SB-Interview mit Dr. Lampl-Mészáros: „Ohne Sprachgebrauch keine Identität”

Interview mit  Dr. Zsuzsanna Lampl-Mészáros, Leiterin der Sektion Demografische und Soziologische Studien des Fórum-Instituts Sommerein/Šamorín und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Konstantin-Universität Neutra/Nitra

 

SB: Frau Dr. Lampl, in den letzten Monaten konnte man auch im Ausland viel über innenpolitische Ereignisse der Slowakei lesen. Helfen Sie uns, was passiert bzw. was ist in der Slowakei passiert?

 

ZSL: Februar vergangenen Jahres wurden ein Journalist und seine Frau ermordet. Sowas ist in der Slowakei noch nie vorgekommen. Die Medien meinten bereits am Tag des Mordes zu wissen, dass das eine Tat der italienischen Mafia gewesen wäre, die eng mit der Regierung verwoben wäre. Wenige Stunden nach der Bekanntgabe des Mordes begannen im Facebook die Vorbereitungen auf die Antiregierungsdemos, diejenigen Kundgebungen, von denen wir später und seitdem überall lesen konnten, dass sie spontan zustande gekommen wären, unter der Führung von lediglich einigen unabhängigen Studenten im Hintergrund. Aufgrund des großen Drucks dankte nach einiger Zeit der Innenminister, dann der Ministerpräsident ab, die Regierung wurde aber nicht gestürzt. Die Ermittlungen wurden von Anfang an misstrauisch beobachtet, die Medien und die Opposition wollten sofort Ergebnisse haben, während sie daran zweifelten, dass die slowakischen Behörden sowas überhaupt vollbringen können. Seitdem wurden die Täter des Doppelmordes gestellt, einer der möglichen Drahtzieher wurde verhaftet, der ein bekannter slowakischer Unternehmer ist, aber der Fall ist nicht abgeschlossen. Ich halte jeden Mord für furchtbar und intolerabel und auch die Liquidierung dieser zwei jungen Menschen ist inakzeptabel wie auch die von anderen Journalisten in der Welt vor und nach dieser Tat. Aber für mich ging es  bei diesen Ereignissen vordergründig um die Macht der Medien und die Manipulation durch die Medien. Die Stimmungsmache, der zügellose Hass ohne Beweise und der „Hyänismus”, die ich erlebt habe, waren erschreckend.

 

SB: Eine Besonderheit der diesjährigen Präsidentschaftswahlen ist, dass es zwei slowakeimadjarische Kandidaten gibt: Einer tritt als Kandidat der Partei der Madjarischen Koalition (MKP), der andere als der von Brücke (Most-Híd) an. Wie nahm die slowakeimadjarische und slowakische Öffentlichkeit diese doppelte Nominierung auf (das Interview wurde vor den slowakischen Präsidentschaftswahlen im März geführt, R. G.)?

 

ZSL: In der Tat, es gibt zwei madjarische Kandidaten, noch dazu zwei Parteivorsitzende. Seitens der MKP geht József Menyhárt, seitens Most-Híd Béla Bugár ins Rennen. Die MKP hatte in der Person von Gyula Bárdos früher bereits einen Kandidaten, der 2014 5% erreichte. Bezüglich der Nominierungen gab es seitens der Madjaren unterschiedliche Reaktionen. Einige sagen, dass man einen gemeinsamen Kandidaten hätte nominieren sollen, um zu zeigen, dass es wenigstens in einer Sache eine Art Zusammenschluss zwischen beiden Parten gibt. Natürlich haben beide Kandidaten Sympathisanten und Gegner, aber keiner glaubt wirklich daran, dass die Slowakei einen madjarischen Präsidenten bekommt, obwohl es bereits einen Nationalitätenpräsidenten gab, denn Rudolf Schuster entstammt angeblich der karpatendeutschen Gemeinschaft (aber Herkunft und Nationalität sind zwei Paar Schuhe und Schuster ist offiziell slowakischer Nationalität). Ein interessantes Zwischenspiel stellte eine Wortmeldung von Pál Csáky MdEP dar, der sagte, dass ein anständiger Madjare nicht für Bugár stimmen könne. Im Übrigen würde nach einer Januar-Umfrage Bugár 10,5%, Menyhárt 1,5% bekommen. Unter den 16 Kandidaten stünde demnach Bugár auf Platz 5, Menyhárt Kopf an Kopf mit einem anderen Kandidaten auf Platz 11.

 

SB: Als Forscherin beschäftigen Sie sich in erster Linie mit der Soziologie der Slowakeimadjaren. Die Volkszählungen nach der Wende zeigen, dass die Madjaren kontinuierlich an Terrain verlieren: Die Zahl der Madjaren betrug 1991 567.000, zwanzig Jahre später gut 100 000 weniger. Welche Gründe und Tendenzen stehen hinter den nackten Zahlen?

 

ZSL: Der Rückgang ist durch das Zusammenwirken von vier Faktoren zu erklären. Diese sind die unbekannte Nationalität, der natürliche Bevölkerungsrückgang, die verdeckte Migration und die Assimilierung. Es gab 2011 382 493 Menschen unbekannter Nationalität, also Bürger, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Nationalität nicht angegeben haben, das entspricht 7% der Bevölkerung. Wahrscheinlich gibt es auch Madjaren unter ihnen, jedoch ist das Verschweigen der Nationalität nicht madjarenspezifisch, denn demografische Kalkulationen zeigen, je mehr Madjaren in einer Gemeinde leben, desto kleiner ist die Zahl der Menschen unbekannter Nationalität. Bei der verdeckten Migration geht es um Menschen, die slowakische Staatsbürger unterschiedlicher Nationalität sind und aus welchem Grund auch immer kürzere oder längere Zeit im Ausland verbringen; aber da ihre Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben wird, hat ihr Auslandsaufenthalt statistisch keine Spuren. Laut des Slowakischen Landesamtes für Statistik arbeiteten im dritten Quartal von 2018 139 000 slowakische Staatsbürger im Ausland, aber wir wissen nicht, wer unter ihnen madjarischer Nationalität ist. Von einem natürlichen Bevölkerungsrückgang sprechen wir dann, wenn es weniger Geburten als Sterbefälle gibt. Dies betrifft die Slowakeimadjaren im besonderen Maße, da die Reproduktion um 15-20 % unter dem Landesdurchschnitt liegt. Das liegt an der geringen Geburtenrate. Die Slowakeimadjaren können sich weder biologisch noch ethnisch in genügendem Maße reproduzieren. Bei der biologischen Reproduktion geht es darum, dass eine madjarische Mutter ein Kind bekommt. Bei der ethnischen, dass sie ein madjarisches Kind bekommt. Keine ist ausreichend. Und so sind wir beim letzten Faktor angekommen, bei der Assimilierung, deren Prozess sich kaum von der Vergangenheit trennen lässt, nur in deren Kontext zu verstehen ist, in dessen Folge sich ein Teil der Menschen madjarischer Nationalität veranlasst fühlt, zuerst den Slowaken zu ähneln und dann zunehmend slowakisch zu werden. Nach Berechnung des Demografen László Gyurgyík tragen die unbekannte Nationalität mit 10%, die verdeckte Migration mit 4%, der natürliche Rückgang mit 26% und die Assimilierung mit 60% dem Rückgang der Zahl der Madjaren bei. Grund Nummer 1 für den Rückgang ist die Assimilierung.

 

SB: In Ungarn ist die Zahl der Mischehen in jeder Minderheitengemeinschaft hoch. Wie charakteristisch ist sie im Kreise der Slowakeimadjaren und welche Konsequenzen hat sie hinsichtlich der Identität der Kinder, die in solchen Beziehungen aufwachsen?

 

ZSL: Das trifft auch auf die Slowakeimadjaren zu. Der Anteil der Mischehen steigt von Generation zu Generation und wie alle soziologischen Untersuchungen der vergangenen 20-25 Jahre zeigen, ist die Mehrheit der Kinder, die in einer madjarisch-slowakischen Familie geboren wurden, slowakischer Nationalität. Da ich über Slowakeimadjaren forsche, kann ich keine Angaben dazu machen, wie sich die nationale Identität der Menschen slowakischer Nationalität entwickelt. Jedoch hat der Zustand der nationalen Identität vier Schlüsselfaktoren und wie sich die nationale Identität entwickeln wird, hängt vordergründig davon ab, welche Entscheidungen auf diesen Gebieten jeweils getroffen werden und wie sich die daraus ergebenden Lebenssituationen kombinieren.

 

Der erste Faktor ist die Herkunft. Die Entscheidungsfragen hierbei lauten, welcher Nationalität das Kind wird, ob es die Nationalität der Eltern weiterträgt beziehungsweise – wenn es sich um Eltern unterschiedlicher Nationalität handelt – wessen Nationalität es annimmt.

 

Der zweite Faktor ist die Unterrichtssprache in der Grundschule. Wenn das Kind in einer slowakischen Grundschule eingeschrieben wird, stärkt das die slowakische Identität. Wohlgemerkt werden die Kinder slowakischer Nationalität auf slowakische Schulen geschickt, auch dann, wenn ein Elternteil Madjare ist; es gibt sogar madjarische Paare, deren madjarische Kinder die slowakische Schule besuchen. Dadurch wird die madjarische Identität des madjarischen Kindes geschwächt und noch mehr, so Untersuchungsergebnisse, auch die madjarische Identität der Eltern und oft der Großeltern wird schwächer, da das Kind, das eine slowakische Schule besucht, oft auch zu Hause nicht mehr bereit ist, ungarisch zu sprechen und die ganze Familie passt sich ihm an, wodurch auf Generationen zurück die madjarische Identität geschwächt wird.

 

Denn der dritte Faktor ist die Muttersprache. „In ihrer Sprache lebt die Nation” scheint eine Phrase zu sein, aber entspricht auch der Realität. Die Sprache und im Zusammenhang damit die Identität können nur dann existieren, wenn man die Sprache verwendet und zwar zu Hause, in der Schule, in der Öffentlichkeit, im Wort und virtuell.

 

Der vierte Faktor ist die Nationalität des Ehepartners/Lebensgefährten. Wie schon erwähnt beeinflusst der Umstand, ob jemand in einer ethnisch homogenen oder in einer Mischbeziehung lebt, in besonderem Maße die Entwicklung der nationalen und Nationalitätenidentität des erwarteten Kindes und der ganzen Familie. Und so sind wir zum Anfang des Prozesses zurückgekehrt.

 

Als interessantes Detail möchte ich einige Daten aus der jüngsten repräsentativen Umfrage des Fórum-Insituts, die Sommer 2018 im Kreise von 800 slowakeimadjarischen Erwachsenen durchgeführt wurde, nennen: 73% der Befragten halten es für wichtig, dass man Madjare bleibt, 72%, dass es in einer madjarisch bewohnten Gemeinde eine ungarische Schule gibt, 69%, dass auch ihre Kinder Madjaren bleiben, 63%, dass ihre Kinder die madjarische Grundschule besuchen. Im Gegenzug halten es lediglich 39% für sehr wichtig, dass die madjarischen Jugendlichen madjarische Partner haben.

 

SB: Seit einigen Jahren verbringe ich das letzte Juniwochenende auf einem Pressburger Festival zusammen mit einem Freundeskreis. Dessen Mitglieder stammen aus dem Landkreis Schelle/Šaľa/Vágsellye, Slowaken und Madjaren gleichermaßen. Was mich überrascht hat, ist der Umstand, dass jeder von ihnen mehr oder weniger ungarisch spricht. Inwiefern spiegelt es heutzutage die Realität wider und welche Tendenzen lassen sich auf dem Gebiet der Mehrsprachigkeit beobachten?

 

ZSL: Die Mischehen haben meiner Meinung nach zwei Typen. Der eine ist die klassische Mischehe, worunter ich eine slowakisch-madjarisch oder madjarisch-slowakische Ehe verstehe, in der der slowakische Partner keine madjarischen Vorfahren hat, wir könnten sagen, ein Urslowake. Diese Slowaken sprechen in der Regel kein Ungarisch. Den anderen Typ von Mischehe nenne ich mehrfache Mischehe. In diesem Fall hat der slowakische Partner madjarische Vorfahren. Er selbst ist auch in einer Mischehe geboren – womöglich im klassischen Sinne oder in dem der mehrfachen Mischehe –, aber nicht selten sind beide Eltern Madjaren. Ein Teil dieser Slowaken kann mehr oder weniger Ungarisch und ist bereit in bestimmten Situationen auch ungarisch zu sprechen. Das habe ich mehrfach erfahren, zuletzt im Sommer, auf einer organisierten Reise in Sizilien. Wir waren etwa 20 Personen. Nur mein Mann und ich sprachen ungarisch, aber als wir uns etwas nähergekommen sind, fing die Hälfte der Reisegruppe an, ungarisch zu sprechen. Wenn nicht anders, dann in der Gestalt, dass sie ein-zwei Wörter auf Ungarisch gesagt haben, gleich hinzufügend, dass sie mit der Oma noch ungarisch gesprochen haben, aber dass es lange her sei und sie sich nur an diese Wörter erinnern würden. Und das waren nicht nur Menschen aus der Südslowakei! Es gibt also sowas, aber ich würde es nicht Mehrsprachigkeit nennen, weil es unwahrscheinlich ist, dass diese Menschen in jeder Situation bereit wären, ungarisch zu sprechen, weil es eine Art Gemeinschaft mit den Madjaren bedeuten könnte; ich habe auch solche getroffen, die sich schämten, dass sie nur schlecht oder nur auf Küchensprachniveau ungarisch sprachen. Im Übrigen sind auch die Madjaren nicht jederzeit bereit ungarisch zu sprechen: 20% der Befragten der genannten Umfrage sind der Meinung, dass man nur dann zum Madjarentum stehen sollte, wenn man sich nicht bedroht fühlt, 7% nur dann, wenn es einem gerade passe, 1% lediglich dann, wenn daraus Vorteile erwachsen. Aber ungarisch zu sprechen ist ein Zeichen dafür, dass man sich offen zum Madjarentum bekennt.

 

SB: Der Fall Malina sorgte in Ungarn für viel Wirbel und scheint immer noch nicht zu einem Ruhepunkt gelangt zu sein. Wie würden Sie das slowakisch-madjarische Zusammenleben charakterisieren in der Slowakei des Jahres 2019?

 

ZSL: Endlich wurde dieser Ruhepunkt erreicht, denn Oktober 2018 hat die Staatsanwaltschaft in Raab das Verfahren eingestellt, denn anhand der Indizien sind sie dazu gekommen, dass Hedvig Malina keine Straftat begangen hat. Das slowakisch-madjarische Zusammenleben hat mehrere Ebenen. Wenn ich auf meine bisherige Forschungstätigkeit zurückblicke, dann stellte es sich stets heraus, dass die Mehrheit der Madjaren dieses Zusammenleben in ihrem persönlichen Lebensumfeld für unproblematisch hält und je höher man kommt, desto problematischer wird dieses Zusammenleben eingeschätzt. Zurzeit werden die madjarischen Interessen auf höchster Ebene vertreten, denn die Partei Most-Híd ist Koalitionspartei in der slowakischen Regierung. Ein Teil der Madjaren findet es gut, ein Teil nicht bzw. ein Teil ist der Meinung, dass Híd kein richtiges Interessensvertretungsorgan ist, denn sie sei keine madjarische, sondern eine Mischpartei. Jedoch wird von den Menschen das slowakisch-madjarische Zusammenleben vordergründig in ihrem Lebensumfeld, am Wohnort, in den ethnisch gemischten Städten und Dörfern der Slowakei erfahren. Laut Umfrage ist etwa die Hälfte der beliebtesten Personen, Freunde und Nachbarn Madjare. Unter den einflussreichsten Menschen, Kommunalvertretern, dem Führungspersonal in den Firmen, den Kollegen und Geschäftspartnern sinkt der Anteil der Madjaren auf unter 50%. Das überwiegend slowakische oder ganz slowakische Umfeld beschränkt sich auf die Welt der Arbeit, auch hier allen voran auf die Geschäftspartner, unter denen jeder Vierte überwiegend slowakisch, zu 8,5 slowakisch ist. Ein Drittel der Chefs sind eher Slowaken oder Slowaken und dies gilt für fast ein Viertel der Kollegen. Und wie ist dieses Zusammenleben? Seitens der Madjaren: 7% erachten dies als schlecht, die anderen finden das Verhältnis gut. Das kann man auch daran ablesen, dass sich die Mehrzahl der slowakischen Neuzugezogenen in den madjarischen Gebieten sehr schnell heimisch fühlt.

 

SB: Beim Erhalt der Identität spielt die Schule eine Schlüsselrolle, wie Sie in Ihrem Buch „A szlovákiai magyarok szociológiája” (Soziologie der Madjaren in der Slowakei) auch betonen. Welche Veränderungen gab es seit der Wende im slowakeimadjarischen Bildungssystem?

 

ZSL: Ein slowakeimadjarisches Bildungssystem im Sinne eines eigenständigen Systems innerhalb des slowakischen Bildungssystems gibt es nicht. Die Experten sprechen eher von madjarischen/ungarischen Bildungs- und Erziehungsanstalten in der Slowakei. Unter diesen versteht man Institutionen teilweise oder ganz ungarischer Unterrichtssprache vom Kindergarten bis zur Universität. Ich bin keine Bildungsfachfrau, deswegen kann ich auf die Frage nicht ausreichend antworten, deswegen versuche ich es gar nicht. Aber ich will erneut betonen, dass es ohne ungarische Grundschulen keine madjarische Identität gibt. Aus den Umfragen ging hervor, dass es nicht gleichgültig ist, ob in einer Mischehe der madjarische Part eine ungarische oder slowakische Schule besucht hat, denn wenn er eine ungarische Schule besucht hat, dann ist die Chance größer, dass das Kind vielleicht Madjare wird. Wenn einer der Partner in einer homogen madjarischen Familie allerdings eine slowakischen Schule besucht hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind in die slowakische Richtung gelenkt wird. Damit ist sich übrigens die Mehrheit der Eltern im Klaren.

 

Trotzdem – oder gerade deswegen – gibt es madjarische Eltern, die für ihr Kind eine slowakische Grundschule wählen und so sinkt von Generation zu Generation der Anteil der Kinder, die in ungarischen Schulen eingeschrieben werden. Dies wird von den Eltern damit begründet, dass die Kinder in den ungarischen Schulen das Slowakische nicht erlernen und deswegen später nicht zurechtkommen würden – dies, obwohl im Grunde genommen Aufgabe der Grundschulen in erster Linie nicht die Sprachvermittlung ist, sondern die Übergabe eines Geistes, einer kulturellen Tradition, einer Kultur. Zu Letzterem gehört natürlich auch die Sprache. Also diejenigen Eltern, die ihr Kind auf eine ungarische Schule schicken, tun das nicht deshalb, damit das Kind das Slowakische nicht erlernt und später nicht zurechtkommt, sondern weil sie es als wichtig erachten, dass es in ihrer Muttersprache lernt – was, um Comenius zu zitieren, die beste Alternative ist –, sich der ungarischen Kultur zugehörig fühlt und hinsichtlich Nationalität und Kultur nicht wurzellos wird. Gleichzeitig wünschen sie sich auch, dass das Kind auch das Slowakische erlernt. In der slowakischen Schule hingegen eignet es sich neben der slowakischen Sprache auch den slowakischen Geist sowie Kultur und – leider – zum Teil eine gewisse Madjarenfeindlichkeit an, in deren Folge es in der Regel auch kein Madjare bleiben will. Die ungarische Grundschule erzieht nach meinen Erfahrungen nicht zur Slowakenfeindlichkeit und bringt Slowakisch auf einem gewissen Niveau bei beziehungsweise könnte es noch besser vermitteln, wenn die madjarischen Kinder das Slowakische von Grund auf lernen würden – genauso, wie sie und auch die slowakischen Kinder Englisch und Deutsch lernen. Deshalb bitten madjarische Lehrer, Bildungsexperten und Eltern schon lange darum, dass man in den ungarischen Schulen Slowakisch als Fremdsprache lernt, was deren Position als Amtssprache nicht gefährden würde. Denn gegenwärtig beginnt man auf einem Niveau, als würden die Kinder Slowakisch bereits können. Es ist so, als würde man einem Kleinkind ohne Deutschkenntnisse Deutsch beibringen wollen, als wäre es Deutscher.

 

SB: In den letzten Monaten war ich mehrfach im ostslowakischen Kaschau. Einer meiner Gesprächspartner, eine Lehrerin slowakischer Nationalität, hat darüber berichtet, dass man in der Kaschauer Innenstadt die Kunden noch in den 1980er Jahren eher auf Ungarisch angesprochen habe. Ist der ungarische Sprachgebrauch in den vergangenen dreißig-vierzig Jahren weniger geworden und wenn, wie stark war dieser Rückgang (oder gibt es neue Schauplätze des Sprachgebrauchs) bzw. kann man regionale Unterschiede feststellen?

 

ZSL: Die statistischen Daten zeigen, dass in den von Madjaren bewohnten Landkreisen und Gemeinden in der Südslowakei der Anteil der Slowaken kontinuerlich steigt. Dessen Folge ist das Zurückgehen des ungarischen Sprachgebrauchs. Nicht nur deshalb, weil die zugezogenen Slowaken slowakisch sprechen, sondern weil sich ein Teil der alteingesessenen Madjaren ihnen anpasst und selbst auch eher slowakisch spricht, auch dort und dann, wo und wann er auch ungarisch sprechen könnte, zum Beispiel im Geschäft, auf dem Amt oder sogar in der Familie. Ja, auch in den Familien, denn in diesem aufgeweichten Nationalitätenmilieu ist die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von (ethnisch) gemischten Beziehungen größer und es kommt oft vor, dass in dem Moment, wenn ein Slowake auftaucht, die Madjaren sofort ins Slowakische wechseln, auch in dem Falle, wenn dieser Slowake Ungarisch versteht. Die Madjaren sind sehr tolerant: 81% von ihnen stört es gar nicht, wenn in der Familie jemand eine andere Sprache spricht, 62% tolerieren es voll und ganz, wenn die Slowakeimadjaren slowakische Wörter beimischen. Dass es in der Südslowakei auf den öffentlichen Plätzen zweisprachige – slowakisch-ungarische – Aufschriften gibt, die wichtige Elemente des virtuellen Sprachgebrauchs sind, halten Dreiviertel von ihnen wichtig.

 

SB: Für die ungarländischen Deutschen spielt Deutschland als Mutterland eine sehr geringe Rolle. Wie ist es im Falle der Slowakeimadjaren: Welche Rolle spielt Ungarn in (national)politischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht im Leben der Slowakeimadjaren?

 

ZSL: In jeder Hinsicht eine große! Der Großteil der Slowakeimadjaren betrachtet sich als Teil der ungarischen Nation, ihre Nationalität entspringt nach eigenem Empfinden der Muttersprache und der eigenen Kultur, also in nationalpolitischer Hinsicht spielt es eine sehr wichtige Rolle. Jedoch spüren es die Slowakeimadjaren auch, dass sie anders sind als die Madjaren im Mutterland und die anderen Madjaren außerhalb der Landesgrenzen, was sich darin zeigt, dass sich 37% als Slowakeimadjaren, 27% als Oberlandmadjaren („felvidéki”, ehem. Oberungarn) und 31% als Madjaren ohne jegliches Attribut betrachten.

 

Die ungarländische madjarische/ungarische Kultur ist Teil des Lebens der Mehrheit der Slowakeimadjaren, denn sie verfolgen das ungarische Fernsehen und andere Medien, lesen ungarischsprachige Zeitungen und Bücher, fahren auch aus kleineren Ortschaften regelmäßig nach Ungarn ins Theater oder machen dort einen Ausflug. Was den Bereich Wirtschaft anbelangt, habe ich neulich gelesen, dass in den vergangenen zwei Jahren 1521 Unternehmer und 128 Kindergärten Finanzmittel aus ungarischen Programmen erhielten und daneben existieren ja noch andere Fördermaßnahmen von unterschiedlichen kulturellen und Bildungsorganisationen, aber darüber kann ich wenig berichten, denn ich verfolge dieses Gebiet nicht.

 

Gleichzeitig fühlt sich ein Großteil der Slowakeimadjaren mit der Slowakei eng verbunden und betrachtet sich als Teil der slowakischen Nation – im Sinne einer Staatsnation. Deswegen beklagen sich viele darüber, dass die slowakische Verfassung nicht klar und deutlich ausspricht, dass die Nationalitäten Teil der slowakischen Nation sind. Die Slowakeimadjaren, da sie Slowakisch sprechen, werden nicht daran gehindert, den slowakischen Medien und der Kultur zu folgen und diese zu kennen. Sie interessieren sich in erster Linie für ihre eigene Situation, was völlig normal ist. Zuletzt interessierten sich 60% der Befragten für Fragen rund um die Slowakeimadjaren, 48% für Fragen rund um die Slowakei und 40% für die, die Ungarn betreffen. Gleichzeitig ist es interessant zu beobachten, dass ein Teil der Slowakeimadjaren Minderwertigkeitskomplexe gegenüber den Madjaren/Ungarn in Ungarn haben, was sich dadurch offenbart, dass es zwar sehr viele erfolgreiche Slowakeimadjaren – sogar international erfolgreiche – gibt, aber diese betrachten sie nicht als mit den erfolgreichen Madjaren/Ungarn in Ungarn gleichwertig. Als ob wir selbst auch nur „zweitrangige” Madjaren wären! Das zeigt sich auch in den Umfragen. Die Slowakeimadjaren bewerten die Madjaren/Ungarn in Ungarn viel positiver als sich selbst und das ist nicht nur ein Zeichen von Bescheidenheit. Deswegen hebe ich auf allen Foren die erfolgreichen Madjaren hervor. Neuerdings halte ich Grundschülern Vorträge darüber, wie sie auch als Madjaren erfolgreich und wertvoll sein können.

 

SB: In Ihrem Vorstellungsvideo aus den Jahren 2014/15, das man auf der Internetseite des Fórum-Instituts ansehen kann, sprechen Sie von dem schlechten Gesundheitszustand der Slowakeimadjaren, als gewissermaßen ein nationalitätenbezogenes Spezifikum. Haben Sie in den vergangenen Jahren in diesem Themenbereich weitere Forschungen durchgeführt?

 

ZSL: In der Tat zeigen die überregionalen Gesundheitsstatistiken, dass der Anteil der an Zivilisationskrankheiten verstorbenen Frauen und Männer im erwerbsfähigen Alter in vielen Landkreisen mit madjarischer Mehrheitsbevölkerung höher ist als der Landesdurchschnitt. Das haben slowakische Demografen festgestellt. Natürlich kann man aus diesen Daten nicht eindeutig den Schluss ziehen, dass dieser negative Trend den dort ansässigen Madjaren zu „verdanken” ist, aber ausschließen kann man das auch nicht. Eine Forschung, die sich auf die Untersuchung dieses (möglichen) Zusammenhanges richtete, konnte ich nicht durchführen, aber mit Lebensqualität und dabei den gesundheitsschädigenden und -schützenden Faktoren habe ich mich mehrfach beschäftigt. Die jüngsten Zahlen zeigen, dass 84% der Madjaren im Großen mit ihrem Leben zufrieden sind. Subjektiv betrachten sich Dreiviertel als gesund, darunter waren 31% schon seit längerem nicht mehr krank, 44% erkranken ein-zweimal im Jahr; 8% sind öfters krank, aber haben keine schwerwiegenden Erkrankungen, 11% stehen unter ständiger Behandlung und 5% sind frühverrentet. Was schlecht ist: 30% rauchen (EU-Durchschitt: 28%), unter ihnen 15% ständig oder oft; im Übrigen rauchen die Madjaren häufiger und mehr als die Slowaken. Nur 20% treiben regelmäßig Sport, d. h. täglich oder mehrmals in der Woche, so wie es die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt; 80% bewegen sich nicht oder zu wenig.

Im Übrigen könnten unsere schlechten statistischen Ergebnisse auch eine andere nationalitätenbezogene Facette haben. Unter den genannten Landkreisen gibt auch solche, in denen viele Roma leben und auch ihr Gesundheitszustand könnte zu den negativen Trends beitragen. Und damit die Sache noch komplizierter wird, bekennt sich ein Teil der Roma zum Madjarentum.

 

SB: Wie erwähnt war ich vor kurzem in Kaschau, wo einige vom kontinuerlichen Verschwinden des Mantakischen berichtet haben. Ich weiß nicht, inwiefern sie die Lage der Karpatendeutschen, die ja zahlenmäßig eine viel kleinere Minderheitengemeinschaft ist, beobachten.

 

ZSL: 2001 bekannten sich 5407 Menschen, 2011 4690 Menschen zum Deutschtum. Die wichtigste Kulturorganisation der Karpatendeutschen ist der „Karpatendeutsche Verein in der Slowakei“, der sieben regionale Zentren hat. Seine einzige Zeitschrift ist das Monatsblatt „Karpatenblatt“. Sein Museum, das „Karpatendeutsche Museum“, liegt unweit des Museums der Kultur der Slowakeimadjaren (Szlovákiai Magyar Kultúra Múzeuma) in der Pressburger Altstadt. Er verfügt über zwei deutschsprachige Kindergärten, der eine ist in Pressburg, der andere in Käsmark. Es gibt sechs Ortschaften mit erweitertem Deutschunterricht bzw. wo man Fächer in deutscher Sprache unterrichtet, falls Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Unterricht in deutscher Sprache erfolgt an der Deutschen Schule Pressburg (DSB) und es gibt zwei bilinguale Gymnasien, das eine in Pressburg, das andere in Deutschendorf/Poprad.

 

Das Fórum-Institut beschäftigt sich primär zwar nicht mit der Erforschung der deutschen Minderheit, denn darauf konzentrieren sich eher die bereits genannten Organisationen. Aber es versperrt sich dem auch nicht. Zum Beispiel hat das Fórum-Institut die Monografie „Nemci na Slovensku” (Deutsche in der Slowakei) von Magdaléna Horváthová herausgegeben. Der Historiker Attila Simon hat sich mit den deutschen Parteien der Zwischenkriegszeit beschäftigt bzw. es finden Aufsätze, die sich der deutschen Minderheit widmen – auch in unserer Zeitschrift „Fórum Kisebbségkutató Szemle”, die viermal im Jahr erscheint, ihren Platz.

 

SB: Wie denkt man in der Slowakei über die Lage der ungarländischen Slowaken?

 

ZSL: Soviel ich weiß, beschäftigen sich die Menschen genauso wenig mit dieser Frage wie die Menschen in Ungarn mit der madjarischen Minderheit in der Slowakei. Es gibt sogar welche, die gar nichts von unserer Existenz wissen. Diejenigen, die sich irgendwie für die Lage der slowakischen Minderheit in Ungarn interessieren, setzen da an, dass es ja in der Slowakei so viele Madjaren gäbe, während man die Slowaken in Ungatn madjarisiert hätte.

 

SB: Lassen Sie uns zum Schluss in die Zukunft blicken: Welche Zukunft erwartet die Slowakeimadjaren?

 

ZSL: Die Zukunft der Slowakeimadjaren ist in vielerlei Hinsicht mit der der Slowakei verbunden, denn hier leben wir, es ist unser Vaterland. Und was uns die Zukunft bringt? Kann ich nicht voraussagen. Eins ist klar: Trotz Klagen lebte es sich in der Slowakei noch nie so gut wie gegenwärtig; dies gilt auch für die Madjaren, obwohl es ja, wie auch anderswo, regionale Unterschiede gibt. Eine andere Frage ist, ob die Slowakeimadjaren eine Zukunft haben. In der besagten Studie sagten 95%, dass wir unser Madjarentum bewahren sollen. 87% meinten, dass der Staat die nationalen Minderheiten darin unterstützen sollte, dass diese ihre nationale Identität bewahren.

 

Und auf wen kommt es beim Fortbestand der Madjaren in der Slowakei an? Nach den Befragten: auf den jeweiligen slowakischen Staat (4,5%), die MKP (1,7%) und die Most-Híd (0,3%). 92% meinten, dass es auf die Madjaren selbst ankomme, d. h. Schlüssel des Fortbestands ist das Individuum.

Auf die Frage jedoch, was man zum Fortbestand der Slowakeimadjaren beitragen könnte, gab es viel verhaltenere Reaktionen: 43% sagten, dass sie in der Lage wären, einen Beitrag zu leisten und zwar mit konkreten Dingen. Die Mehrheit jedoch äußerte sich ziemlich unverbindlich – und das, obwohl ohne einen aktiven Beitrag der Betroffenen nichts funktionieren kann.

 

SB: Frau Dr. Lampl, vielen Dank für das Interview!

 

Das Interview führte Richard Guth.

Bild: hirek.sk

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!