„Hinter jedem Produkt steckt eine Philosophie” – Restaurant und Weinstube Schieszl in Kalasch im Porträt

Von Richard Guth

Schieszl – für viele in und rund um Budapest ein Inbegriff für „Gastronomie und Wein”. Letzteres steht in Anführungsstrichen, denn diese Aussage stammt vom Juniorchef des Familienbetriebs, dem gelernten Koch Konrad Schieszl jun., der seit 2001 in fünfter Generation die Gastwirtschaft in der Hauptstraße von Kalasch/Budakalász führt. Dafür, dass diese Aussage keine bloße Eigenwerbung ist, bürgt meine Frau, eine wahre Gastroliebhaberin mit (manchmal unverständlich) hohen Ansprüchen, die auf meine Anfrage hin wohl etwas mit dem Namen Schieszl anfangen konnte.

An diesem Dreikönigswochenende sind Restaurant und Weinstube gut besucht – nicht nur die Kellner haben aber alle Hände voll zu tun, sondern auch Konrad Schiszl junior. Er taucht plötzlich auf, begrüßt mich und läuft zu seinen Mitarbeitern, die er ebenfalls mit Händedruck begrüßt – willkommen im Familienbetrieb Schieszl.

In die Geschichte des Betriebs gewährt der Seniorchef, Konrad Schieszl sen., einen ausführlichen Einblick. Die Geschichte der Familie Schieszl (ursprünglich Schiessl) reicht nach seinen Erinnerungen in das Jahr 1896 zurück, als der Urgroßvater von Konrad Schieszl sen., Johann Schieszl, beschlossen hat, seinen angebauten Wein in einer eigenen Weinschenke, die im Eingangsbereich des Weinkellers eingerichtet wurde, zum Kauf anzubieten. Die Familie gehört zu den ersten deutschen Ansiedlern von Kalasch, die sich wenige Jahre nach der Vertreibung der Osmanen aus Ofen und Umgebung 1686 in der Gemeinde niederließen. Oberhalb des Kellers standen damals noch Weingärten, Haus und Hof, die sich immer noch im Familienbesitz befinden, gehörten zu den ältesten Siedlerhäusern. Nicht lange währte jedoch das Glück von Johann Schieszl, denn die Reblaus hat die Weinplantagen zerstört, nicht nur in Kalasch, sondern in der ganzen Umgebung – davon könnten die Braunhaxler von Altofen ein Lied singen. Der Großvater war nach Konrad Schieszls Erinnerungen gezwungen sich neu aufzustellen. Er kaufte in Kecskemét und Gyöngyös Trauben an, verarbeitete sie zum Wein und bot diesen im Weinhandel an. 1914 wurde von seinem Sohn Konrad (der erste von den drei Konrads) ein Restaurant eröffnet, das 1940 von seinem Sohn Sebastian übernommen wurde. Konrad widmete sich fortan dem Weinhandel – immerhin gingen 2000 Hektoliter Wein pro Jahr über die Tresen.

Die Jahre 1945 (Einmarsch der Sowjets) und 1946 (die Vertreibung) waren schicksalsträchtig für die Familie – Sebastian konnte sich und seine Angehörigen befreien lassen, nicht so Großvater Konrad, der in die Nähe von Schorndorf vertrieben wurde und acht Jahre später dort starb. 1949 folgte die Verstaatlichung des Familienbetriebs. Der Staat versuchte den 25 Joch großen Grundbesitz des Vaters zu kollektivieren – Sebastian musste sich aus gesundheitlichen Gründen diesem Druck der ständigen Requieriungsmaßnahmen 1952 nachgeben: Er arbeitete zunächst im Steinbruch, dann als Kellner an der Technischen Universität Budapest. Die Familie von Sebastian musste darüber hinaus 1949 binnen 24 Stunden das Haus verlassen und wurde in ein nahegelegenes Gehöft zwangsumgesiedelt – die Verbannung dauerte ein ganzes Jahr, die Familie, so auch mein Gesprächspartner Konrad Schiszl sen., der damals neun Jahre alt war, durfte aber dank einem Parteifunktionär, der früher Sebastians Schulkamerad war, als Mieter wieder in das Haus einziehen, das sie neun Jahre später zurückkaufen „durften”, für 60.000 Forint, was damals dem Preis dreier Einfamilienhäuser entsprach.

Sebastian Schieszl betrat 1959 wieder teilweise den Pfad der Selbstständigkeit: Er übernahm ein Áfész (Genossenschafts-) Restaurant in Kalasch, das früher einer anderen deutschen Familie gehörte und das er bis 1970 leitete. 1969 hat Sebastian mit seinem Sohn Konrad sen. zusammen angefangen (der damals bei der LPG von Bogdan/Dunabogdány arbeitete, „unter Schwaben”, wie er sagt), die alte Weinschenke wieder in Betrieb zu nehmen, damals im Verbund mit der örtlichen LPG, die die Bänke anfertigte und für den Transport des Weins aus Gyöngyös sorgte. Nach Erinnerungen des Seniorchefs zahlte die LPG damals 2,5 Forint pro Liter, aus den man alle Ausgaben finanzieren musste. 1989 wurde das Weingut der LPG in Brand gesteckt, die politische Wende hat das alte Geschäftsmodell, was Konrad sen. als erträglich beschrieb, ohnehin in Frage gestellt. Neben dem Verkauf von Wein zuletzt aus Willand entschied sich Konrad sen. eigenen Wein anzubauen – 1979 erwarb er das erste Grundstück im Plattenseeoberland und setzte Weinstöcke. Mittlerweile ist das Weingut der Familie auf 13,5 Hektar angewachsen. Darüber hinaus besitzt die Familie 1,9 Hektar Boden in Kalasch, den er im Zuge der Wiedergutmachzung Anfang der Neunziger gegen Wiedergutmachungsscheine erwarb, und 42 Hektar in Tarian/Tarján. Mit der Erweiterung des Familienbesitzes ging auch ein Ausbau des Betriebs einher: Zu den bestehenden Gebäuden kamen unter anderem eine 200 m2 große Küche und diverse Weinproduktionsräume im Kellerbereich hinzu, nach eigenen Angaben finanziert aus Eigenmitteln und später aus Fördergeldern.

Den Eigentümern liege sehr viel daran, die Familientradition in Produkte umzumünzen – das sagt bereits der Juniorchef und meint damit, dass man sich bemühen würde, traditionelle schwäbische Speisen wie Sauerkraut und Schinken, die man früher auch selber produziert hätte, auf den Teller zu bringen. Man wolle dabei professionell arbeiten. Schinken und Wurstprodukte kämen aus der Eigenproduktion, genauso die Getränke, Fruchtsäfte ohne Konservierungsstoffe, die die Erfrischungsgetränke der Massenproduktion verdrängt hätten: „Wir verkaufen 95 % eigene Fruchtsäfte und nur 5 % Coca Cola”, berichtet Konrad Schieszl jun. stolz. Neben Küche, Keller ubd Weinbau ist Catering das vierte Standbein, man würde vor Ort und auch außerhalb Hochzeiten veranstalten. Dabei kämen neben den 30 Festangestellten noch Aushilfskräfte dazu. Apropos Arbeitskräfte: Wie andererorts leide auch dieser Familienbetrieb unter Arbeitskräftemangel, was zu steigenden Löhnen in den vergangenen Jahren geführt hätte, so dass die Mitarbeiter je nach Position heute 200.000 bis 500.000 Forint (600 bis 1500 Euro) netto im Monat verdienen würden, Löhne, die aber nicht immer motivierend wirken würden, denn heute sei erste Priorität die Bequemlichkeit, so die Inhaber einhellig. Der Juniorchef beschrieb die Mehrwertsteuersenkung von 27 auf 5 % (was einer tatsächlichen Senkung von 18 % entsprach) und Steuererleichterungen im Rahmen der Kleingewerbebesteuerung (KIVA) als hilfreich, um die Löhne der Mitarbeiter zu erhöhen. Der Familienbetrieb hätte seit 2001 stets hohe Zuwachsraten beim Umsatz erzielt, die Spanne reichte nach Angaben des Juniorchefs von vier bis 27 %. Ein Teil dieses Geldes fließe wieder in Investitionen: So plant man gerade aus EU-Fördermitteln den Aufbau einer neuen Flaschenabfüllanlage und aus eigenen Mitteln einen Veranstaltungsraum.

Das Wachstum erfordere aber, dass man Produkte anbiete, hinter den eine Philosophie stecke. Wenn jemand zweifele, ob er zu Hause eine Fischsuppe für die Familie kochen soll, dann würde in solchen Fällen der Juniorchef entgegnen: Nein, man möge die Zeit lieber in Familiengespräche investieren und den Rest den Schieszls überlassen – ein Kalkül, was aufzugehen scheint: Denn in solchen Fällen würden die Anrufer gleich sechs Portionen bestellen. Nach Überzeugung des Juniorchefs könne der Betrieb durch das Gefühl der Häuslichkeit punkten, gerade bei den Stammkunden: Weißwein, Schinken und Weißbrot wären einfache Gerichte, aber würden in Handarbeit gefertigt, was auch eine Kundschaft mit gehobenen Ansprüchen schätzen würde, gerade wenn es vom Chef persönlich serviert wird.

Maßvoll zu sein und Ausdauer zu haben – Charaktereigenschaften, die für den Juniorchef als typisch schwäbische bzw. deutsche Tugenden gelten. Er ist nach eigenen Angaben im Vergleich zu seinem 79-jährigen Vater zwar in einem anderen Umfeld aufgewachsen, die deutsche Sprache sei in der Familie nicht mehr präsent gewesen. Dennoch spricht er wie Ehefrau und Kinder die Sprache der Ahnen (er arbeitete eine Zeit lang als Skilehrer in Österreich) und ihm liege sehr viel an der Pflege der Traditionen, jedenfalls im gastronomischen Sinne. Sein Vater, „ein schwäbischer Dickschädel”, wie er zu sagen pflegt, hätte zu Hause noch die Mundart gesprochen, dennoch hätte das ungarischsprachige Umfeld in einer Gemeinde, wo fast alle Deutschen vertrieben wurden, stark abgefärbt. Als er 1965 die westdeutschen Verwandten in Baden-Württemberg zum ersten Mal besuchen durfte, verstand er alles, hätte aber Probleme beim Sprechen gehabt. Dies hätte sich aber nach zwei Monaten Arbeit beim Anlagenbauer Nägele in Esslingen gelegt – hier hätte ein Ungar, der 1956 nach Westdeutschland floh, ihm auf die Sprünge geholfen. Seine Sprachkenntnisse hätte er dann auch dank den DDR-Gästen in der Schanke, die an manchen Tagen 90% der Kundschaft ausgemacht hätten, gefestigt. Denn in Kalasch selbst hätte er immer weniger Möglichkeiten die Sprache zu sprechen: Es gäbe nur noch wenige, die von zu Hause aus deutsch sprächen, auch die vielen Mischehen täten ihr Übriges. Auf dem Gebiet der Pflege der Kultur gäbe es viele Aktive, und auch alle vier Fronleichnamskapellen würden Schwaben betreuen, aber bereits bei der Sprache der Liturgie höre die Traditionspflege auf: Die Messen werden in Ungarisch gehalten. Die Gemeinde ist in den letzten Jahren enorm gewachsen: Während sie Ende der 1940er Jahre 2700 Seelen zählte (vor der Vertreibung stellten die Deutschen die Hälfte der Bevölkerung, die Serben 35-40%), beträgt die Einwohnerzahl heute etwa 12.500.

Eine Entwicklung, die zum einen Herausforderung, zum anderen eine Chance darstellt: Schwabensein, das deutsche Erbe bewahren in Zeiten ständiger Veränderung. Dies bedarf viel Flexibilität und Kreativität – die fast 125-jährige Familientradition zeugt ohne Zweifel vom Erfolg dieser Bemühungen.

Bild: Facebook-Seite des Restaurants

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