Ich verwehre mich als Viertelschwabe gegen die Worte von Zsolt Semjén, die das Wortspiel Erger-Berger-Schossberger wachrufen

Meinungsartikel von László Szily. Erschienen am 30. 09. 2019 auf dem linksliberalen Portal 444.hu. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Ins Deutsche von Richard Guth.

Erstaunlich viele wissen es nicht oder erinnern sich nicht daran, dass i in Ungarn knapp ein Jahr nach dem Holocaust eine weitere Volksgruppe, bloß aufgrund ihrer Abstammung, ihrer Rechte und ihres Eigentums beraubt, in Viehwaggons geladen und auf das ehemalige Reichsgebiet transportiert wurde. Nicht einmal die Kommunisten waren es, sondern die Mehrparteienkoalitionsregierung. Die Parallele hört an der Stelle auf, dass diese Ungarn deutscher Herkunft dort nicht getötet wurden.

Der stellvertrende Ministerpräsident Zsolt Semjén half aber, dem zu gedenken, als es ihm am Wochenende gelang in eine Pointe verpackt viele Ungarn deutscher und jüdischer Abstammung zu verletzen, indem er gleichzeitig das Zeitalter in Erinnerung rief, als Mitglieder bestimmter Volksgruppen in der Öffentlichkeit durch Anspielungen auf den Namen erniedrigt wurden.

Semjén ging in einem Abschnitt seiner Rede, die er auf dem Parteikongress von Fidesz hielt, auf die politischen Gegner der Partei ein, die er so charakterisierte:

Wie ist es bei ihnen um die Werte und menschliche Qualitäten bestellt? Ideologisch könnten sie gegensätzlicher nicht sein: ein Sammelsurium von Postnazis, Neomarxisten und Anarcholiberalen. Ich sehe das Firmenschild regelrecht vor meinen geistigen Augen: Sneider & Bauer.”

Semjén oder sein Redenschreiber ist darüber hinaus ein feiger Provokator, denn dafür, dass man ihn nicht des Rassismus bezichtigen kann, hat er zwei existierende Politikernamen herausgepickt für das Ergerberger-Wortspiel des Jahres 2019. Jedoch steht der König ganz offensichtlich ohne Kleider da: Tamás (Thomas) Sneider ist Vorsitzender von Jobbik, so repräsentiert er durchaus die eine oder andere Facette von diesem Zusammenschluss der Opposition, wohingegen Tamás Bauer von der Gyurcsány-Partei seit Jahren politisch völlig ohne Gewicht ist, er ist weder Mitglied der DK-Führung noch der Fraktion – so erklärt sich seine Aufnahme durch das Bestreben, für das Konzept „Deutscher-Schwabe-Nazi-Jude” einen jüdisch klingenden Namen zu beschaffen. Auf Anhieb könnte man gut einhundert Oppositionspolitiker nennen, die viel eher für das Linksaußen dieses Anti-Fidesz-Zusammenschlusses stehen. Eigentlich jeder X-Beliebige hätte dafür stehen können.

Also Postnazis gleich Schwaben und Neomarxisten sowie Anarcholiberale gleich Juden. Also keine anständigen Ungarn (Madjaren?).

Das Reiten auf deutsch klingenden Namen ist so kindisch wie peinlich, selbst beim Sonntagsessen oder bei einer Trinkgelage, wo normalerweise solche Späßchen gemacht werden, ganz zu schweigen von einer öffentlichen Veranstaltung der Regierungspartei.

Meine Großmutter väterlicherseits war Nadascher Schwäbin, die erst vor der Einschulung ungarisch gelernt hat, ihr Vater ließ wahrscheinlich wegen den aggressiven Muttersöhnchen á la Semjén seinen Namen von Graul auf Gyikos madjarisieren. Da ich väterlicherseits einen derart schönen adligen Namen habe, widerfuhr mir in meinem Leben noch keine Beleidigung deshalb, weil ich – zum Teil – deutscher Abstammung bin. Zsolt Semjén gelang es jetzt, wozu ich ihm gratulieren möchte.

(Er hat es geschafft, auch die Juden zu verletzen. – Der Autor bringt den Link zu einem Beitrag der jüdischen Zeitschrift für Politik und Kultur „Szombat”. Darin spricht der Autor von fremdenfeindlichen Aussagen eines Politikers, was angesichts der Traumata des 20. Jahrhunderts wie die Judenverfolgung und die Vertreibung der Schwaben ein Nonsense sei. Er mache damit Stimmung – indirekt gegen Juden und Deutsche gleichermaßen, was vom Publikum schmunzelnd aufgenommen wird (wie man es auf dem Mitschnitt von Hír TV auch hört). Er hätte anstelle dessen auch ungarisch klingende Politikernamen nehmen können, so Szombat. Die Zeitschrift moniert, dass Ministerpräsident Viktor Orbán gleichzeitig die Juden in Ungarn zum jüdischen Neujahr beglückwünschte. Die Akzeptanz oder Praxis dieser Doppelzüngigkeit würde – unter anderem christliche – Werte verletzen, so der Autor des „Szombat”-Beitrags. – Anm. R. G.)  

Und dass das gleichzeitige Nennen von schwäbischen und jüdischen Namen nicht dem Zufall geschuldet ist bzw. ohne Vorbild ist, darüber schreibt der Historiker Krisztián Ungváry in seinem Aufsatz „Kitelepítés, lakosságcsere és a holokauszt egyes összefüggései”:

Nach 1939 hielt Hóman das Zusammensiedeln der Deutschen innerhalb des Landes für unbedingt notwendig, weil er die Dissimilierung der schwäbischen Bevölkerung in den ethnisch gemischten Dörfern als gefährlich erachtete. Horthy stand äußerst positiv zur Frage der Vertreibung der Deutschen. „Er hielt die Rede Hitlers vom 06. Oktober 1939 für „eine ausgezeichnete Idee”, in der dieser allgemein von einer Rücksiedlung (Heim ins Reich) der Auslandsdeutschen sprach, und Horthy stellte in seinem Brief an Hitler vom 3. November 1939 fest, dass man das auf alle Minderheiten anwenden sollte. Er betonte ausdrücklich, welch ein Gewinn es für Deutschland wäre, wenn es „unsere tüchtigen Schwaben” bekommen würde, „die wir stets sehr mochten und die wohl die besten Landwirte und Landarbeiter unter den für die Repatriierung in Erwägung Gezogenen sind. Auch in der Frage der Namensmadjarisierung nahm er die Schwaben und die Juden unter einen Hut, unter dem Motto, dass es ausgesprochen schädlich sei, dass dies die „Rassenveredelung” behindere.”

Wir müssen hinzufügen, dass dies nicht nur für die horthystische Rechte charakteristisch war:

Nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition hat mit der Idee der Vertreibung liebäugelt. Károly Peyer ließ auf dem 33. Kongress der Sozialdemokratischen Partei am 13. Dezember 1942 verlauten: „Es wird eine solche Schicht (hier wohl Bevölkerungsgruppe gemeint, R. G.) geben, mit der wir nicht anders verfahren werden können, als sie außer Landes zu bringen, so wie es auch in anderen Teilen Europas geschieht.” Der Hetze hat sich auch Béla Varga angeschlossen: Die Formel „mit einem Bündel” gebrauchte er in der Öffentlichkeit im Parlament zum ersten Mal gegen die Schwaben.”

Der große Plan wurde 1946-48 von der Koalitionsregierung unter kommunistischer Führung umgesetzt. Also war Zsolt Semjén mit diesem „Späßchen” viel eher geistiger Erbe der von den Kommunisten angeführten Linken als der der Horthysten, da Ursache für die Vertreibungsaktion der Erstgenannten die verlogene Gleichstellung der Ungarndeutschen mit den Nazis war.  

Die Proletenhaftigkeit Semjéns wird heute sicher nicht die Wirkung entfalten können, aber es ist schleierhaft, was das 2019 überhaupt soll.

Quelle: https://444.hu/2019/09/30/14-svabkent-kerem-ki-magamnak-az-erger-berger-schossbergerezes-emleket-feleleszto-semjen-zsolt-szavait

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