Mut und Ausdauer: Ungarndeutsche Familien und die deutsche (Mutter-)Sprache

von Richard Guth

Neulich war ich mit meinem Sohn in einer Budapester Kinderklinik. Er musste stationär aufgenommen werden, so haben wir die Nacht im Spital verbracht. Seit seiner Geburt rede ich mit ihm ausschließlich deutsch, so war das auch während des Krankenhausaufenthaltes. Die Reaktionen waren unterschiedlich, aber generell positiv, aufgeschlossen. Einige versuchten sogar, wie einer der Kinderärzte, ihre Deutschkenntnisse zu reaktivieren und mit meinem Kind einige Worte auf Deutsch zu wechseln. Worte der Vertrautheit, aber irgendwo der Fremdheit in einer anderssprachigen Umgebung. Mich interessiert schon seit geraumer Zeit, wie andere ungarndeutsche Familien ihre „Andersartigkeit” erleben. Andersartigkeit, denn in ihren Familien wird Deutsch als Mutter- (oder Vater)sprache gesprochen, etwas, was vor siebzig Jahren noch etwas völlig Selbstverständliches war. Ich habe eine Familie aus der Region Nord und eine aus dem Süden hinsichtlich ihrer Erfahrungen befragt.

In der Familie aus der Region Nord sind beide Elternteile Ungarndeutsche, oder „Donauschwaben”, wie sie es zu sagen pflegen, die Familie in Südungarn ist eine deutsch-madjarische Familie, Ehemann Ungarndeutscher Ehefrau Madjarin siebenbürgischer Herkunft. Der Ehemann der ersten Familie hat im deutschsprachigen Ausland studiert, beide Eheleute haben dort gearbeitet und halten es nach eigenen Angaben für wichtig, dass „die Sprache der Ahnen nicht verloren geht”. Über eine ähnliche Motivation berichtet der Fünfkirchener Familienvater: „Ich bin in einer ungarndeutschen Familie aufgewachsen, habe noch die fränkisch-fuldische Mundart meiner Ahnen mit in die Wiege gelegt bekommen, also war es meinerseits gar keine Frage, ob ich die deutsche Sprache meinen Kindern weitergeben soll.“ In der Ofner Familie würde fast ausschließlich deutsch gesprochen, dies gelte auch für die Kommunikation der Kinder und Eheleute untereinander. Die Fünfkirchener Familie hat sich für das Modell „eine Person-eine Sprache“ entschieden, so spricht der Familienvater mit ihren beiden Kindern deutsch, die Ehefrau ungarisch. Hier sprechen die Eheleute untereinander ungarisch, „eine Gewohnheitssache“, so der Familienvater. Der Dialekt spielt in keiner der beiden Familien eine Rolle, lediglich die Kinder der Fünfkirchener Familie hätten noch die Gelegenheit, der Urgroßmutter beim Mundartsprechen zuzuhören und für Schulwettbewerbe Mundartgeschichten zu lernen.

Mit dem deutschen Sprachgebrauch scheinen sie nicht alleine dazustehen: „Es gibt mehrere Familien in meinem Bekannten- und Verwandtenkreis, in denen Deutsch wegen der ungarndeutschen Wurzeln weitergegeben wird. Mehrere meiner ehemaligen Kommilitonen von der Uni versuchen ihrem Nachwuchs Hochdeutsch als (zweite) Muttersprache mit auf den Weg zu geben“, so der Familienvater aus Südungarn. Er berichtet ferner von Familien aus dem Bekannten- und Freundeskreis, in denen der Sprachgebrauch nicht auf entsprechende Wurzeln zurückzuführen wäre, sondern vielmehr auf praktische Erwägungen, wo der eine Ehepartner eine bestimmte Sprache (in der Regel Englisch oder Deutsch) gut beherrscht. Das Ofner Familienoberhaupt kennt nach eigenen Angaben auch Familien, in denen man ja versuchen würde, in der Familie deutsch zu sprechen, aber als besondere Schwierigkeit würde sich die Inkonsequenz erweisen, denn man neige dazu, wenn es kompliziert wird, auf das Ungarische zurückzugreifen. Diese Inkonsequenz nütze aber beim Aufbau ein- und zweisprachiger Sprachstrukturen in der Familie nicht viel.

Ein Prozess, der sich gerade im Kleinkindesalter mehr als interessant entwickelt. Die Ofner Familie, in der die Kinder in einer ungarischen Umgebung neben der ungarischen auch die deutsche Sprache spielerisch erlernt hätten, fand es verblüffend, „wie schnell sie gemerkt haben, mit wem sie in welcher Sprache kommunizieren können.“ Einen Einschnitt bedeutete in der Fünfkirchener Familie die Aufnahme der Kinder in die (ungarischsprachige) Kinderkrippe: „Als die Kinder zur Kinderkrippe mussten, da wir beide die Arbeit aufzunehmen gezwungen waren, habe ich beide Male einen enormen Rückgang in den Deutschkenntnissen erlebt, meine ältere Tochter fragte mich sogar: „Te miért születtél Deutsch-nak?” Nachdem wir die Frage geklärt haben (sie war vielleicht vier Jahre alt!) ging es wieder bergauf, obwohl auf deutsche Fragen manchmal ungarische Antworten kamen. Ich habe aber ausgeharrt und nicht locker gelassen, oft abgewartet, bis nach der ungarischen Antwort auch die deutsche kam, oder die ungarische einfach außer Acht gelassen, als ob sie gar nichts gesagt hätte oder einfach ,Wie bitte?` gesagt, dann wusste sie schon, dass sie – ohne es gemerkt zu haben – ungarisch zu mir gesprochen hat.“ Der Familienvater spricht vom Glück, dass es in Fünfkirchen sowohl einen deutschsprachigen Kindergarten als auch eine solche Schule gibt. Hinsichtlich der Stärkung der Deutschkenntnisse im Kindergarten spricht er von anfänglichen Bedenken (was auch die Informationen des Sonntagsblattes aus dem Kreise von Vertretern von Nationalitätenkindergärten stützen, wonach die Kinder am Ende der Kindergartenzeit die Sprache eher passiv beherrschen würden): „Im Kindergarten hatte ich meine Bedenken, da in der Gruppe meiner älteren Tochter eine Zeit lang nur sie wirklich Deutsch von zu Hause mitgebracht hat, die anderen Kinder profitierten davon, auch die Erzieherinnen freuten sich, nur mir war das Ganze zu wenig. Die Situation änderte sich zum Glück und in der Schule besuchen beide meiner Töchter eine einsprachig deutsche Klasse. Seit der Einführung der einsprachigen Klasse an der Valeria-Koch-Grundschule im Jahre 2013 gibt es sichtbare/hörbare Unterschiede gegenüber den Parallelklassen, wo „nur“ ein erhöhter Deutschunterricht zugegen ist. Ich muss dem aber hinzufügen, dass in die einsprachige Klasse auch hauptsächlich diejenigen Kinder gehen, die die Sprache von zu Hause mitbringen oder zumindest Vorkenntnisse haben. Für uns war die Institution aber die beste Wahl!“ Auch die Ofener Familie entschied sich für eine deutschsprachige Einrichtung, die Deutsche Schule. In Budapest gibt es gegenwärtig keine einsprachige Einrichtungen in der Trägerschaft des Staates oder von deutschen Nationalitätenselbstverwaltungen, dafür aber mehrere, deren Träger jeweils eine Stiftung ist, die aber Schulgeld erheben (bei vorhandenen Stipendienmöglichkeiten). Landesweit sieht es hinsichtlich einsprachiger Angebote noch bescheidener aus (bis auf die genannte Koch-Grundschule), selbst zweisprachige Angebote (die hinsichtlich der Intensität des Fachunterrichts in deutscher Sprache große Unterschiede aufweisen) sind rar. Die Kinder aus der Ofner Familie besuchen die Deutsche Schule Budapest, denn es liege ihnen viel an der Förderung der Deutschkenntnisse der Kinder über den Kontakt zu anderen Muttersprachlern.

Darüber hinaus empfehlen die beiden Familienväter anderen Ungarndeutschen, die ihre Kinder ein- oder zweisprachig erziehen wollen, nicht aufzugeben: „Es wäre oft einfacher den Kindern etwas auf Ungarisch zu erklären, aber man muss sehr, sehr konsequent bleiben. Die Sprache ist ein großer Schatz, geben wir sie weiter!“ Sie raten ferner, Kinder bewusst und spielerisch zu fördern. Auch der Fünfkirchener Familienvater zeigt sich überzeugt: „Es gibt unterschiedliche Meinungen, wer sein Kind in der eigenen (auch wenn schwächeren) (Mutter)Sprache erziehen soll, ich bin aber fest davon überzeugt, wenn man den Mut und die Ausdauer hat, sollte man unbedingt versuchen die Sprache der Ahnen weiterzugeben, das soll auch heißen, dass man sich Mühe gibt und bereit erklärt, seine eigenen sprachlichen Schwächen aus dem Weg zu schaffen. Es gibt ja dafür heutzutage unzählige Möglichkeiten. Eine (zweite, dritte…) Sprache seinem Kind schenken zu können, kann wohl kaum überboten werden!“

 

Bildquelle: youaremom.com

 

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