Ludwig von Tetmajer und die Katastrophe von Münchenstein

Ludwig von Tetmajer war ein Schweizer Ingenieur ungarndeutscher Abstammung, der die Ursachen eines der schlimmsten Zugunglücke in der Geschichte aufgeklärt hat. Seine wissenschaftliche Arbeit ist bis heute ein Grundstein für sicheres Bauen.

Von Armin Stein

Kaum hat sich der durch den Brückeneinsturz aufgewirbelte Staub gelegt, wurde den Helfern, Opfern und Schaulustigen das Ausmaß der Katastrophe klar. Die Brücke war eingestürzt und hat die vorderen Waggons des Zuges und die beiden Lokomotive in die Tiefe gerissen. Neben den Trümmern spülte die Birs zahlreiche Tote an die Ufer. Unverzüglich begannen die Bergungsarbeiten, hunderte Helfer und Beamte schlugen sich durch den Ring der schaulustigen, um in tagelanger Knochenarbeit alle Überlebenden zu finden und die Leichen zu bergen. Das Ausmaß der Katastrophe mit 71 Toten und zahlreichen Verwundeten war verheerend. Bis auf den Kollaps der Firth-of-Tay-Brücke 1879 gab ein keine vergleichbaren Tragödien. Wenig hilfreich war auch der Fakt, dass der Architekt der Brücke niemand anderes als Gustav Eiffel war. Durch den Brückenkollaps begann man auch an anderen Bauten des französischen Architekten zu zweifeln, besonders an der Stahlkonstruktion des zwei Jahre zuvor eingeweihten Eiffel-Turms.

Nicht mal einen Tag später war die Schweiz im Aufruhr, neben den Beileidbekundungen an die Opfer machte sich auch Unsicherheit in der Bevölkerung breit. “Wie steht es um die anderen Brücken im Land?”, “kann man sich noch ohne um sein Leben fürchten müssen in einen Zug setzten?”, „wie konnte eine Brücke von Gustave Eiffel einstürzen?“, fragten sich die Tageszeitungen und Gazetten. Um das Vertrauen der Bevölkerung in der Eisenbahn zurückzugewinnen und um die Verstaatlichung der schweizerischen Privatbahnen voranzutreiben beschloss die Regierung Klarheit zu schaffen, in dem Sie eine Untersuchungskommission berief.

Unter den zahlreichen Vorschlägen, wer nun Mitglied der Kommission werden sollte, kam ein Name des Öfteren vor. Ludwig von Tetmajer, Direktor der Schweizerischen Festigkeitsprüfungsanstalt (heute EMPA- Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) und Professor der Baumechanik, sollte eine tragende Rolle in der Leitung der Untersuchungen einnehmen. Doch wer war dieser Tetmajer?

Ludwig von Tetmajer wurde 1850 in Krompach, Ungarn (heute: Krompachy, Slowakei) als Sohn von Ladislaus Tetmajer, dem Direktor der Eisenhütte Marienthal, und Louise Elsner geboren. Die Nähe zu der Eisenhütte in seiner Kindheit weckte sein Interesse für die technischen Wissenschaften. Nachdem er das Gymnasium in Kaschau mit Auszeichnung abgeschlossen hat, schrieb er sich nach einem einjährigen Vorbereitungskurs an der Ingenieurschule des Eidgenössischen Polytechnikums in Zürich ein. Mit 22 Jahren, im Jahre 1872, hat er seinen Abschluss als Bauingenieur erhalten.

Nach seinem Abschluss arbeitete von Tetmajer für die Schweizerische Nordbahn, bevor er an das Eidgenössische Polytechnikum zurückkehrte, diesmal jedoch als Privatdozent für Baustatik. Zwei Jahre später hat er die schweizerische Staatsbürgerschaft erlangt, nachdem er den Militärdienst als Oberstleutnant der Reserve in der Kaiserlichen und Königlichen Armee abgeschlossen hat. Ab dem 1. Februar wurde Ludwig von Tetmajer Direktor der Schweizerischen Festigkeitsprüfungsanstalt und Professor für Baumechanik.

Aber nun zurück zur Untersuchung des Unfalls: Nach langer, akribischer Arbeit kam die Kommission zum Ergebnis, dass der Unfall auf zwei Hauptursachen zurückzuführen war. Es stellte sich heraus, dass schon während des Baus der Brücke aus Kostengründen Eisen von unzureichender Qualität verwendet wurde. Diese Schwäche wurde vom Birshochwasser von 1881 nur verschlimmert, indem es das Absinken eines Widerlagers verursachte, während die Verstärkungsmaßnahmen von 1890 keine der wesentlichen Strukturschwächen beseitigten.

Die Katastrophe führte zu mehreren Gerichtsverfahren auf allen Ebenen der eidgenössischen Rechtsprechung. Trotz ursprünglichen Schuldspruches gegen die Bahngesellschaft konnten sich die Kläger in letzter Instanz nicht vor dem Schweizerischen Bundesgericht durchsetzen. Die private Jura-Simplon-Bahn konnte so die Zahlung einer Entschädigung in der Höhe von 20000 Schweizer Franken vermeiden, jedoch hatte sich durch die Katastrophe die Stimmung der Öffentlichkeit gegenüber den Privatbahnen bereits geändert, was zur Gründung der Schweizerischen Bundesbahnen in 1902 führte.

Ludwig von Tetmajers Lebenswerk besteht nicht nur aus dem Erstellen von Gutachten. Seine wissenschaftliche Arbeit befasst sich mit Baumaterialien und deren Verhalten unter mechanischer Belastung. Sein wohl berühmtestes Ergebnis ist die Tetmajer-Gleichung, die das Knick-Verhalten von Materialien unter bestimmten Zuständen beschreibt. Dieser Zusammenhang wird bis heute den meisten Ingenieurstudenten in diversen Mechanik-Vorlesungen beigebracht. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit war das Entwickeln von Normen und Prüfmaschinen für Baumaterialien, dank denen die Sicherheit zahlreicher Bauten gewährleistet werden konnte.

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