Aus der Seele gesprochen

Aus der Seele gesprochen

Besucher der neuen Ausstellung im Hessenpark erleben Flucht und Vertreibung aus ganz persönlicher Perspektive

„Meine Mutter (5) ging mit ihrem kleinen Bruder und ihrer Mutter auf die Flucht von Pommern aus (Stargard, heute polnisch). Sie fanden eine neue Heimat in Kassel. Dort trafen sich alle Verwandten, die Krieg, Vertreibung oder Kriegsgefangenschaft überlebt hatten (viele nicht). Die Kriegstraumata meiner Großeltern und meiner Mutter sind auch in meiner Generation und in den nächsten präsent”, so die Gedanken eines Besuchers der Ausstellung.

Das Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach verfügt seit April diesen Jahres über eine neue Ausstellung: Sie zeigt die ersten Jahre der deutschen Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten und aus Ost- und Mitteleuropa. Ankunft und allmähliche private und berufliche Integration der Heimatvertriebenen in Hessen werden exemplarisch dargestellt. So erhalten die Besucher einen vielschichtigen Einblick. Die Heimatvertriebenen stellten zeitweise ein Viertel der Bevölkerung (in manchen ostdeutschen Landkreisen/Bezirken bis zu 50 %). Davon war auch der Alltag in der neuen, oft „kalten” Heimat der Vertriebenen aus Plankenhausen/Győrsövényháza und Leyden/Lébény geprägt – dem ungarischen Referenzgebiet der Ausstellung.

Das Gästebuch der Ausstellung wird den Besuchern als lose Zettel, die jeder beschriften darf, zur Verfügung gestellt. Das Schicksal der Erlebnisgeneration bewegt auch die nachfolgende Generation – zum Teil als familiäre Erinnerungskultur.  Das zeigt das Beispiel einer sudetendeutschen Familie: „Meine Großeltern und mein Vater sowie der Vater meiner Mutter wurden aus dem Sudetenland vertrieben. Diese Erfahrungen waren – auch transgenerational – prägend & traumatisierend. Sie haben in unserer Familie zu Mitgefühl mit ALLEN Menschen in Not geführt.” „Niemand ist illegal”, gibt die Schreiberin dieser Zeilen der Diskussion um moderne Migrationsströme eine gesellschaftspolitische Dimension. „Deutsche aus Russland wurden als Faschisten verspottet: Meine Vorfahren wurden immer weiter in den Osten Russlands gedrängt. Ich bin der erste, der nach Jahrhunderten erneut auf deutschem Boden geboren wurde”, berichtet ein anderer Besucher über die Nachwirkungen historischer Ereignisse.

Zu diesen Ereignissen gehört die vielfach erzählte Flucht der ostpreußischen Bevölkerung über das Kurische Haff: „Mein Vater floh 1945 – im Januar (!) – über das Kurische Haff (zugefroren bei -20 Grad) aus Königsberg, als die Russen kamen! Es war verboten zu fliehen! Man wurde erhängt, wenn man erwischt wurde! Die Familie wurde eingeschifft! Zuvor kamen Tiefflieger über das kurische Haff und schossen ins Eis, das brach. Pferdekutschen gingen unter. Davon erzählt mein Vater, der im Oktober 1941 geboren wurde, noch heute. Vor der Einschiffung wurde der Familienhund Kuller getötet/erschossen – vor den Augen der Familie! In Norddeutschland, in Itzehoe fand die Familie, auch mein Vater (…) eine neue Heimat. Sie waren erst nicht beliebt, das gab sich mit den Jahren!” 

Dabei spiegelt sich in den Kommentaren auch der Schmerz über den Verlust der Heimat, der bis heute von vielen als Unrecht empfunden wird: „Meine Oma wurde (,) als sie noch ein Baby war (,) aus dem eingenommenen Polen mit ihrer Familie vertrieben”, steht auf einem der Zettel. Dass der Schmerz viele dazu veranlasste, zu schweigen, zeigt wiederum ein anderer Eintrag, in diesem Fall von dem Nachfahren eines wohl nicht vertriebenen Deutschen: „Mein Opa wurde zum Kriegsende mit 14 Jahren eingezogen von den Nazis. Er geriet in russische Gefangenschaft. Erst kurz vor seinem Tod – mit 90 Jahren – hat er von dem Trauma und dem Heimweh erzählt.” Emotionale Betroffenheit, die auch mal den Nachfahren zuteilwird: „Mein Opa flüchtete aus Polen,Krąg/Krangen, Kusserow. Wir waren als Familie zu Besuch im heutigen Polen. Sehr bewegend”, schreibt ein anderer Besucher.

Besonders bemerkenswert sind die Zettel, die von Besuchern nichtdeutscher Herkunft beschriftet wurden. Darin zeigt sich, dass Flucht und Vertreibung kein deutsches Phänomen sind: „Mein Vater wollte sein(en) Sohn im Jahr 2000 aus dem Land wegen Krieg bringen. Leider hat er das nicht geschaf(f)t. Mein Bruder ist im Jahr 2003 gestorben, aber ich habe es geschaf(f)t. Jetzt ist 2025. Wir sind in Deutschland. Ich bin Deutschland für alles zutiefst dankbar. Ich komme aus Aserbaidschan.” Aber auch ein Besucher indischer Herkunft fand eine Verbindung zur eigenen Familiengeschichte: „Ich war in India (Indien) geboren. Als ich fast 2 war (,) sind wir nach Deutschland gekommen.” 

Die jüngeren Generationen scheinen dabei den Wert geordneter Verhältnisse in der Gegenwart zu schätzen – trotz mannigfaltiger Herausforderungen, auch in Form militärischer Gewalt: „Hallo (!) Hier waren Mia und Anna aus Tühringen (Thüringen) und wir sind froh (,) das(s) wir in der Zeit leben.”

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