Leseerlebnis mit Valeria Koch, der einsamen Nachtigall der ungarndeutschen Lyrik
Nichts ist bereichernder als ein schönes Gedicht. Genauer, ein schönes und kurzes Gedicht! Verweilen beim Lesen eines schönen Gedichts sind Momente der Loslösung, Momente der Befreiung – Momente des Leseglücks. In zwei bis drei Strophen sollte der ganze Zauber, die ganze Wucht eines Gedichts komprimiert sein. Je kürzer umso besser. Je augenblicklicher umso tiefsitzender seine Wirkung! Ob freudig bewegt oder traurig erschüttert, die Intensität der Empfindung und die Tiefe des Nachhalls eines Gedichts wird maßgeblich vom der Textform und der Dichte der Sprache bestimmt. Sie bedingen den Lesefluss.
Valeria Koch, die ungarndeutsche Dichterin aus dem Süden Ungarns, hat solche Gedichte geschrieben. Kurze und schöne Gedichte. Allerdings lösen die Gedichte Valeria Kochs die Momente der inneren Schwerelosigkeit und Befreiung nur bedingt aus. Valeria Kochs Gedichte sind keine Glücksgedichte. Es sind überwiegend Klänge von Einsamkeit und von Trauer, die uns aus den Gedichten der 1947 geborenen und mit 49 Jahren sehr früh verstorbenen Lyrikerin berühren.
Die Sprache Valeria Kochs spiegelt ihre innere Sensibilität: Stets an der Grenze der Zerbrechlichkeit, wie auch der Lebensweg der jungen Dichterin selbst gewesen ist. Im Spiegel ihrer Gedichte erscheint uns Valeria Koch wie eine zerbrechliche, unglückliche Rose: einsam, stets auf der Suche nach Glück: „… versiegelt der Mund / verschlüsselt das Ohr / alles ohne Humor…“ wie eine einsame, verblühende Rose, (Sub rosa morbida / 1992). Valeria Koch war ein einsamer, rastloser Wanderer, der nie ankommt und sich sehr früh eingekapselt hat. So sehr, dass sie auf ihrer unaufhaltsamen Flucht ins Innere am Ende sich selbst fremd wird. Eine einsame Rose, die nicht berührt werden will (Nolimetangere / 1992). Ihre zumeist selbstreflexiven Gedichte sind überwölbt vom Schleier der Trauer und der Vergänglichkeit. Selbst wenn sie ihren Blickwinkel nach außen richtet, von sich selbst nach außen weitet, wenn sie zum Beispiel das Schicksal und die Zukunft ihrer donauschwäbischen Heimat thematisiert, sieht sie Perspektivenlosigkeit, befallen sie Friedhofsgedanken: „Ungarndeutsch ist das Maß des tüchtigen Aussterbens“, heißt ihr prophetischer Fatalismus. Valeria Koch war wohl keine Kämpfernatur. Ihr Lebensweg scheint vom „Loslassen“ gezeichnet zu sein. Alles Glück der Welt, „… alle Versuche mit, „Blumen, Büchern, Männern…“ verlieren sich bei Valeria Koch unhaltbar im Wind und Sand (Korrektur Nr. 1. und Nr. 2.). Ihr Leben scheint ein einziger Rückzug ins Innere ihres immer enger gewundenen Schneckenhauses gewesen zu sein. Am Ende hat sie alle „…Türen geschlossen, das Feuer erloschen…“ und sie eine Fremde, „eine Andere“, wie sie selbst schreibt (Nolimetangere / 1992). So widersprüchlich der Gedanke auch klingt, Valeria Koch fand ihre Zufriedenheit nur in der Einsamkeit. Allein die Einsamkeit schien ihr Freiheit und Frieden zu bieten, ob sie in Rom, London, Paris oder in der Wüste Mexikos weilt (Freiheit der Einsamkeit / 1992). Woher die fast autistischen Züge, der Rückzug in die Einsamkeit, das fatale In-sich-Kehren? Liegen die Gründe für so viel Melancholie und Skepsis in der Biographie der Lyrikerin oder wurde sie von der Skepsis erfüllten Philosophie des deutschen Existenzialisten Heidegger, über den sie promoviert wurde, geprägt?
Bei aller Abgewandtheit und Lebensskepsis sticht das Werk Valeria Kochs durch ihre sprachliche Brillanz hervor, wodurch sie früh Anerkennung fand. Nichts belegt ihre Beliebtheit und hohe Wertschätzung bei den Ungarndeutschen mehr, als die posthume Benennung eines ungarndeutschen Bildungszentrums (Gesamtschule mit Internat) nach ihr in ihrer engeren schwäbischen Heimat in Fünfkirchen (Pécs), dem kulturellen Zentrum der akut schrumpfenden Volksgruppe.
Und um alles vorher über die Lyrik von Valeria Koch Gesagte Lügen zu strafen, möchte ich eines ihrer Gedichte vorstellen, das wie ein poetischer Kontrapunkt bezeugt, dass die einsame ungarndeutsche Nachtigall Valeria Koch doch auch Momente des Glücks, der Sehnsucht und Leidenschaft überfielen. Das nachstehende Gedicht sprüht geradezu von entfesselten Gefühlen, von Sehnsucht und tiefer Begierde. Aber auch hier hält die Entfesselung der Gefühle nur einen verlängerten Augenblick stand. Nur die ersten zwei Strophen künden von Leidenschaft. Nach dem elementaren Gefühlsausbruch in den ersten zwei Strophen zieht in der dritten Abschlussstrophe bereits der Schatten der Krankheit, der Not und des Todes auf: die ständigen Begleiter der Dichterin.
Leidenschaft unwiderstehlich
Lieb mich im Meer
lieb mich im Sand
lieb mich beim Mond
am Waldesrand
Lieb mich noch mehr
lieb mich geschwind
lieb mich grausam
wie Wüstenwind
Lieb mich im Tod
lieb mich auch krank
lieb mich in Not
und ohne Dank
Bild: https://www.zentrum.hu/de/2018/01/valeria-koch-gedenkabend-mit-ausstellung/#gallery-1