Von Richard Guth
„Unterwart wird immer ungarischer”, so die Antwort der aus Ungarn stammenden Wirtin auf meine Frage hin, wie madjarisch denn das Dorf Unterwart/Alsóőr im Bezirk Oberwart noch ist und verabschiedet sich gleich wieder, denn die Arbeit wartet.
Worauf hier die Wirtin anspielt, ist ein Prozess, der seit Jahren andauert: Immer mehr Ungarn (vornehmlich Madjaren) siedeln sich im Hauptort der Burgenlandmadjaren (oder wie es offiziell heißt: Burgenlandungarn) an, auf der Suche nach einem besseren Leben. „Von den gut 890 Bewohnern (laut Bundesanstalt Statistik Österreich hatte der Ort am 1. Januar 2018 971 Einwohner, davon 271 vorwiegend Deutschsprachige in Eisenzicken, R. G.) gehören nur noch etwa die Hälfte der ungarischen Volksgruppe an. Alle anderen sind erst in den letzten Jahren zugezogen, so eine rumänische Familie mit 12 Kindern, tüchtige Leute”, erzählt ein 82-jähriger pensionierter Versicherungskaufmann, dessen alteingesessene Familie früher eine Ziegelei besaß. Auch ein anderer älterer Herr bestätigt, dass die Madjaren mit oder ohne Ungarn die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten. Der 88-Jährige, dem ich vor der Pfarrkirche begegnete, berichtete auch davon, dass der ungarische/madjarische Charakter des Dorfes markanter wäre als vor 1990. „Selbst solche bekennen sich zum Madjarentum, die es früher eher verschwiegen haben”, sagte er im perfekten Ungarisch. Er selbst habe stets Wert darauf gelegt, mit seiner Frau ausschließlich ungarisch zu sprechen. Er beobachtet, dass im Vergleich zu früher mehr Ungarisch gesprochen würde, was sicherlich auf den Zuzug von Ungarn zurückzuführen ist. Einer von ihnen ist ein Mittfünfziger aus Ostungarn, der mit seiner Familie im Cateringlieferbereich tätig ist. „Von den Älteren sprechen alle Ungarisch, was für mich eine große Erleichterung ist. Selbst im Gemeindehaus komme ich mit Ungarisch durch”, so der Ungar.
Was die Sprachkenntnisse der Jüngeren anbelangt, äußert er Zweifel, wenngleich Kindergarten und Schule auch nach Aussagen meiner Gesprächspartner zweisprachig sind. „Gut Dreiviertel der Kinder in Kindergarten und Schule sind Kinder von Neuzugezogenen. Unser Problem ist, dass wir zu wenige Kinder haben. Früher war das anders, die Bauernfamilien hatten zehn-zwölf Kinder, von denen ja zwar einige im Kindesalter verstorben sind, aber die Familien waren so viel größer als früher”, so der ehemalige Versicherungskaufmann. „Das größte Problem ist das Fehlen von Arbeitsplätzen. Aus der Umgebung von Oberwart pendeln jeden Tag mit Bus und Bahn 3800 Menschen nach Wien. Es gibt zwar auch immerhin 460 Arbeitsplätze in den hiesigen Industrie- und vor allem Dienstleistungsunternehmen, aber nicht alle sind Vollzeitstellen. Die meisten Betriebe sind im Gemeindegebiet Unterwart angesiedelt, was der Gemeinde Einnahmen bringt”, so der 82-Jährige. Sein Werdegang zeigt auch die Strukturschwäche des Ortes, denn er selbst arbeitete jahrzehntelang im Wiener Süden. „Nur wenige haben das Glück, vor Ort eine einträgliche Anstellung zu finden”, ergänzte er. Abwanderung sei dabei ein historisches Phänomen in dieser Region.: Er berichtet davon, dass lange die gräfliche Familie Erdődy der größte Arbeitgeber des Ortes war – die Familie besaß nach Angaben des 82-Jährigen 11 Meierhöfe in der Umgebung; seine Großeltern hätten noch beim Grafen gearbeitet. Das geringe Angebot an Arbeitsmöglichkeiten führte auch zur Auswanderung nach Amerika, 87.000 Menschen insgesamt verließen nach seinen Angaben das Burgenland. „Ich habe mehr Verwandte in den USA als hier”, schmunzelt er.
Und in der Tat begegne ich auf Schritt und Tritt Menschen über 50-60 Jahre, die meisten sind aber wohl im Rentenalter – was natürlich kein repräsentatives Ergebnis ist, sondern ein flüchtiger Eindruck. Nach Angaben meines 88-jährigen Gesprächspartners bemühe sich die Bürgermeisterin Klara Liszt, selber ehemalige Schulleiterin in Wien, Stellung und den zweisprachigen Charakter der Bildungseinrichtungen zu stärken. Im Dorf trifft man auf Schritt und Tritt auf ungarischsprachige Inschriften und Informationen: So sind das Ortsschild, die Aufschriften auf öffentlichen Gebäuden, die Straßenschilder sowie viele Aushänge an den Bildungseinrichtungen, dem Ungarischen Medien- und Informationszentrum und der Kirche zweisprachig. Offizielle Bekanntmachungen sowie kommerzielle Aufschriften und Informationen sind hingegen fast ausschließlich auf Deutsch verfügbar, was dem Gebrauch der ungarischen Sprache doch Grenzen setzt.
Im Vergleich zu Ungarn scheint die Möglichkeit des Gebrauchs der ungarischen Sprache im religiösen Leben viel größer zu sein. Jeden Sonntag findet eine Messe auf Ungarisch statt, die Sprache der Werkstagsmessen bestimme derjenige, für dessen Angehörige die Messen gelesen werden, so mein 88-jähriger Gesprächspartner. Viele der Aushänge sind zweisprachig, der Pfarrer ein Siebenbürger Madjare, von dem mein Gesprächspartner mit Respekt spricht, nicht weniger respektvoll spricht er von Ireneus Galambos, der 25 Jahre lang Pfarrer in Unterwart war und genauso dem Orden der Benediktiner angehört wie der jetzige Pfarrer Adalbert Gáspár. Der Friedhof, meine letzte Station, zeugt auch vom Gebrauch der ungarischen Sprache in Unterwart: Die Mehrheit der Grabmäler sind auf Ungarisch, mit einer gewissen Tendenz zum Deutschen.