Von Klara Burghardt
(Leidensweg von Elisabeth und Heinrich Stettner und den Dorleuten)
Halb sieben, früher Morgen.
Die durch die offene Balkontür hereindrängende Morgenfrische, das Taubengurren und das frische Amsellied wecken Anna auf. Die alten Fichtenbäume schauen ins Zimmer hinein.
Die ersten Sonnenstrahlen schlüpfen spielend durch die Äste hindurch und streicheln Anna.
Sie streckt sich aus, langsam, wie eine Katze.
Nettes Zimmer, bequemes Bett.
In einer Pension, auf dem ersten Stock.
Das Haus steht in einer ruhigen Nebenstraße des Badeortes in Südungarn.
Die Stadt ist ein weltweit bekannter Ferienort.
Hier bauten Gisela und ihr Mann vor 30 Jahren ihre dreistöckige Pension.
Zum Haus wurden eine kleine Wohnung für Giselas Eltern gebaut, eine Garage und mehrere Nebengebäude.
Im Garten stehen alte Fichtenbäume, eine Magnolie und ein großer Kirschbaum. In der Mitte umrahmen Steine und Kletterpflanzen den kleinen Teich.
Die Terasse, die fünf Balkons und die Fenster sind mit Pelargonien geziert.
Neben der Garage steht ein gedeckter Sitzplatz, mit Bänken und einem großen Tisch. Er wird mit einer Traubenreihe und mit Kletterpflanzen umrahmt. Hier können sich Familienmitglieder und Gäste vor neugierigen Augen verstecken.
Gisela ist eine gebürtige Salackerin und die Ehrenbürgerin vom Dorfe. Sie war die treibende Kraft, die Hauptfigur der Heldenzeit der Gemeinde. Als Ratsvorsitzende ließ
sie eine neue Straße, eine Schule, ein Kultur-22-haus, ein Kino, ein Bestattungsgebäude, eine Konditorei, eine Turnhalle und ein öffentliches Bad bauen. Die Dorfleute waren mit Herz und Seele bei der Arbeit dabei.
Solange Salack noch keine Straße hatte, mussten die 180 Grubenarbeiter des Dorfes jeden Tag den Weg zur Bahnstation der Nachbargemeinde, Kárász zu Fuß machen.
Von dort wurden sie mit einem Lastwagen zur Komloer Grube gebracht. Nach Giselas Aufruf kamen 199 Leute aus dem Dorfe zusammen, hauptsächlich Männer und gruben 4,5 km Erdboden für die Straße aus. Das war das erste und wichtigste Ergebnis von begeisterter Zusammenarbeit der Dorfbewohner. Gisela verstand es, Leute für einen guten Zweck zu begeistern.
Sie schuf auch für viele Frauen einen Arbeitsplatz. Die alte Schule wurde zur Schuhfabrik umfunktioniert.
Sie wohnt jetzt zwar in einem Ferienort, im Herzen bleibt sie aber immer eine Salackerin.
In Anna fand sie eine gute Seelenfreundin.
Die beiden Frauen haben viele Ähnlickeiten, was ihr Denken, ihre Verbindung zum Heimatort, ihren Charakter betrifft.
Anna hat am Abend aus ihren Gedichten gelesen und an diesem Tag besucht sie die alten Eltern von Gisela. Der Opa ist 94 Jahre alt, die Lisi 86.
Sie sitzen am Tisch und warten schon auf den Gast. Es ist immer eine große Freude, wenn jemand aus Salack kommt!
Frohes Gespräch über das Dorfleben, über Salacker Geschehnisse, über ihre Gesundheit.
Mit glänzenden Augen erzählt Heinrich über seine Jugend, über sein Leben. Lisi nickt oft mit dem Kopf und lächelt. Sie redet wenig. Als Heinrich trüb vor sich hinschaut un über die Russlandsqualen erzählt, kommen auch bei Lisi die Tränen. Die vielen Jahren, das schwere Schicksal drückt ihre Rücken.
Gisela gesellt sich auch zu uns. Sie sitzt abseits und hört den Eltern wortlos zu. Sie kennt die Geschichten schon und hat sie oft gehört.
Sechzig Jahre – eine lange Zeit, seit Russland.
Und das wahre Märchen begann
Dichte Schneedecke bedeckte die Erde. Das kleine Wächterhaus schaute nur mit den Fenstern aus dem hohen Schnee heraus. Und es hörte nicht auf zu schneien.
Kalter Wind zog über die Gleise. Zwei schwarze Schatten schleppten sich mühsam, den Weg durch die Gleise suchend, im eisigen Wind.
Eine kleine Familie, die Mutter, der Vater und an seinem Hals die kleine Tochter.
Man sah auf Vaters Rücken nur ein schwarzes Bällchen. Das dicke Halstuch bedeckte auch das Gesicht des Kindes. Der Vater hielt es fest, doch behutsam. Er ging vorne mit dem Töchterchen, dahinter die Mutter, Richtung Heimatdorf, Salack.
Es war nach Weihnachten, 1944.
Heinrich arbeitete als Eisenbahnbau-Vorarbeiter.
Er brachte seine kleine Familie vor Weihnachten für acht Tage in Obhut des außenliegenden Wächterhauses. Der alte Wärterkollege wohnte dort. Er passte auf die Frau und auf die Tochter auf.
Der Mann lief täglich in sein kleines Dorf zurück. Er schlief zuhause. Doch jeden Tag ging er arbeiten, wie wenn alles in Ordnung wäre. Tagsüber war er so mit seiner Familie im Wärterhaus.
Weihnachten kam. Der Vater brachte der Familie einen kleinen Weihnachtsbaum, die Mutter schmückte ihn mit bunten Papierschleifen, mit Nüssen und Äpfeln. Der Heilige Abend verlief im stillen Nachdenken und in Angst vor der ungewissen Zukunft.
Inzwischen wurde im Dorf viel über diese unsichere Zukunft gesprochen. Die Leute vermuteten, dass bald etwas geschehen würde. Das war der Grund, warum Heinrich seine Familie im Wärterhaus versteckte.
Adam Neumann war der Richter der Gemeinde. Er gab dem Kleinrichter, Adam Kohlmann die Papiere, die er nach der Messe vor der Kirche vorgelesen hat. „Man müsse in die Batschka gehen, um dort Mais zu ernten, den dort lebenden Leuten zu helfen.”
So brachte Heinrich seine Familie ins Dorf zurück.
Er war dreißig Jahre alt, seine Frau, Elisabeth 22; beides fleißige, arbeitssame, hilfsbereite Menschen.
Am Spätabend des 28. Dezembers 1944 wurden die Männer zwischen 18 und 45 Jahren, die Frauen zwischen 18 und 40 Jahren, deren Namen vorgelesen waren, auf dem „Kiefer Platz” aufgestellt. Heinrich stellte sich auch in die Reihe. Neben ihm seine Frau. An der Hand hielt er Gisela, die fünfjährige kleine Tochter.
Der Richter organisierte Wagen und Pferde. Das Lebensmittel, die Bettwäsche, die Kleidung und was die Leute noch mitnahmen, waren auf den Wagen. Auch die schwangeren Frauen und die Kinder durften mitfahren.
So fuhr Heinrichs Schwägerin, Lenka mit dem Mädchen auf einem Pferdewagen.
Er lief mit Lisi daneben. Mit ihnen liefen Mischka, der Mann von Lenka, Anna und Maria. Vier Mädchen und zwei Ehemänner aus einer Familie!
In Sásd mussten sie von Lenka Abschied nehmen.
Die schwangeren Frauen, die Kranken und die Mütter mit Kleinkindern ließ man zurückkehren.
Doch Gisela war schon fünfeinhalb. Wegen diesem halben Jahr ließ man Lisi, die Mutter nicht zurückgehen.
Sie wollte das Kind nicht aus ihren Armen geben und drückte es fest an sich. Ein Russe hielt seine Waffe auf Lisi gerichtet.
Da kam der Salacker Richter und nahm das verzweifelt weinende Kind der Mutter aus der Hand. Das Mädchen wehrte sich, kratze dem Richter den Hals blutig. Er stellte es auf den Gehweg. Damit war für ihn die Sache erledigt.
Es war schon fast finster. Das zitternde Kind lief in der schneebedeckten Straße herum.
Nicht lange.
Andreas Gossmann, der Kutscher nahm das Kind an der Hand und setzte es auf seinen Pferdewagen. Da saß auch die Tante, die die kleine Gisela schon suchte. Sie drückte das Mädchen ans Herz, doch sie konnte es nur schwer beruhigen. Beide weinten bitterlich.
Lenka bedeckte es mit ihrem warmen Halstuch und wiegte es ein. Gisela schluchzte noch lange, bis sie müde einschlief.
Die Eltern standen mit bleischwerem Herzen, mit tränenfeuchten Augen in der neu aufgestellten Reihe. Aus der Familie Jehn waren fünf Familienmitglieder dabei.
Bald mussten die Menschen ihren Weg nach Pécs/Fünfkirchen weiter zu Fuß fortsetzen. Jetzt schon in der Begleitug von russischen Soldaten.
In der späten Nacht kamen sie in Pécs an.
Es wurde schon an vielen Plätzen von der Ankunft in der Kaserne erzählt, – von dem Stall, in dem sie auf Stroh geschlafen haben, eng wie Heringe und in der eisigen Kälte,
weil es keinen Ofen gab, – von den Jüdinnen, die gekocht haben, – von der lieben Nonne, die mit der schlechten Nachricht kam:
„Meine Lieben, beten wir zusammen. Morgen macht ihr euch auf einen langen Weg – nach Odessa.”
Der lange Zug fuhr die in Viehwaggons eingesperrten, verzweifelten Verschleppten Richtung Russland.
Der Zug nahm seinen Weg zuerst nach Dombóvár, Bátaszék und Baja.
Er fuhr durchs Heimatdorf. Die Qual der Salacker kann man nicht beschreiben, als sie durch den Salacker Bahnhof fuhren, ohne aussteigen zu können!
In Baja hielt der Zug an. Die Menschen wurden auf zwei Fähren getrieben. In der Mitte der Donau verbrachten sie eine harte Nacht.
Die nächste Station war Szabadka.
Und der Zug ratterte und ratterte weiter. Nur eine kurze Pause bei der Grenzstation Jassi.
Nach drei Wochen pausenloser Fahrt kamen sie in der Ukraine an.
Nach den Waggonzahlen wurden sie verteilt. Heinrich mit seiner Frau und noch vier Ehepaare aus Salack waren in den ersten Waggons. Sie mussten in dem südlichen Zentralager bei Grosnij nicht aussteigen.
Der Zug brachte sie noch weiter, in den kalten Ural. Auf dem hohen Berg, worauf ihr Lager war, lag eine dichte Schneedecke. Ein Soldat führte die Gefangenen hinauf. Sie gingen nacheinander. Heinrich lief ganz vorne und als er sich umdrehte, sah er eine lange Reihe von schwarz gekleideten Menschen, wie eine Gänsereihe. Es war eiskalt, sie hatten Angst, dass sie erfrieren würden.
Doch da oben bekamen sie einen guten Platz. Es war endlich warm!
Die Frauen und die Männer bekamen extra Zimmer. Die Räume waren warm und rein. Sie konnten sich ausruhen.
Dann mussten sie zur Arbeit.
Am Berghang arbeiteten sie auf dem Bauplatz und beim Ausheben des 2,5 m tiefen Grabens für die Ölleitung. Unter zwei Meter war es schon gut, da waren die Arbeiter vom eiskalten Wind geschützt. Doch die steinharte Erde nahm ihnen bis zum Abend ihre ganze Kraft.
Die Kost wurde immer schlechter, und sie spürten, dass ihr gutes Leben oben auf dem Berg zu Ende gehen würde.
Schliesslich mussten sie nach Branislau zurückkehren. In diesem Lager war keine Heizung, und die Räume hatten nur einen Boden aus Erde. Das Essen war wenig und schlecht, Brei, Brennessel- und Krautsuppe, rote Rüben. Die Arbeit war hart. Viele mussten im Erzbergwerk arbeiten. Diese starben ganz früh. Die Leute bekamen Läuse. Viele sind an Unterkühlungen und Unterernährung gestorben.
Leute, die krank waren und nicht zur Arbeit gehen konnten, mussten zum Wächter betteln gehen.
In einem Zimmer schliefen 15 Männer. Am Morgen schaute man, wer sich noch regt, wer unbeweglich ist.
Die fünf Ehepaare, die im Zug zusammen waren, teilten auch hier das gemeinsame Schicksal. Das gab ihnen ein wenig Kraft in der schweren Zeit.
Von einem Paar mussten sie sich aber bald trennen. Tekla starb, ihr Mann, der „Simes Hannes” wurde schwerkrank und durfte nach einem Jahr heimkehren.
Nach zwei Jahren durften die Schwestern von Lisi, Anna und Maria heimkehren. Das war eine Freude, doch Lisi, die eine kleine Tochter zurückgelassen hatte, durfte nicht nach Hause. Das Schicksal ist oft ungerecht.
Die vier Ehepaare, darunter Heinrich mit Lisi kamen in den Ural hinauf, nach Objawerski
Auf einer Wiese stand ein Zelt. Es war Mai. Unten glänzte schon der Frühling, oben lag noch Schnee.
In drei Wochen schmolz auch oben der Schnee und es wurde wärmer. Die Sonne ging erst um 11 Uhr unter und um 2 Uhr in der Nacht war sie schon wieder aufgegangen. Hier lebten sie viel besser. So viel Kartoffeln hatten sie noch nie gesehen!
Sie bekamen „anständig” ausgezahlten Stundenlohn, wofür sie sich Lebensmittel kauften. 1947 kam der neue Rubel!
Die Welt änderte sich!
Für den neuen Monatslohn konnte man 10 Brote und 10 Eimer Kartoffeln kaufen! Es gab auch Fleisch!
Das Kalbfleisch war am billigsten.
Jeden Sonntag setzten sie sich ins Lastauto und fuhren ins Dorf. Sie kauften und verkauften alles, wohin sie auch kamen. Wer erfinderisch war, ist am Leben geblieben, wer nicht, ist gestorben.
Heinrich ist krank geworden, er bekam die Malaria und wog 40 kg.
Auch Lisi ging es gesundheitlich nicht gut, sie war sehr mager.
Doch es waren auch schöne Momente in ihrem Leben.
Wenn sie dem Wächter 500 Gramm Brot gaben, durften sie aus dem Lager. Sie unterhielten sich mit Russlanddeutschen, sie sangen, tanzten zusammen.
Dann kam nach Jahren die Nachricht: Sie dürfen heimkehren! Die ersehnte Nachricht!
Zuerst kehrten die Reichsdeutschen, die abgemagerten Sträflinge heim.
Dann, nach einem Monat nach den Deutschen konnten auch die Ungarndeutschen Russland verlassen.
Am Sonntag, den 30. November 1949, schlachtete die Mutter von Lisi in Salack eine Gans und kochte eine feine Suppe daraus. Und sie kochte an diesem Tag noch mehr. Warum, das wusste sie selber nicht. Sie hatte nur so ein seltsames Gefühl!
Gegen Mittag rannten zwei Mädchen, die Töchter des Bahnhofwärters durch das Dorf mit der erfreulichen Nachricht: Die Russländer kommen mit dem Sonderzug um 13 Uhr an!
Heinrich telefonierte dem Wärter aus Mágocs.
Gisela rannte zum Bahnhof. Von allen Seiten liefen die Menschen in eine Richtung, zum Zug!
Als er anhielt und die Internierten ausstiegen, erblickte Gisela ihren Vater! Vor lauter Aufregung und Freude hüpfte sie über einen Busch, um schneller zum Vater zu kommen! Sie sprang ihm um seinen Hals, und er drückte seine Tochter überglücklich an sich.
Neben ihm stand Lisi, doch das Mädchen erkannte die Mutter nicht. In ihren Erinnerungen trug sie lange Haare und eine Tracht.
Jetzt stand eine abgemagerte Frau, mit kurzen Haaren, im Kostüm vor ihr, ganz fremd.
Das war nicht die Mutter aus ihren Erinnerungen! Nicht die, nach derer Wärme sie sich jeden Abend vor dem Schlafengehen sehnte. Nicht die, für die sie mit der Oma jeden Abed betete.
Die Tage sind für das Mädchen ohne ihre Eltern schnell vergangen.
Es ging zur Schule, lernte fleißig und nachmittags spielte es mit dem inzwischen zur Welt gekommenen Sohn der Tante. Gisela half der Oma, schaute dem Großvater in der Tischlerwekstatt zu und spielte mit den Freundinnen am Kirchenplatz, der ihnen gegenüber lag.
Nur die Abende waren schwer, als sie in ihrem Bettchen alleine blieb. Da kam der Schmerz um ihre Eltern, die sie sehr vermisste.
Doch der Tag ist endlich gekommen, sie lag glücklich in den Armen des Vaters.
Alles war für das Mädchen neu, geborgen, die Welt war wieder in Ordnung, voller Hoffnung.
Doch die verlorenen fünf Jahre waren eine Lücke, die niemals zugedeckt wurde.
Das Elternhaus war, solange die Eltern in Russland waren, ein Lagerhaus. Heinrich und Lisi mussten noch zwei bis drei Wochen bei den Großeltern wohnen.
In den Jahren, als die Eltern in Russland gewesen waren, lebte Gisela bei den Großeltern. ihr Haus war ein Lagerhaus, der Staat enteignete es zu diesem Zweck.
Die Eltern räumten ihr Haus aus. Sie weißelten es und zogen endlich ein. 1958 konnten sie das Haus, das einst die Ahnen von Heinrich gebaut hatten, vom Staat zurückkaufen.
Gisela blieb noch ein Jahr lang bei der Oma. Ihre Ausrede war: „Oben sind Mäuse im Haus.” Nach der ersten Freude zog sich das Mädchen zurück. Sie konnte sich nicht so leicht wieder an ihren Vater und an die Mutter gewöhnen.
In den letzten Schuljahren war sie aber wieder mit ihren Eltern zusammen. Sie lernte gut, so kam sie nach Baja zur Mittelschule. Heinrich begleitete sie. Gisela lernte in dem Gebäude, in dem ihre Eltern im damals halbfertig gebauten Haus, fast erfroren, vor ihrer „Russlandreise” einige Tage verbringen mussten. Der Vater stand mit seltsamen, gemischten Gefühlen vor der Schule.
„Nur eine halbe Stunde! So viel hätten wir noch in Baja warten müssen! Dann wären wir nicht nach Russland verschleppt worden! Nur eine halbe Stunde!
Heinrich war Eisenbahnarbeiter, die wurden nicht verschleppt. Die Eisenbahnverwaltung schützte ihre Mitarbeiter. Davon wusste Heinrich nichts. Niemand hatte es ihm gesagt.
Die Verwandten erfuhren es und fuhren nach Baja, um ihn mit seiner Frau zurückzuholen. Doch man konnte nichts mehr tun! Ihr Zug ratterte schon seit einer halben Stunde Richtung Russland.
„Und wenn unsere Tochter nur ein halbes Jahr jünger gewesen wäre, hätte unser Schicksal eine andere Wende genommen!”- seufzte der Vater beim Reden tief.
Schulabschluss, Heirat, Lehrer, später Schuldirektor als Mann, zwei Kinder, viel Arbeit im Heimatdorf als Vorsitzende der Gemeinde, Wohnsitz bei den Eltern. Dann Wegziehen, die Kinder erwachsen, viel Arbeit auch im Kurort, Tod des Mannes. Eltern gealtert und heute bei der Tochter, weit vom Heimatort. In einigen wenigen Worten ein ganzes Leben…
Heinrich schaut nachdenklich vor sich. Ihm sind die Worte ausgegangen…
Heute sind Heinrich und Lisi ein altes Ehepaar, das in der Vergangenheit lebt. In einer Vergangenheit voller Arbeit, Sorgen und Schmerzen, aber auch Freude.
Die fünf verlorenen Jahren brennen immer noch in den Augen, in den Bewegungen, in den Worten, in unausgesprochenen Gedanken.
Eine Familie, die vom Schicksal auseinandergerissen wurde, die wieder zusammenfand. Doch die Trennungswunden heilten nie. Auch nie bei den Leidensgefährten. Nicht neben dem frischen Kaffee, nicht bei Morgentanz der Sonnenstrahlen, bei Amselgesang und Blütenduft im Garten, nicht bei der Liebe und Sorgfalt der einzigen Tochter.