Während des Kalten Krieges verkaufte der kommunistische Diktator Ceausescu Rumäniendeutsche an die Bundesrepublik. Die geheimen Vereinbarungen ermöglichten 226000 Menschen ein Leben in Freiheit. Die Ausreisewelle traf die deutsche Minderheit in Rumänien bis ins Mark.
Ein Beitrag von Marco Kauffmann Bossart. Erschienen am 20. Dezember 2018 in der „Neue Zürcher Zeitung”. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Neue Zürcher Zeitung AG Zürich.
Wo an diesem Vormittag Canapés und Weisswein gereicht werden, feilschten Unterhändler bis 1989 mit harten Bandagen um Kopfgelder für Rumäniendeutsche: auf dem «Executive Floor» im 21. Stock des Bukarester Hotels Intercontinental, bekannt auch als Treffpunkt von Spionen und zwielichtigen Geschäftsleuten zu Zeiten des Kalten Krieges. Das kommunistische Regime dürstete nach Devisen, Luxusgütern und technischen Geräten. Die Bundesregierung wollte der nach 1945 drangsalierten deutschen Minderheit die Ausreise aus dem Gefängnis-Staat ermöglichen.
Die Kosten der einst streng geheimen Operation «Kanal» beliefen sich auf über eine Milliarde Mark. 226 000 Rumäniendeutsche verliessen zwischen 1968 und 1989 die sozialistische Diktatur. In der Anfangsphase händigte der Emissär der deutschen Bundesregierung, Heinz Günther Hüsch, Tausendernoten in einer zum Bersten vollen Koffertasche aus. Quittungen wurden nicht ausgestellt. Später liefen die Zahlungen über die rumänische Aussenhandelsbank in Frankfurt, einige Male auch über die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. In Rumänien regelten die Parteien die Einzelheiten in zähen Unterredungen im «Intercontinental», einem bis 1989 über alle Böden und Wände verwanzten Betonturm am Bulevardul Nicolae Balcescu, aber auch in Hinterzimmern zweier anderer Bukarester Hotels sowie im rumänischen Aussenhandelsministerium.
Wer heute aus der «Executive Lounge» des «Intercontinental» schaut, überblickt die Wirkungsstätten der damaligen Protagonisten: Das «Haus des Volkes», an dessen monströse Dimensionen sich das menschliche Auge nie gewöhnen kann, sollte zur Schaltzentrale des rumänischen Herrschers Nicolae Ceausescu werden. Der 1989 hingerichtete Diktator hat den Verkauf der Deutschen höchstpersönlich überwacht. Auch erkennt man das Dach des Hauptsitzes des früheren Geheimdienstes Securitate – einer Behörde, die für Erpressung, Einschüchterung und Folter stand.
«Wir werden alles abstreiten müssen»
2000 Kilometer Luftlinie von Bukarest entfernt, in Neuss bei Düsseldorf, treffen wir die Schlüsselperson auf deutscher Seite: Heinz Günther Hüsch, promovierter Rechtsanwalt und langjähriger Bundestagsabgeordneter der CDU. Von 1968 bis 1989 führte er die Verhandlungen – hartnäckig, penibel, diskret. Er hatte in dieser Zeit mit vier deutschen Kanzlern (Kiesinger, Brandt, Schmidt und Kohl) sowie sechs rumänischen Unterhändlern zu tun.
Im Oktober 1967 war Hüsch nach eigenen Worten als Feld-Wald-und Wiesen-Anwalt unterwegs, als ihm Gerd Lemmer, der Staatssekretär im Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, die delikate Mission antrug. Die sozialistische Republik bestand auf Geheimhaltung, Deutschland kam sie nicht ungelegen. «Wir werden alles abstreiten müssen, wenn etwas schiefläuft», beschied ihm Lemmer. Dass die Bundesrepublik einwilligte, Millionen an ein Unrechtsregime zu zahlen, war politisch brisant.
Hüsch, heute 89 Jahre alt, hat in seiner Wohnung ein Wägelchen mit Dutzenden von Ordnern aufgereiht – eine akribische Chronik der diskreten Verhandlungen um Ausreisekontingente, Notizen zu Beratungen mit Bundeskanzler Helmut Kohl, der persönlich über den Verlauf der Verhandlungen informiert werden wollte, oder ein Nummernverzeichnis von Banknoten, die er den Rumänen übergeben hatte.
Vier Jahrzehnte lang musste Hüsch, von der Securitate mit dem Decknamen «Eduard» versehen, seine Erinnerungen für sich behalten. 2009 entband ihn der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble offiziell von der Schweigepflicht. Danach trat Hüsch an Fachtagungen auf. Er veröffentlichte einen Aufsatz- und Materialienband, unter anderem mit Eindrücken von einem bizarren Treffen mit Nicolae Ceausescu am 3. Oktober 1988. Hüsch sollte im Auftrag von Bundeskanzler Helmut Kohl höhere Ausreisezahlen erwirken. Doch Ceausescu blieb stur und lehnte Hilfsangebote ab. Dem rumänischen Volk – das Ende der 1980er Jahre hungerte und fror – gehe es prima. Vielmehr denke er daran, deutschen Arbeitslosen Hilfspakete zu schicken.
Hüsch, der trotz seinem hohen Alter während vier Stunden konzis, detailgetreu und ohne Pause Fragen beantwortet, erinnert sich an einen Mann mit massloser Selbstüberschätzung, umgeben von einer unterwürfigen Armada von Adlaten. Fühlte sich der Herrscher angegriffen, lief sein Gesicht rot an.
Zuchtvieh gegen Ausreisebewilligungen
Bis 1968 hatte Deutschland mit Rumänien über Einzelfälle verhandelt. Henry Jakober, ein britischer Geschäftsmann ungarisch-siebenbürgisch-jüdischer Abstammung, fädelte ziemlich krude Tauschgeschäfte ein: Zuchtvieh und Maschinen gegen Ausreisebewilligungen für jüdische, aber auch rumäniendeutsche Ausreisewillige. Später arrangierte der Anwalt Ewald Garlepp im Auftrag des Auswärtigen Amtes die Ausreise von Rumäniendeutschen gegen hohe Devisenbeträge. Bemühungen für ein umfassendes Abkommen zerschlugen sich zunächst.
Erst in der Ära Hüsch entstand eine Art Abkaufsystem. Als einziges Ostblockland verlangte Rumänien ein Kopfgeld für jeden Ausreisewilligen. Im ersten schriftlichen Vertrag, unterzeichnet am 7. März 1969 in Stockholm, einigten sich die Unterhändler auf vier Kategorien: Für Akademiker wurde eine Abgeltungssumme von 11 000 Mark vereinbart. Für Studierende ohne Studienabschluss gab es einen Rabatt («Kategorie B2: 7000 DM, Studenten in letzten beiden Jahren ihrer Ausbildung»). Lediglich 1800 Mark waren für Rumäniendeutsche ohne berufliche Ausbildung und Pensionierte zu entrichten. Bei Erreichung bestimmter Aussiedlerquoten winkte Rumänien ein Bonus. Die Verträge tragen die Unterschrift Hüschs. Man habe sich sozusagen im Gebiet des Ganovenrechts bewegt, bemerkt der Neusser Rechtsanwalt. Es waren Vereinbarungen ohne Rechtsetzung und Gerichtsbarkeit. «Die Verträge galten, solange sich beide Seiten daran hielten.» Dass es sich de facto um Übereinkünfte zwischen Staaten handelte, ging daraus nicht hervor. (…)
Das Freikauf-Arrangement wurde über die Jahre hinweg modifiziert. Auf Hüschs Druck führte man eine Pauschalsumme für Ausreisewillige ein. Zusätzlich verlangte Rumänien Zins- und Kreditsubventionen. Gleich blieb der Grundmechanismus: Freiheit gegen Geld. Die Unterhändler aus dem kommunistischen Reich legten zudem Bestelllisten mit Medikamenten oder Jagdwaffen («Marke Mauser mit Fernrohr») vor. Auf Wunsch Ceausescus orderten seine Helfershelfer auch ein bestimmtes Mercedes-Modell.
Erdöl, Juden und Deutsche seien Rumäniens wertvollste Exportgüter, soll der paranoide Machthaber geprahlt haben. Es gibt zwar keinen zweifelsfreien Beleg für diese Aussage. Unbestritten ist freilich, dass der Diktator erkannte, dass sich mit rumänischen Staatsbürgern deutscher Nationalität – wie sie offiziell hiessen – Kasse machen lässt. Unterhalten wurde die Geldmaschine von den Securitate-Kadern, die mit Hüsch um Quoten und Konditionen stritten.
Geheimtreffen in Zürich
Dokumente aus dem Securitate-Archiv in Bukarest belegen, dass Ceausescu über die Einzelheiten bestens im Bild war. In unterwürfigem Ton («Wir beantragen, Folgendes melden zu dürfen») rapportierte Innenminister Tudor Postelnicu noch am 30. Juni 1989, ein halbes Jahr vor dem Sturz des Regimes, über Geldtransfers auf ein Konto der rumänischen Aussenhandelsbank. Hüsch wird in der Notiz nie namentlich genannt, sondern lediglich als «Repräsentant der westdeutschen Seite» bezeichnet. Das Schriftstück wurde mit einer Spezial-Schreibmaschine abgefasst, die zwei Zentimeter grosse Buchstaben druckte. Trotz seiner Sehschwäche weigerte sich der Diktator, eine Brille zu tragen. Die diskreten Unterredungen zwischen Hüsch und den Securitate-Offizieren fanden meist in Bukarest oder Neuss statt, aber auch in Stockholm, Wien, Genf und am Flughafen Zürich.
Im Grossen und Ganzen hielt das kommunistische Regime seine Zusagen ein. Sicherheitshalber wurden die Abgeltungsbeträge aber erst bezahlt, nachdem die Rumäniendeutschen die Durchgangsstelle für Aussiedler in Nürnberg erreicht hatten. Gleichzeitig betrieb die Securitate ein dreistes Zusatzgeschäft. Wer sich eine Chance auf eine schnelle Ausreise ausrechnen wollte, musste die Geheimdienstler kräftig schmieren. Wie die Historikerin Hannelore Baier dokumentierte, waren diese Zusatzforderungen nicht einfach das Werk einiger korrupter Beamter. Dieselben Spitzenfunktionäre, die mit Hüsch über «reguläre» Kopfgelder verhandelten, initiierten und koordinierten die Schmiergeldzahlungen. Der deutsche Rechtsanwalt protestierte schriftlich gegen diese Praxis. Offenkundig mit wenig Erfolg.
«Hände hoch, Hitlerist!»
In Hermannstadt, dem Herz Siebenbürgens, führt uns Wienfried Senker zu seinem ehemaligen Zuhause. Das historische Zentrum wirkt hübsch herausgeputzt, als hätte man eine deutsche Kleinstadt um ein paar tausend Kilometer verschoben und hierher verpflanzt. Die Schulgasse hingegen, wo der baumlange Rumäniendeutsche aufwuchs, ist bis heute eine düstere Wohnsiedlung. Senker biegt bei der Nr. 15 ab, einem schäbigen Mehrfamilienhaus. Im Hinterhof sammeln sich Abfall und Steine. Vom Grundstück nebenan meldet sich lauthals ein kläffender Hund.
Die Familie Senker – der Vater Wollfärber, die Mutter Näherin – wohnte im Parterre. 16 Quadratmeter für fünf Personen. Senker schlief auf einem Klappbett unter dem Absatz einer Treppe, die in den ersten Stock führte, zur Wohnung eines Obersten der Securitate. Wienfried hörte den Geheimdienstler die Treppe hoch- und runtergehen.
Eines Tages habe der Oberst den Eltern zugeflüstert: «Wir wissen, dass ihr wegwollt.» Für seine Hilfe bei der Beschleunigung der Ausreise verlangte der Securitate-Mann 1000 Mark pro Person. Ein Onkel aus München brachte das Bestechungsgeld mit dem Auto nach Hermannstadt. Eine riskante Kurierfahrt; er hätte wegen Devisenschmuggels verhaftet werden können. Andere Vermittler verlangten von Ausreisewilligen Nerzmäntel, Colliers, Feingold in Barren oder Herrenarmbanduhren der Marke Seiko. Dass die Bundesrepublik bereits offiziell für Ausreisewillige zahlte, war den Senkers nicht bewusst.
«Ich musste nicht hungern», summiert der heute 67-Jährige seine damaligen Lebensumstände. Ein Onkel vom Land brachte in einem Holzkoffer gelegentlich ein halbes Schwein. Aber Kinder der deutschen Minderheit wurden gemobbt. Senker schlendert seinen früheren Schulweg entlang und zeigt, wo ihn rumänische Jugendliche einkreisten und riefen: «Hände hoch, Hitlerist!» Tag für Tag war er gezwungen, einen Teil des Weges mit erhobenen Armen zu gehen.
Senkers Eltern wollten eine bessere Zukunft für die Kinder. «Und sie wollten unter Deutschen leben», erinnert sich Senker. Am 23. August 1970, dem Tag, an dem die Sozialistische Republik Rumänien die «Befreiung vom faschistischen Joch» feierte, reisten die Senkers nach Deutschland aus: von Siebenbürgen mit dem Nachtzug nach Bukarest, dann im Flugzeug nach Frankfurt.
Für Wienfried Senker bedeutete der Abschied von Rumänien die Trennung von Jugendfreunden. Doch schienen die Verlockungen der Bundesrepublik die Nachteile aufzuwiegen. Senker studierte in München Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Als in Rumänien das kommunistische Regime weggefegt wurde, kehrte er als Managementberater in seine alte Heimat zurück. Während dreier Jahre leitete er das Büro der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Bukarest.
Humanitäre Mission?
Hüsch, der deutsche Unterhändler, sieht sein Lebenswerk als humanitäre Mission. Er fand es beleidigend, als ihn ein Journalist einmal als «guten Menschenhändler» charakterisierte. Das sei eine bösartige Auslegung seiner Tätigkeit, zumal die Rumäniendeutschen freiwillig ausgereist seien.
Hart ins Gericht mit dem rumänisch-deutschen Freikaufabkommen geht der emeritierte Theologieprofessor Paul Philippi. In Hermannstadt empfängt der 94-Jährige* in seiner Wohnung gegenüber der Stadtpfarrkirche. Er braucht einen Gehstock, sonst aber fast keine Hilfe. «Diese Abkommen haben einen enormen Schaden angerichtet», beklagt er. Dass jeder alleine über die Ausreise entschieden habe, bezeichnet der noch immer engagiert argumentierende Philippi als «Kollektivillusion». Oft hätten selbst die Pfarrer Siebenbürgen den Rücken gekehrt und damit eine Ausreisewelle ausgelöst. «Marschiert der Leithammel weg, zieht die Herde hinterher», umschreibt Philippi das Phänomen. Die evangelische Kirche sei in ihrem Bemühen, die Pfarrer in der Gegend zu halten, katastrophal gescheitert.
Der scharfzüngige Theologe war 1983 von einer Professur an der Universität Heidelberg freiwillig nach Rumänien zurückgekehrt. «Wir sind Teil einer Minderheit, die hierhergehört.» Die geheimen Aussiedlerabkommen hätten die deutschsprachige Gemeinschaft in Rumänien nahezu zerstört, fügt Philippi an. Da in der Ceausescu-Diktatur keine offene Diskussion über das Bleiben oder Gehen stattfinden konnte, entstand nach Philippis Analyse ein von der panischen Angst, allein im Gefängnis-Staat zurückzubleiben, erzeugter Sog. Er habe das Schicksal der rumäniendeutschen Minderheit als Volksgruppe besiegelt. In der Volkszählung von 2011 deklarierten sich nur noch 36 000 Personen oder 0,18 Prozent der rumänischen Bevölkerung als Deutsche, vorwiegend Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben.
Dem gilt es freilich hinzuzufügen, dass die Ausreisewelle unter dem Ceausescu-Regime zwar massiv anschwoll, sich aber auch nach der Wende fortsetzte. Tausende von Rumäniendeutschen wanderten nach der Wende «nach oben» aus, wie man die geografisch nördlich gelegene Bundesrepublik heute noch nennt. Wenngleich die deutsche Minderheit zahlenmässig massiv schrumpfte, ist sie keineswegs ausgestorben. Mit Klaus Iohannis amtiert seit 2014 zum ersten Mal ein Rumäniendeutscher als Staatschef. Wie kaum ein anderer Politiker des zweitärmsten EU-Landes steht der ehemalige Bürgermeister von Hermannstadt für Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen die Korruption, die nach der Wende stark zunahm.
Warten auf Oberst Andronic
Wie die deutsche Stasi hat die rumänische Securitate ihre Operationen akribisch dokumentiert; Einnahmen verbuchte sie auf den Pfennig genau. Im Archiv ausserhalb von Bukarest reihen sich ihre Akten über mehrere Kilometer hinweg. Allerdings erzählt ein Mitarbeiter, dass nach der Revolution von 1989 kistenweise Dokumente in einer Kehrichtverbrennungsanlage gefunden worden seien. Einige angebrannte Seiten konnten von Experten rekonstruiert werden. Vieles mehr dürfte in Rauch aufgegangen sein.
In den vergangenen Jahren haben Arbeiten von Historikern und Journalisten das «Dossier Recuperarea» (Rückgewinnung) – wie es in Rumänien heisst – umfassend ausgeleuchtet. Gleichwohl bleibt manches ungeklärt: Was ist mit all den Geldern passiert, die auf Konten der rumänischen Aussenhandelsbank, aber auch der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel geflossen sind? Die Aussenhandelsbank rasselte in den neunziger Jahren in einen betrügerischen Bankrott. Einige Konten waren plötzlich geleert, und Securitate-Leute wurden auf wunderbare Weise zu kleinen Oligarchen.
Einer, der mehr wissen müsste, heisst Stelian Octavian Andronic, ein ehemaliger Oberst der Securitate, Leiter der Devisen-Sonderoperationen, zuvor in der Gegenspionage und während sechs Jahren der Verhandlungspartner von Hüsch. Die Bitte um ein Gespräch schlägt Andronic, der für den Aussennachrichtendienst auch in der rumänischen Botschaft in Bern auf Posten war, nicht rundweg ab. «Rufen Sie in einer Woche wieder an», weist er den rumänischen Mitarbeiter der NZZ an. Er müsse schauen, ob er Zeit finde, beteuert Andronic, der nach der Wende mit dem deutschen Unterhändler Hüsch über Tankstellen und Flugzeuge ins Geschäft kommen wollte.
Beim nächsten Anruf schlägt Andronic das Café Ambience beim Parcul Floreasca vor. In dem Lokal kostet der Kaffee doppelt so viel wie anderswo in Bukarest. Das «Ambience» grenzt an das einstige Nomenklatura-Quartier, wo Ceausescu eine schwülstige Villa mit eigenem Kino und Innenpool bewohnte. Der vereinbarte Zeitpunkt ist schon längst vorbei. Seine Frau macht am Telefon kurzerhand gesundheitliche Probleme geltend. Weitere Versuche blockt die Gemahlin in den folgenden Monaten freundlich, aber dezidiert ab.
Andronic, auch er schon in den Achtzigern, mag tatsächlich mit den Bürden des Alters kämpfen. Offenkundig noch gut im Schuss ist derweil ein anderer Spitzenmann des berüchtigten Geheimdienstes: Constantin Anghelache, ein promovierter Wirtschaftswissenschafter. Der ehemalige Oberstleutnant präsidierte bis 2015 den Fussballklub Dinamo Bukarest. Der Telefonanruf dauert weniger als fünf Sekunden: Ein Interview? «Nein.» Dann verstummt die Leitung.
____________________________________________
* Der Theologieprofessor Paul Philippi ist nach den Recherchen zu diesem Artikel im Juli 2018 verstorben.
Quelle: https://www.nzz.ch/international/zu-verkaufen-rumaeniendeutsche-ld.1428265