Wir waren schon immer ein Teil dieses Landes

Interview mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Jugendverbands der Ungarländischen Slowaken (Organizácia slovenskej mládeže v Maďarsku, OSMM), Bence Püski, anlässlich des 30. Jubiläums des Vereins im vergangengen Herbst

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SB: Herr Püski, wann und mit welchem Ziel wurde Ihre Organisation gegründet und wer waren die Gründer des Jugendverbandes?

BP: Unser Verband wurde 1989 gegründet, als erster in Ungarn mit dem Ziel, eine Alternative zum Verband der Slowaken in Ungarn (Zväz Slovákov v Maďarsku) zu bieten. Bereits damals traten der Organisation so viele Menschen bei, dass man Ortsgruppen, Filialen gründen musste. Beispielsweise in Čaba/Békéscsaba. Zum damaligen Zeitpunkt hatte der Verband seinen Sitz noch in Budapest. Unter den Gründern möchte ich gerne den bekannten ungarländisch-slowakischen Dichter Imrich Fuhl, den jetzigen Parlamentarischen Sprecher Anton Paulik, Štefan Kraszlán, der im Ministerium für Humane Ressourcen für den Nationalitätenunterricht zuständig ist, beziehungsweise Gabriel Hattinger, der leider nicht mehr unter uns ist, hervorheben. Ich würde noch gerne Mária Matejdeszová erwähnen, in ihrer Amtsperiode wurde der Sitz der Organisation nach Čaba verlegt.

SB: Wie stark ist der Verband zahlenmäßig?

BP: Gott sei Dank konnten wir in der jüngsten Vergangenheit einen Zuwachs verzeichnen. Das führe ich darauf zurück, dass wir stellvertretende Vorsitzende (der Verband hat vier Vizevorsitzende: Brigitta Horváth, Géza Háló, Vilmos Mezősi und Bence Püski, R. G.) in unterschiedlichen Teilen des Landes wohnen und versuchen, durch Besuche in den Nationalitätenschulen immer mehr Jugendliche in die Arbeit des Verbands einzubeziehen. Aber die überwiegende Mehrheit unserer Mitglieder stammt aus einer der slowakischen Gemeinden auf der Großen Tiefebene.

SB: Wie leicht lassen sich heute Jugendliche gewinnen und mit welchen Programmen versuchen Sie dies zu erreichen?

BP: Ich denke, im Laufe der Jahre hat sich die SMA, die Slowakische Jugendakademie, zu einem wahren Flaggschiff der OSMM entwickelt. Das ist ein Jugendlager in Sarvaš am Ufer der Toten Kreisch, das seit Jahren veranstaltet wird. Darüber hinaus nehmen wir regelmäßig an landesweiten Veranstaltungen der Slowaken teil und bieten auch zahlreiche eigene Programme an oder schließen uns als Koorganisatoren an.

SB: Was sind die größten Herausforderungen auf dem Gebiet der Jugendarbeit?

BP: Ich denke, dass es in unserer Welt zunehemend schwierig wird, die Themen und Bereiche zu finden, die die Jugendlichen ansprechen – bis auf die Festivals und die Unterhaltung –, gerade in einer schnelllebigen und überaus globalisierten Welt. Es ist umso schwerer, wenn wir uns auf einen solchen Bereich fokussieren, der nicht zu den populärsten in Ungarn gehört, und das ist kein geringerer als das Nationalitätendasein. Genauso schwierig ist die richtige Form und Plattform der Ansprache zu finden, in einer Zeit, in der fast wöchentlich neue und neue Plattformen, Impulse auftauchen, die einen großen Einfluss auf die heutige Jugend ausüben, da sie daran gewohnt sind. Alles in allem kämpfen wir entschlossen und voller Stolz und versuchen unsere Sprache und Identität zu bewahren und diese an die nachfolgenden Generationen zu übergeben.

SB: Gibt es regionale Unterschiede hinsichtlich der Aktivitäten des Landesverbands?

BP: Die regionalen Unterschiede sind recht groß, aber das ist darauf zurückzuführen, dass man unsere Organisation vielerorts nicht gut genug kennt. Diejenigen von der Großen Tiefebene sind haushoch vertreten, das resultiert unter anderem daraus, dass wir unseren Sitz in Čaba haben, wo es auch ein slowakisches Gymnasium gibt. Wir haben noch sehr aktive Mitglieder in Budapest, die aber nicht zwangsläufig Budapester sind, sondern das dortige slowakische Gymnasium besuchen.

SB: Wie würden Sie die demografische, sprachliche, kulturelle Lage der Slowaken in Ungarn beschreiben, insbesondere im Hinblick auf die Jugend?

BP: Die Lage der ungarländischen Slowaken ist auf den ersten Blick in jeder Hinsicht ernüchternd, aber ich denke, dass nicht alles verloren ist. Wir arbeiten alle dafür, dass wir jedem Jugendlichen ein „Identitätspaket“ mit auf den Weg geben. Denn es ist gerade das Lebensalter, in dem uns am schwersten fällt, uns zu definieren. Auch hier bedarf es kleinerer und größerer Veränderungen, und ich bin der Meinung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich muss hinzufügen, dass wir eine große Verantwortung haben, denn höchstwahrscheinlich werden aus unseren Reihen die späteren Führungspersönlichkeiten der ungarländischen Slowaken kommen. Und wenn nicht von uns, dann woher?

SB: Kehren wir für einen Moment zur Sprache zurück – wie ist die slowakische Jugend sprachlich aufgestellt?

BP: Leider ist Slowakisch heute nicht mehr unsere Muttersprache. Die Generation unserer Eltern spricht kaum Slowakisch, das die Muttersprache unserer Großeltern ist. Die Bewahrung des Čabaer Slowakischen ist meine Herzensangelegenheit, und dazu führt der Weg über die gründliche Kenntnis der slowakischen Schriftsprache.

SB: Hat das Konsequenzen für den Sprachgebrauch in der Organisation?

BP: In der Organisation benutzen wir beide Sprachen, da wir nicht nur diejenigen jungen Menschen ansprechen wollen, die die slowakische Sprache solide beherrschen, sondern auch diejenigen, in deren Familien nur noch die alten slowakischen Traditionen gepflegt werden.

SB: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Landesselbstverwaltung?

BP: Jeder lamdesweite Jugendverband ist von existenzieller Bedeutung für die Nationalität, und dessen ist sich auch die Landesselbstverwaltung der Ungarnslowaken bewusst. Es ist von Vorteil, dass unser Vorsitzender Mitglied der Landesselbstverwaltung ist, die selbst über eine Jugendkommission verfügt.

SB: Wie sind die Beziehungen zum Mutterland Slowakei zu bewerten?

BP: Der Gebrauch des Begriffs „Mutterland“ ist auch bei uns zunehmend angesagt, aber für einen durchschnittlichen älteren Slowaken stellt die Slowakei kein Mutterland dar. Die Migration im 18. Jahrhundert war letztendlich eine Binnenmigration, denn diese Slowaken lebten auch auf dem Gebiet des historischen Ungarns (auf Slowakisch Uhorsko genannt). Die Tschechoslowakei wurde 1918 ausgerufen, was nur für mehr Distanz sorgte – darüber hinaus wurde das Slowakentum auf der Tiefebene durch die Grenzziehungen viergeteilt. Die Slowakei selbst ist ein junger Staat, so dass viele ältere Slowaken immer noch von Tschechoslowakei sprechen. Wir haben keine Anekdoten über Kyrill und Method und halten Milan Rastislav Štefánik auch nicht für einen Nationalhelden. Wir haben eigene ehrwürdige historische Persönlichkeiten.

SB: Die Frage stellte ich auch deshalb, weil ich weiß, dass Sie und Ihr Verbandsvorsitzender, Bence Szeljak, im Mutterland studieren. Wie sind Ihre Erfahrungen, wie werden Sie wahrgenommen: als Slowake, Madjare oder Ungar?

BP: Ich glaube, ich kann auch im Namen der anderen behaupten, dass die Universität in Neutra/Nitra eine sehr gute ist. Es herrscht eine familiäre Atmosphäre, die Lehrer sind größtenteils sehr anständig. Was mich überrascht hat, war das hohe Maß an Toleranz und Hilfsbereitschaft, die die Lehrpersonen und die Kommilitonen uns gegenüber zeigen. Die Lehrer wissen, dass es uns gibt, viele von ihnen waren bereits in Čaba und Umgebung, aber die Studenten haben keine Ahnung davon. Sie sind aber sehr interessiert und fragen, was uns bewegt hat, dort zu studieren und wie die Situation zu Hause ist. Gegenbeispiele gibt es natürlich auch immer. Ich persönlich benutze das Attribut „Slowake“ hierzulande lieber als dort. Vor allem, wenn ich mit Slowakeimadjaren spreche. Bei ihnen habe ich generell schlechtere Erfahrungen gesammelt, aber man kann natürlich nie verallgemeinern. Wir kämpfen aber gemeinsam gegen das Gefühl der Minderwertigkeit, das heißt Angehörige einer Minderheit zu sein. Unser Ziel ist es, auch ihnen die ungarländisch-slowakische Kultur näherzubringen. Einmal haben wir Bryndzové halušky, also Brimsennocken und Čabianska klobása, also Wurst aus Čaba mitgebracht. Ich muss nicht sagen, wie sehr es ihnen geschmeckt hat.

SB: Herr Püski, vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Richard Guth

Bild: Facebook-Seite der Organisation

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