Dr. Georg Kramm: Wider die Bühnenkultur

Im vergangenen Jahr feierten unser Verein und unser Sonntagsblatt 25-jähriges Jubiläum. In der Weihnachtsausgabe des Sonntagsblattes haben wir ausführlich über die Feierlichkeiten berichtet. Zum Abschluss des „Jubiläumsjahres” veröffentlichen wir die Rede des Vereinsvorsitzenden Dr. – Ing. Georg Kramm.

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute!

25 Jahre sind, auch wenn man nur das eigene Leben betrachtet, nicht wenig. Die Jakob-Bleyer-Gemeinschaft e. V. ist 25 Jahre alt geworden. Es stellt sich die Frage, was dieser Verein in dieser Zeit erreicht bzw. bewirkt hat und was er in der Zukunft für das Ungarndeutschtum tun kann?

Die JBG ist ein Kulturverein der Deutschen in Ungarn oder eben der Ungarndeutschen. Im Statut des Vereins steht: „Hauptziel des Vereins ist die Bewahrung bzw. Förderung der Muttersprache und der Identität des ungarländischen Deutschtums.”

Gründer, Seele und Schlüsselfigur des Vereins war und ist bis heute Georg Krix, heute Ehrenvorsitzender des Vereins.

Ich selbst bin erst seit Mitte der neunziger Jahre in diesem Verein und als Vorsitzender ab 2000 tätig. Über Entstehung und Geschichte werden Sie bald extra hören. Ich möchte hier nur so viel verraten, dass ich 1994-95 Herrn Krix zufällig getroffen habe. In ihm fand ich einen Landsmann, der kompromisslos die Fahne der deutschen Sprache sowie die unserer Volksgruppe hochhielt. Mit ihm kann man bis heute über alles, was unsere Volksgruppe betrifft, reden. Schade, dass er jetzt nicht unter uns ist.

Vielleicht ist es hier, an dieser Stelle nicht uninteressant, wie ich dazukam mich für die eigene Volksgruppe zu interessieren. Deutsch habe ich in den Schulen kaum gelernt. In der Grundschule in Deutschbohl/Bóly hatten wir nach dem Krieg zwei Stunden pro Woche Deutsch, sogenannte Zusatzsunden zweimal in der Woche von 7 bis 8 Uhr in der Früh. In der Fachmittelschule für Maschinenbau in Fünfkirchen/Pécs wurde nur Russisch unterrichet. An der TU Budapest konnte man auch nicht viel dazulernen. Ich wuchs in diesem Lande auf, und als ich von Bohl wegkam, habe ich gemerkt, dass ich doch nicht ganz so einer bin wie z.B. meine Mitschüler. Eines hat mich während des Studiums in Budapest sehr beeindruckt: Ich habe gemerkt, dass die Kinder der ungarischen Intelligenz besser Deutsch konnten als ich, der zu Hause schon als kleines Kind die Sprache gehört hat.

Ohne Sprache keine Zukunft!

Unter welchen Umständen wollen und müssen wir unsere deutsche Identität bewahren?

  1. Die Ungarndeutschen sind angesehene Mitglieder der ungarischen Gesellschaft, aber meistens als madjarisch patriotische Staatsbürger.
  2. Das Deutschtum in Ungarn war schon immer, aber besonders nach dem Zweiten Weltkrieg die assimilationsfreudigste Minderheit des Landes. Die ungarndeutsche Kultur ist am Verschwinden. Viele sind der Meinung, dass alles bereits vorbei sei.

Konkreter:
–   Die traditionellen deutschen Dörfer haben sich madjarisiert. Die Mundarten sterben aus. Die zweisprachigen Schilder ersetzen nicht die deutschen Menschen.

  • Es gibt nur noch Fragmente der Alltagskultur: Feste feiern, Essen usw.
  • Die ungarndeutsche Kultur ist mittlerweile eine Bühnenkultur geworden. Das Singen und das Tanzen ersetzen nicht die fehlende Sprache.
  • In den meisten der sogenannten Nationalitätenschulen wird Deutsch als Fremdsprache, in vielen Fällen ungarisch unterrichtet. Selbst die Deutschlehrerinnen in der Schule sprechen miteinander fast ausschließlich ungarisch.
  • Deutsche Gottesdienste in den Gemeinden gibt es kaum.
  • Die deutschen Selbstverwaltungen sind zwar überall präsent, erledigen jedoch fast nur kommunale und Verwaltungsarbeiten, in den meisten Fällen einsprachig ungarisch.
  • In den Medien in Ungarn erscheinen die Nationalitäten an der Peripherie. Die Minderheitenmedien nähern sich der totalen Bedeutungslosigkeit.
  • Unsere Mutterländer haben relativ wenig für die Bewahrung unserer Identität übrig. In denen spielt die Elite „Globalisierung”, d.h. die wichtigste Sprache ist Englisch. Die eigene deutsche Sprache wird in der Wissenschaft, in der Politik und sogar in der Wirtschaft durch die englische Sprache verdrängt. Es ist nicht überraschend, wenn die Schulkinder nicht mehr Deutsch lernen wollen.
  • Die Assimilation schreitet unbehindert voran. Die ungarische Politik hat uns mit einer großzügigen Geste ein Minderheitengesetz geschenkt, und so entstanden die Minderheitenselbstverwaltungen. Zunächst schien das etwas Fortschrittliches in der Nationalitätenpolitik zu sein. In der Wirklichkeit stellte sich heraus, dass dieser gesetzliche Rahmen überhaupt keine antiassimilatorische Wirkungskraft aufweisen kann. Man verwaltet in diesem Rahmen den assimilierten Zustand und die Prozesse der Assimilierung selbst, was notwendigerweise eine weitere Beschleunigung der Assimilation bedeutet.

Was kann man unter diesen Umständen noch tun?

  1. Eine möglichst breite Nationalitätenintelligenz müsste aufgebaut werden, die die Sprache souverän beherrscht und bereit ist sich im Interesse der Volksgruppe einzusetzen. Diese Intelligenz kann nur in wirklich deutschen Nationalitätenschulen ausgebildet und erzogen werden.
  2. Die Möglichkeit muss dazu geschaffen werden, dass die Nationalität ihre eigene Sprache in der Schule erlernen kann.
  3. Das Nationalitätengesetz soll verbessert werden, da formelle Lösungen uns nirgendwo hinführen.
  4. Den eigenen Werten treu bleiben! Nicht den breiten Weg der Assimilation gehen!

Möge die Jakob-Bleyer-Gemeinschaft, unser Verein, eine Sammelstelle, ein Hinterland von denen sein, die sich vor allem durch den Spracherhalt für die Identitätsbewahrung des Ungarndeutschtums einsetzen wollen!

Zum Schluss ein Zitat von Ingomar Senz: „Schwob, vergiss dei Red net!”

Bild: Richard Guth

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