieser Zeit bereits 100 slowakische, südslawische und rumänische Nationalitätenschulen im Lande gab, machte das deutsche Unterrichtswesen seine ersten unsicheren Schritte. Aus dem Schuljahr 1950/51 liegen uns Angaben über den deutschen Sprachunterricht in etwa einem Dutzend Schulen vor. Beim Sprachunterricht handelte es sich damals allgemein um zwei Wochenstunden Deutsch, was für eine wirkliche Beherrschung von Rechtschreibung und Grammatik über die noch einigermaßen vorhandenen Mundartkenntnisse hinaus völlig unzureichend war.

Wild verfolgte aufmerksam diese Entwicklung und unterstützte zuständige Stellen laufend mit Ratschlägen. Auf sein Zutun hin ist am 1. Juli 1954 wieder eine deutsche Zeitung erschienen mit dem Titel FREIES LEBEN, vorerst als Monats-, doch schon ab 1. Oktober als Wochenblatt. Es muss angenommen werden, dass Wild zu dieser Zeit bereits ein guter Parteisoldat war und so auch auf maßgebende Persönlichkeiten Einfluss üben konnte. So kam es dann am 5. Oktober 1955 auf Geheiß des ZK der Ungarischen Arbeiterpartei (Magyar Dolgozók Pártja) im Redaktionszimmer der Zeitung (bei Lapkiadó Vállalat) zur Gründung einer Interessenvertretung für die Ungarndeutschen, es entstand der KULTURVERBAND DER DEUTSCHEN WERKTÄTIGEN IN UNGARN.

Aufgabe dieses sog. Verbandes sollte sein: Hilfeleistung bei der Gründung von Kulturgrupen und Büchereien, Vorträge veranstalten und „die Ansprüche der deutschen Werktätigen” z.B. nach Schulen mit Mutterspracheunterricht nach oben vermitteln, u.a. Erster Generalsekretär wurde Dr. Friedrich Wild, nachdem er ja bereits schon 1950 von der Partei den „Auftrag” erhalten hatte sich um die Belange des Ungarndeutschtums zu kümmern, was er ja ohnedies gerne getan hat.

Dr. Wild als Mensch

Mit Wild war ein für die damalige Politik geeigneter Mann gefunden. Er war intelligent, verstand es, sich entsprechend anzupassen und wusste immer wo und was gesagt werden darf und soll. Er war voller Humor, rezitierte gerne deutsche Schriftsteller und Gelehrte. Politik hat er in privatem Umgang nach Möglichkeit gemieden. Die von der Partei gewünschte Propagierung der Kollektivierung der Landwirtschaft flocht er pflichtgemäß in seine Reden auf der Bühne ein oder brachte eben in der Presse Lobhymnen über bestehende „Schwaben-LPGs”. Er war ja ein guter Redner und gleichzeitig hervorragender Diplomat, der in die zu jener Zeit üblichen sozialistischen Lobhudelei stets auch seine eigene Meinung, Wünsche und Erwartungen eingeflochten hat.
Von Natur aus war er sehr menschenfreundlich und fand somit leicht gute Kontakte zu „seinen” Ungarndeutschen, für die er sehr schnell zu „unserem Fritzi-Batschi” wurde.

Wild ergriff jede Gelegenheit, sich „auf Fahrt” zu begeben, er kam jeder Einladung gerne nach. So verbrachte er beinah jedes Wochenende in der Provinz bei den Schwaben. Bald hatte er überall persönliche Freunde, in Pernau/Pornóapáti, Baaja/Baja, Nimmesch/Himesháza, Elek, Balatoncsicsó und-und…mit denen er laufend in Kontakt blieb und sie zum Mitmachen anregte. Er baute sehr auf die Zusammenarbeit mit der Patriotischen Volksfront (Hazafias Népfront), die wohl als Ableger der Partei galt, doch immerhin mehr volkstümlich war und in deren Oberschicht auch manch „neutrale” Personen und immerhin auch vielerorts Deutsche als Aktivisten zu finden waren.

Der Generalsekretär

Wild hatte kein auf Papier festgelegtes Programm. Doch er hatte Pläne und stellte sich Aufgaben. Diese äußerte er in seinen Ansprachen, in Zeitungs- und Kalenderbeiträgen und versäumte es nicht, solche auch mit den Zuständigen im Ministerium für Bildungswesen (Nationalitätenabteilung, wo die damaligen vier Minderheiten je einen „Sachbearbeiter“ hatten) und der Volksfront zu „bemurmeln“. Seine Vorschläge/Wünsche konnte er sorgsam verpackt vorbringen und sobald er auf spürbaren Widerstand stieß, hielt er sich an seine Losung „Was nicht geht soll man lassen”. Trotz vieler Schwierigkeiten ist im Laufe seiner 18-jährigen „Regentschaft” auf dem ungarndeutschen Minderheitgebiet allerhand Nennenswertes geschehen: Verbandgründung, Neue Zeitung, laut einer Statistik aus 1971 gab es 34 Kindergärten mit 1200-1300 Kindern, 142 sprachunterrichtende Grundschulen mit 10664 Schülern, 2 bilinguale Grundschulen mit 105 Kindern und 3 Gymnasien mit 182 Schülern, es gab eine Oberstufen–Lehrerbildung in Frankenstadt/Baja, Lehrerbildung für Mittelschulen in Fünfkirchen/Pécs und Kindergärtnerinnenbildung in Ödenburg/Sopron ; „Reicht brüderlich die Hand“, „Greift zur Feder“, u.a. Deutsche Gesangchöre und Tanzgrupen vermehrten sich von Jahr zu Jahr.

Als Generalsekretär war er ständig auch Mitglied des Ungarischen Parlaments, zuletzt – ab 1971 – war er Abgeordneter für den Wahlbezirk Bogdan/Dunabogdány.

Kurz nach Geburt des Verbandes munkelte man auch über Rehabilitierung der Ungarndeutschen mit Entschädigung des verlorenen Eigentums, das von Wild wirklich gewollt war, doch das Thema konnte damals nicht wirklich angegriffen werden.

Ja, Fritzi-Batschi war eins mit Deutscher Verband. Er war immer bestrebt auch gute Mitarbeiter in sein Büro aufzunehmen, was zu jener Zeit nicht leicht zu bewerkstelligen war. Die frühere ungarndeutsche Intelligenz war größtenteils nach dem Krieg geflohen oder vertrieben, eventuell noch verbliebene Reste galten als „unzuverläßlich”. Die vom Ministerium ihm zugeteilten Mitarbeiter waren dann wieder für ihn unzuverlässlich. Das ergab eine doppelte Sorge: Einmal die ihm Aufgebürdeten loszuwerden bzw. ihm gefällige und dem Ungarndeutschtum zugetane Leute als Mitarbeiter zu finden. Über dieses Thema möchte ich einen separaten Beitrag erbringen, da sich dies auch auf meine Person bezieht.

Dr. Friedrich Wild stand bis 1973 an der Spitze des Verbandes, blieb dann weiterhin dabei als Ehrenvorsitzender und starb 1990 im Alter von 80 Jahren.

Wenn auch die Ära Wild keine Neugeburt des Ungarndeutschtums erreichen konnte (was zu jener Zeit auch unvorstellbar gewesen ist), so kann man immerhin doch von einem Erwachen der Volksgruppe sprechen. Ein weiteres Aufblühen und Sich-Wiederfinden blieb der zukünftigen politischen Entwicklung vorbehalten.

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