Teil 1
Die Jakob Bleyer Gemeinschaft erklärte das Jahr 2019 zum Steinacker-Gedenkjahr (Sonntagsblatt 2/2019)
Als Abschluss des Steinacker-Jahres eine Zusammenfassung
Von Georg Krix / Harold Steinacker
Die vielseitige Persönlichkeit
Edmund Steinacker wurde am 23. August 1839 in der ungarischen Stadt Debreczin geboren. Sein Vater Gustav Steinacker machte sich als Pädagoge und glänzender Kanzelredner überall dort, wo er wirkte, einen Namen: als Direktor einer Mädchenschule in Debreczin und Weimar, als evangelischer Pfarrer in Göllnitz, Triest, Hannover und Buttelstedt bei Weimar. Darüber hinaus war er ein Freund der schönen Künste, gehörte als „Hausdichter” der Altenburg dem internationalen Künstlerkreis um Franz Liszt an und tat sich als einfühlsamer Übersetzer magyarischer Lyrik hervor.
Die Mutter Aurelie Westher war die Tochter eines Senators aus der alten Zipser Stadt Käsmark. Als sie einmal auf eine Audienz bei Kaiser Franz Joseph wartete, wurde sie vom zuständigen ‚Adjutanten etwas unfreundlich behandelt. Daher versicherte sie sich durch einen Blick auf dessen Liste, nach welchem Namen sie an der Reihe sei. Als dieser tatsächlich, wie von ihr vermutet, jemanden anderen vorzog, riss sie dem völlig Überraschten die Liste aus der Hand, rief: „Ich bin jetzt an der Reihe!“, hielt den Wartenden triumphierend die Liste zum Beweis entgegen und betrat den Audienzsaal. Eine Frau voll sprühender Energie und Tatkraft also, klug, eine glühende ungarische Patriotin, die sich stets für die Ideale des Liberalismus einsetzte, aber auch musikalisches Talent besaß.
Von ihr erbte Edmund Steinacker den starken politischen Nerv, verdankte ihr, seiner ersten Klavierlehrerin, die darüber hinaus Gitarre spielte und eine gute Sängerin war, aber auch die starke Hinwendung zur Musik. So belegte er Gesang- und Klavierstunden am Stuttgarter Konservatorium, pflegte das Cellospiel und erwarb die Fakultas für Klavier- und Gesangunterricht. Zeit seines Lebens schrieb er für verschiedene Zeitungen Musikrezensionen.
Das väterliche Erbe äußerte sich im Rede-, Schreib- und Übersetzertalent Steinackers. Alle Reden, die er als Abgeordneter im ungarischen Reichstag oder bei öffentlichen Anlässen hielt, trug er frei vor und erzielte daher eine spontane Wirkung. Als Journalist begann er seine Karriere als Berichterstatter der Pariser Weltausstellung, redigierte über 20 Jahre lang die „Industriezeitung für Ungarn”, schrieb für zahlreiche deutsch geführte ungarische Provinzzeitungen ebenso wie für das Siebenbürgisch-deutsche Tagblatt und den Pester Lloyd. Dank seiner detaillierten und gründlichen Ungarnkenntnisse wurde er zum geschätzten Ungarnkorrespondenten wichtiger Zeitungen im gesamten deutschen Sprachraum.
Neben dem Magyarischen beherrschte er fließend Französisch und Englisch, fand sich im Italienischen zurecht und erlernte noch als vierzigjähriger Abgeordneter Slowakisch und Rumänisch. Allgemein bewunderte man seine exakte und vor allem rasche Übersetzerfähigkeit.
Der vom Elternhaus geprägten religiösen Grundüberzeugung blieb Steinacker ein Leben lang treu. Bis ins hohe Alter nahm er innerhalb der deutschen evangelischen Gemeinde in Pest die Tätigkeit eines Presbyters wahr und wurde sogar als ihr Vertreter zu den Hauptversammlungen des Gustav-Adolf-Vereins entsandt.
Zwei Faktoren waren von besonderer Bedeutung für die sich ausformende Persönlichkeit und ihren Werdegang: die stets wechselnde Umwelt bis zu seinem endgültigen Umzug nach Budapest 1867 und die weltoffene, geistig ungemein anregende Atmosphäre des Elternhauses. Die Kindheit in Debreczin und Oberungarn, die Schülerzeit in der Hafenstadt Triest, die Gymnasialzeit am magyarischen Lyzeum in Ödenburg und im nachklassischen Weimar, die Studentenjahre in den auch noch im Alter geliebten schwäbischen Städten Stuttgart und Tübingen sowie die Auslandsaufenthalte in der Schweiz, Belgien, Paris und London brachten ihn in Berührung mit ganz verschiedenen Schauplätzen europäischer Kultur. Wie meist, erschloß sich auch Steinacker erst das volle Verständnis für den Eigenwert des Deutschtums aus der Vertiefung in das Wesen fremder Völker.
Dank der beweglichen und menschlich anziehenden Persönlichkeit des Vaters und der weltoffenen sowie kunstsinnigen Art der Mutter übte das Haus Steinacker stets eine große Anziehungskraft aus, so daß sich der junge Edmund zu einem gewandten, vielseitigen, den jeweiligen gesellschaftlichen Ton mühelos treffenden Menschen entwickelte. Daher wußte er nach 1867 einen unmittelbaren und bleibenden Kontakt zu fast allen Schichten und Elementen der ungarischen Gesellschaft, besonders aber zu den verschiedenen Richtungen des deutschen Bürgertums herzustellen, ja dank seines gesellschaftlichen Ansehens wurde er sogar zum Konsul der Schwarzenrepublik Liberia berufen.
Obwohl vom Vater mehr schöngeistig und von der Mutter eher künstlerisch inspiriert, entschloß sich Steinacker zum Studium des Baufaches. Die praktischen Erfahrungen, die er nach bestandenem Examen als Eisenbahningenieur in württembergischen und ungarischen Diensten sammelte, vermittelten ihm allerdings die Einsicht, daß er sich für diesen Beruf wenig eigne und daher sein Glück auf anderen Wegen suchen müsse.
Dabei kamen ihm seine persönlichen Verbindungen und seine Vielseitigkeit sehr zu Hilfe. Sowohl bei der Anstellung beim Pariser „Conservatoire des arts et metiers” wie der leitenden Stellung im Ungarischen Landesindustrieverein 1868 gaben solche Empfehlungen sowie der Eindruck seiner Persönlichkeit den Ausschlag. Steinacker hatte jetzt die Befriedigung, in einem größeren Wirkungskreis – zu dem seit 1869 auch die Stellung eines Syndikus der Budapester Handels- und Gewerbekammer gehörte – seinen gesamten bisherigen Bildungsgang verwerten zu können. Auf allen Gebieten der Gewerbepolitik, der Statistik, des Ausstellungs- und gewerblichen Unterrichtswesens war er bis 1892 führend tätig.
Seine Zwangspensionierung 1892 als Folge seines Einsatzes für eine Wiedererrichtung des 1889 abgebrannten deutschen Theaters und seine Tätigkeit für den Wiener „Verein für Stadtinteressen und Fremdenverkehr” schienen seinen großen Aktionsradius einzuengen. Doch schon wenige Jahre später konnte er seine beruflichen Angelegenheiten ganz nach seinen Vorstellungen regeln. Als Übersetzer und Konsulent im Wiener Ackerbau- und Handelsministerium gewann er den nötigen Freiheitsspielraum für seine umfangreiche journalistische und immer mehr geliebte politische Arbeit: viele tausend Zeitungsaufsätze stammen aus seiner Feder und über 50mal reiste er von Klosterneuburg, seinem jetzigen Wohnort, aus zu den Donauschwaben nach Südungarn.