Von Patrik Schwarcz-Kiefer
Am 1. Mai feierte das Land den 15. Jahrestag des Beitritts Ungarns in die Europäische Union, und an diesem Sonntag wählen die europäischen Staatsbürger ein neues Parlament für Europa. Was hat die europäische Integration uns, Ungarndeutschen gebracht? Schauen wir uns es genauer an!
Jede Münze hat bekanntlich zwei Seiten, das gilt auch für die Rolle der Europäischen Union im Leben der europäischen Völker wie auch im Leben der Deutschen in Ungarn. Lassen wir uns mit der positiven Seite beginnen.
- Einfacher reisen in die so genannten Mutterländer
Mit Ungarns Beitritt wurde es möglich, dass der Staat Ungarn und seine Bevölkerung engere Kontakte zu den anderen europäischen Völkern knüpft. Nicht nur auf politischer Ebene wurden die Beziehungen vertieft, sondern auch im alltäglichen Leben der Ungarndeutschen; man kann ohne Weiteres nach Österreich, nach Deutschland fahren, um da Zeit zu verbringen. Und dies ist so einfach wie noch nie.
- Deutschsprachiges Studium
Die ungarndeutschen Studenten, die das künftige Rückgrat der deutschen Intelligenz bilden werden, haben die Möglichkeit in Deutschland oder in Österreich ihr ganzes Studium oder nur ein Semester davon (im Rahmen von Erasmus Plus) zu absolvieren. Da kann man die Sprache noch besser erlernen und so kann man nach der Heimkehr die Sprache auf einem höheren Niveau benutzen. Man lernt die Mutterländer besser kennen, seine Beziehung zu diesen wird enger. Und nicht zuletzt: Diese Abschlüsse sind in Ungarn sehr attraktiv.
- Engere wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland
Ungarns Mitgliedschaft ist Garant für die guten und tiefen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Ungarn und Deutschland. Natürlich kann (und soll) man die internationalen deutschen Konzerne aus vielerlei Hinsicht kritisieren, was aber feststeht, ist, dass ohne diese Firmen Ungarn, und dadurch auch die Ungarndeutschen, ärmer wären. Und nicht zu vergessen: Jeder hat einen Verwandten, der bei einem deutschen Unternehmen arbeitet, oft in leitender Position 😉
- Frieden
Zum Glück herrscht seit der Gründung der EU (mit einer Ausnahme) Frieden in Europa. Diejenigen, die das Grauen des Zweiten Weltkriegs und seine Folgen erlebt haben, wissen genau, was Krieg bedeutet und für das Ungarndeutschtum bedeutete. Die EU kann weiterhin garantieren, dass nie wieder solche Grausamkeiten geschehen wie früher.
Und jetzt kommt die schwarze Suppe (schön aus dem Ungarischen spiegelübersetzt), die bittere Seite.
- Bisher nie da gewesene Auswanderungswelle
Obwohl aus der Europäischen Union soviel Geld nach Ungarn geflossen ist wie im Rahmen des Marshallplans in das in Trümmern liegende Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, konnte das Land davon in den vergangenen 15 Jahren aus verschiedenen Gründen nicht viel profitieren. Wie auch im Sonntagsblatt berichtet wurde, ist die Branau ein großer Verlierer dieses Prozesses. Wegen der schlimmen wirtschaftlichen Situation oder nach einer anderen Interpretation aus Abenteuerlust sind viele Ungarndeutsche nach Österreich und Deutschland gegangen oder zumindest macht ihr Leben das wöchentliche oder monatliche Pendeln aus. Natürlich ist dies für das private Leben der Betroffenen vom Vorteil (mehr Einkommen pro Monat). Aber für unsere gesamte Volksgruppe ist es eine sehr negative Entwicklung.
- Ein echtes Feindbild
Obwohl ich damit nicht einverstanden bin, das man ständig gegen “BRÜSSEL” kämpft (ohne in Anspruch zu nehmen, dass wir Teil dieses “BRÜSSELS” sind) kann man das Thema nicht überspringen oder unkommentiert lassen. Viele unserer Landsleute rufen Brüssel “STOP!” zu, da sie mit der vermeintlichen oder wahren Leistung der EU nicht zufrieden sind.
- Keine Behandlung von Minderheitenthemen auf EU-Ebene
Nicht aus Versehen unterstütze die JBG als erste Zivilorganisation des Landes die Initiative “Minority SafePack”. Die Rechte der autochthonen Minderheiten werden auf europäischer Ebene nicht berücksichtigt, obwohl ein europäisches Minimum wünschenswert wäre. Ein wichtiger Punkt der Initiative war, dass die von Minderheiten bewohnten Regionen auch wirtschaftlich mehr bekommen, um die Fähigkeit der jeweiligen Region zu fördern, ihre Bevölkerung zu halten. Am besten wäre es, wenn es einen EU-Kommissar nur für die autochthonen Minderheiten gäbe.
Beide Seiten der Liste könnten noch erweitert werden, das Ziel war nicht, dass man damit eine vollständige Meinung über die EU vermittelt bekommt. Ganz im Gegenteil: Am Sonntag wird entschieden, in was für einem Europa wir und unsere Kinder und Enkelkinder leben werden. Was sicher ist, dass ohne Zusammenarbeit und Kooperation die europäischen Länder auf der Weltbühne nicht überleben werden. Darum geht’s am Sonntag, deshalb bitten wir alle, an der Wahl teilzunehmen und nach bestem Wissen und Gewissen die Stimme abzugeben.