Noch nicht am Ziel angekommen

2025 ist ein Jahr der deutschen Selbstverwaltungen – vor 30 Jahren wurde das Selbstverwaltungssytem für die 13 anerkannten autochtonen und nationalen Minderheiten in Ungarn eingeführt. Legitimiert von nun registrierten Wahlbürgern sollte es eine Art politisch-kulturelle Autonomie darstellen.

Gelang es in den vergangenen 30 Jahren diesem Anspruch gerecht zu werden? Wenn wir den Einfluss der Nationalitätenselbstverwaltungen auf lokale Entscheidungen nehmen, so muss konstatiert werden, dass diese nie mit scharfer Munition ausgestattet wurden. So haben die NSVW allenfalls beratende (und zustimmende) Funktionen und sollen sich bitte schön in erster Linie um kulturelle Belange der jeweiligen Nationalität kümmern: um die Organisation von Festen, Treffen und Gedenkveranstaltungen. Anfangs gab es Minderheitenselbstverwaltungen (so die ursprüngliche Bezeichnung der Nationalitätenselbstverwaltungen), die sich zum Siedlungsgemeinderat erklärt haben (diesem Modell folgt nur noch die Selbstverwaltung in Ratka, siehe Beitrag „Wir sind eine Insel” in diesem Heft). Dies verleiht/verlieh der jeweiligen NSVW wesentlich mehr Gestaltungsspielraum, aber bedeutet/e natürlich auch deutlich mehr Verantwortung. Fast alle Selbstverwaltungen arbeiten neben den Gemeinderäten aus recht bescheidenen Mitteln, diese je nach Möglichkeiten und gutem Willen der Gemeinde- und Stadträte ergänzt um deren Unterstützung.

Ihr Wirkungsgrad ist unterschiedlich, was jedoch von vielen Faktoren abhängt: Vorhandensein von Führungspersönlichkeiten, Aktivität/Inaktivität der örtlichen Gemeinschaft sowie deren Größe, Verhältnis zur „großen” Selbstverwaltung, um nur einige zu nennen. Gerade in den sich entvölkernden Gegenden Ungarns stellt sich die Aufrechterhaltung deutscher Infrastruktur immer schwieriger dar – dies stellt sich bereits bei der Frage, wer sich für die deutschen Selbstverwaltungen kandidieren soll. Hier zeigt sich ein gemischtes Bild: Mancherorts ist dies eine echte Herausforderung, andererorts wiederum lassen sich sogar zahlreiche junge Leute für dieses ehrenamtliche Engagement gewinnen.

In Zeiten zunehmender Zentralisierungsbestrebungen in Ungarn halten die Nationalitätenselbstveewaltungen – ähnlich wie die Kirchen – einen wichtigen Trumpf in der Hand: das Recht, eigene Bildungseinrichtungen zu betreiben (was den örtlichen Gemeinde- und Stradträten durch die Verstaatlichung von Schulen genommen wurde). Wo es eine Schule gibt und die Gemeinschaft stark ist, gelang es vielfach, die Trägerschaft der betroffenen Einrichtungen zu übernehmen. Dies bedeute nach Auskunft der Akteure oft eine deutliche Entbürokratisierung (im Vergleich zu den staatlichen KLIK-Einrichtungen): kurze Dienstwege, schnelle Entscheidungen, mehr Bürgernähe.

Die Trägerschaftsrechte bieten dabei eine Möglichkeit, die Deutschsprachigkeit der Einrichtungen zu stärken. Aber gerade in diesem Punkt hat sich in den letzten Jahren viel zu wenig getan: Eingespielte Modelle (ob sprachunterrichtende Form oder zweisprachiges Modell) halten sich hartnäckig, die Gründe dabei sind vielfältig: fehlende personelle Ausstattung, Gewohnheit, fehlender Zuspruch und Ängte in der Elternschaft. Dabei werden diese Schulen von der LdU (selbst in der Verantwortung als Trägerin von Bildungszentren) geradezu ermuntert (ob es ausreicht?) und vom UMZ fachlich-methodisch unterstützt, neue Wege in Richtung Zwei- und Einsprachigkeit zu beschreiten.

Aber auch Erreichtes zu bewahren stellt vielfach eine Herausforderung dar, verlor Deutsch in den letzten Jahren zugunsten Englisch massiv an Popularität. Eigentlich ein Paradoxon, handelt es sich bei Deutsch im Falle der deutschen Gemeinschaft um eine (Ur)(Groß-) Muttersprache vieler Schülerinnen und Schüler (auch wenn sie vielfach in Mischehen mit ungarischer Muttersprache aufwachsen). Gesellschaftliche Herausforderungen gehen an den Bildungseinrichtungen auch nicht spurlos vorbei: Mentalitätswandel in Gesellschaft und besonders bei der Jugend, Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung, bürokratische Vorgaben oder Mangel an finanziellen Möglichkeiten verlangen ihr Tribut und schränken trotz Trägerschaft in eigener Hand den Gestaltungsspielraum ein.

Denn gerade die kulturelle Autonomie böte unserer Gemeinschaft die Chance nach 150 Jahren staatlich geförderter Assimilation unser Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Die Übernahme der Trägerschaft von Schulen, als entscheidendes Machtbefugnis von Nationalitätenselbstverwaltungen, ist dabei nur der erste Schritt. Eine Vervollkommnung kultureller Autonomie mit Mehrwert kann nur durch die Stärkung des deutschsprachigen Charakters der Einrichtungen erzielt werden.

Wir befinden uns in der 24. Stunde. Wenn es uns nicht gelingt, dieses Ziel umzusetzen, bleibt das System der Nationalitätenselbstverwaltungen ein weiteres Requisit der mustergültigen Minderheitenpolitik Ungarns – außen glänzend, innen zunehmend sinnentleert.  

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