Von Richard Guth
Die Kommunalwahlen vor einem Jahr brachte vielerorts Gruppierungen an die Macht, die aus zivilem Engagement heraus mit der großen Politik in Berührung kamen. Dies scheint eine globale oder jedenfalls europäische Tendenz zu sein, denkt man an die Regierungsbeteiligung der Freien Wähler in Bayern oder an die Wahl der Aktivistin Zuzana Čaputová zur slowakischen Präsidentin. Die Diskussion um Nachhaltigkeit und Umwelt rückte in Vor-Corona-Zeiten in den Mittelpunkt des Interesses – nicht anders in Werischwar/Pilisvörösvár, wo die Frage der seit Jahrzehnten geplanten Schnellstraße M10 die Massen (erneut) mobilisierte. Der Verein „Tegyünk Együtt Vörösvárért” (Tun wir gemeinsam etwas für Werischwar) startete vor anderthalb Jahren eine Unterschriftensammelaktion für die rasche Umsetzung der Umgehungsschnellstraße – binnen eines Monats schafften es die Aktivisten – vornehmlich in Werischwar – 10.000 Unterschriften zu sammeln. Wohlgemerkt hat die Kreisstadt bei Budapest etwas über 14.000 Einwohner.
Der Verein widmete sich von Anfang an den Themen „Öffentlicher Verkehr”, „Elektromobilität”, „Nutzung erneuerbarer Energiequellen” und „Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements”. Auf den Erfolg bei der Sammelaktion folgte ein erdrutschartiger Sieg bei den Kommunalwahlen Mitte Oktober: Der Verein gewann alle Wahlkreise und stellt den Bürgermeister und die Erste Stadträtin. So wurde das Vereinsprogramm zur offiziellen Politik einer Stadt, die sich zum nachhaltigen Ort entwickeln sollte. „Wir wollen insgesamt eine Entlastung für Werischwar, wir wollen daher durch den Einsatz von Elektrorollern und -bussen die individuelle und öffentliche Elektromobilität stärken. Zu unseren Zielen gehört einen Beitrag zur Senkung des CO2-Ausstoßes zu leisten, indem wir unsere kommunalen Einrichtungen energetisch sanieren und erneuerbare Energiequellen wie Sonnenenergie reger nutzen”, erläutert die Erste Stadträtin Bernadett Strack. „Dabei wollen wir auch andere Orte in der Umgebung wie zum Beispiel Sande/Pilisszántó mit einbeziehen, denn je mehr Beteiligte es gibt, desto günstiger ist es für alle Beteiligten”, so die Politikerin. Die COVID-Pandemie habe die diesbezüglichen Bemühungen gebremst, aber keinesfalls gestoppt. Nach Angaben von Strack wäre es ohnehin ein längerer Lernprozess, bis die Bürger die Bedeutung von Nachhaltigkeit erkennen. „Es ist aber auch kurzfristig von Bedeutung, denn ab 2021 haben nur solche Orte eine Chance auf Förderung, die eine Nachhaltigkeitsstudie nachweisen können”, erläutert die Stadträtin. Bernadett Strack berichtete während des Treffens im Werischwarer Rathaus über Gespräche mit Vertretern grüner Projekte unter anderen in Paks und Salgótarján, wo mit staatlicher und EU-Unterstützung im Bereich Energiegewinnung bereits Vorhaben realisiert worden sind.
„Dennoch bleibt ein wichtiges Projekt der Bau der Schnellstraße M10, der wegen den umfangreichen Tunnelbauarbeiten als bedeutende Investition betrachtet werde soll. Das Vorhaben genießt die Unterstützung der gesamten Region”, das sagt bereits Bürgermeister Dr. Adam Fetter. Strittige Punkte seien noch die Streckenführung und die Frage der Anschlussstellen. „Die Stadt bemüht sich schon von Anfang an, dass dieses Bauvorhaben realisiert wird”, so das Stadtoberhaupt von Werischwar. Die Stadt wolle als regionales Oberzentrum auch in diesem Bereich die Entwicklung in der gesamten Region vorantreiben, ergänzt Bernadett Strack.
Die Coronakrise hat nach Angaben der beiden Politiker ein Loch von 100 Millionen Forint (300.000 Euro) gerissen, aber nach dem Motto „Es gibt auch ein Leben nach Corona” versucht die Doppelspitze nach neuen Finanzquellen Ausschau zu halten, um Projekte realisieren zu können. Dabei sprach der Bürgermeister davon, dass früher lokale Akteure nicht mit einbezogen worden wären, deshalb verfolge die neue Führung eine Politik der Öffnung zu den Unternehmen hin, um ein Netz auszubauen. Nach dem Eindruck des Bürgermeisters sind die Unternehmer bereit Investitionen für das Gemeinwohl zu realisieren wie Sanierungsarbeiten an Grundschulen und Kindergärten, die Errichtung von Kinderspielplätzen oder die Unterstützung von Veranstaltungen.
Ein wichtiger Bereich sei nach Worten von Bernadett Strack die Förderung gemeinschaftlicher Aktivitäten. „Dabei müssen wir nicht alles realisieren, sondern es in die Hand anderer Aktuere legen”, so die Erste Stadträtin. Nach ihrem Eindruck habe es bis auf die Werischwarer Tage im August in der Vergangenheit kaum feste Programme gegeben. Besonders fehle es an Angeboten für Jugendliche. Deswegen seien neue Initiativen wie Markt und Familienpicknick „Platz”, das Mitte Juli zum ersten Mal stattfand, besonders wichtig. Um solche Programme realisieren zu können, bedürfe es Orte, wo sich die Menschen versammeln können. Geplant sei deswegen die Errichtung eines Kultur- und Sportzentrums, das eine Handball- und eine Schwimmhalle beherbergen soll.
Auch für die deutsche Bevölkerung fehle es im Moment an einem Gemeinschaftshaus – dies soll nach Plänen des Magistrats in einem Gebäude gegenüber dem Haus der Künste entstehen. Liegenschaften müssten aber auch mit Inhalt gefüllt werden, darin sind sich Bürgermeister und Erste Stadträtin einig. Bernadett Strack findet dabei die Pflege und Weitergabe der Mundart bzw. der Sprache insgesamt für wichtig und unterstützt jede Initiative, die der Traditionspflege dient. So wünscht sie sich die Herausgabe eines schwäbischen Kochbuchs und einer Sammlung schwäbischer Wörter. Um Sprache und Tradition bemühe man sich in Kindergärten und Schulen auch, aber draußen in der weiten Welt verdränge das Englische (wenn man sich das Ganze auf das Sprachliche begrenzt) Deutsch immer mehr. Beide Politiker fühlen sich mit dem Deutschtum und der Sprache verbunden: „Deutsch ist mein Eigen, Englisch blieb hingegen immer eine Fremdsprache für mich”, so Strack. Der Bürgermeister fühle sich hingegen in Österreich wie zu Hause. Er findet, dass das Identitätsbewusstsein bei den Deutschen in Werischwar im Verschwinden begriffen sei. Die Erste Stadträtin Strack sieht es ähnlich, dennoch meint sie, dass es selbst in den Familien Unterschiede gebe: Sie selbst verfüge über ein starkes ungarndeutsches Selbstbewusstsein, aber dies treffe nicht auf jeden in ihrer Familie zu. Strack schätzt die Bemühungen des Werischwarer Heimatwerks und der neuen Initiative „Einfach Schwäbisch”, die sich im Bereich Mode und Gastronomie engagiert. Das alles seien wichtige Elemente bei der Sicherung einer nachhaltigen Zukunft, auch für die Schwaben in Werischwar.
Das Beitragsbild stammt von der Werischwarer Hobbyfotografin Hajnalka Völgyi.