Ungarndeutsche Bürgermeister/innen diskutieren über Gegenwart und Zukunft der deutschen Gemeinschaft
Die Idee entstand im Rahmen eines Brainstormings (Ideenfindung) Januar diesen Jahres im Deutschklub Tarian, unter Federführung von Katharina Bachmann – ungarndeutsche Bürgermeister zusammenbringen und sich über Gegenwarts- und Zukunftsfragen der deutschen Gemeinschaft austauschen. Als Moderator wurde der Nationalitätenexperte und langjährige Mitarbeiter des deutschen Abgeordneten im Parlament Gregor Gallai gewonnen. Ziel der Veranstaltungsreihe „Wechselgespräche untereinander”, die bislang zwei Gesprächsrunden mit je vier Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern erfuhr (im März in Totis/Tata und im Mai in St. Iwan bei Ofen/Pilisszentiván) ein Zukunftsbild zu formulieren, das dabei helfe, um auch in 100, 200 oder 300 Jahren noch von Ungarndeutschen sprechen zu können, so der aus Wudersch stammende Gallai.
Gleich zu Beginn der beiden Runden, an denen Szabolcs Fenyvesi aus Saar/Szár, Josef German aus Berkina/Berkenye, Melinda Kolonics aus Tscholnok, Magdalena Mihelik aus Neudorf/Nyergesújfalu, Christian Neukum aus Schemling/Vértessomló, Erik Richolm aus St. Iwan bei Ofen, Andreas Liebhardt aus Bogdan/Dunabogdány und Zoltán Szalonna aus Wemend teilnahmen, ging Gallai auf die Frage ein, warum die Veranstaltung nicht in deutscher Sprache stattfinde. Dies liege, so der Experte, an der Sprachsituation im Kreise der deutschen Gemeinschaft, die jedem bekannt sein dürfte, und dem Anspruch allgemein verständlich zu sein – gerade komplexe Sachverhalte machten einen Austausch in der Sprache der Ahnen kaum möglich.
Die Gesprächsrunden drehten sich um Fragen, die die Gemeinschaft betreffen, aber die auch lokale Bezüge aufweisen: Was heißt Gemeinschaft und Bekenntnis zum Deutschtum, was zeichnet die jeweilige Ortschaft aus (aus der Perspektive der deutschen Gemeinschaft) und wie gestaltet sich die Integration von (Neu-)Zugezogenen, welches Zukunftsbild würden die Teilnehmer der Runde formulieren? Aber auch aktuelle Themen kamen auf den Tisch, so zum Beispiel das geplante Gesetz über den Schutz der Eigenheiten der Kommunen (ung. településvédelmi törvény), das den Gemeinden besondere rechtliche Möglichkeiten einräumen soll, um den Zuzug zu begrenzen, aber genauso Fragen rund um Sprachgebrauch, Schulunterricht und die Rolle der deutschen Sprache im kirchlichen Leben.
Bei allen Unterschieden zeigte sich seitens der Bürgermeister eine Bekenntnis zur eigenen deutschen Herkunft und zu der der acht Gemeinden und welche Verantwortung damit einhergeht. Große Unterschiede zeigten sich dennoch in der Hinsicht, wie tief der jewilige Ortsvorsteher in der Thematik drin ist, wie Deutschsein in der Familie gelebt wurde und wird, in welchem Umfeld der/die jeweilige erste Mann/Frau aufgewachsen ist. Nahezu alle Teilnehmer der Gesprächsrunden wiesen auf gravierende Veränderungen in den letzten Jahren, Jahrzehnten hin, die aber ihren Anfang bereits 1946 genommen hätten: mit der Vertreibung, der Ankunft madjarischer Neusiedler, der Industrialisierung und nicht zuletzt der Landflucht, die die Gemeinden unterschiedlich getroffen habe. Diese Entwicklungen hätten die Dörfer unterschiedlicher Größe nachhaltig verändert, so auch Identität, Bekenntnis zur deutschen Nationalität und Sprachgebrauch der jeweiligen deutschen Gemeinschaften. So sprach einer der Bürgemeister treffend von einer Gemeinschaft, die ihre Sprache verlöre – mit der anschließenden Frage, was nach dem Aussterben der Sprache passiere.
Denn der Gebrauch der Sprache, die Kommunikation auf Deutsch sei bei allem Respekt für Tanz und Musik entscheidend, so ein anderer Bürgermeister. Auf dem Gebiet des Deutschunterrichts hätte es in den letzten Jahrzehnten positive Veränderungen gegeben, dennoch befinde sich Deutsch in der Defensive, vor dem Hintergrund der Popularität der englischen Sprache. Der Familie käme eine Schlüsselrolle zu, aber wenn sie dies nicht leisten könne, blieben der Kindergarten und die Schule, am besten in eigener Trägerschaft, so der Bürgermeister, dem auch andere zustimmten. Genauso berichteten die Bürgermeister der zweiten Runde von dem Stand der deutschsprachigen Liturgie in ihren Gemeinden, was in den meisten Orten lediglich das Singen von Liedern und gemeinsames Beten auf Deutsch bedeute, gerade vor dem Hintergrund fehlender deutschsprachiger oder gar aktiver Priester. Aber auch einen Rückgang der Zahl der Gottesdienstbesucher konstatierten die Ortsvorsteher, was eine schmerzhafte Erfahrung darstelle, gerade da Kirche und Volksfrömmigkeit lange identitätsstiftend gewesen seien, so einer der Bürgermeister.
Einen großen Raum nahm die Frage der Integration von Neuzogezogenen ein: Hier zeigten sich die Bürgermeister einig, dass sie dies als Zeichen für die Attraktivität ihres Ortes deuten und dass gelungene Integration über Engagement der Neulinge in Vereinen beispielweise geschehe. Das geplante Gesetz zum Schutz der Eigenheiten der Kommunen bewerteten die Teilnehmer differenziert, je nach Lage der Gemeinde: Bürgermeister (groß)stadtnaher Gemeinden beklagten sich dabei über steigende Grundstückspreise, was sogar zum Wegzug von Alteingessenen und zum Zerfall der Gemeinschaft führe, hier könnte ein Vorverkaufsrecht Positives bewirken. Mancherorts stelle eher der Wegzug ein Problem dar, wofür das Gesetz keine Lösung böte.
In der ersten Runde kam auch der Stand der Städte- bzw. Gemeindepartnerschaften zur Sprache: Diese hätten unter Covid massiv gelitten und würden mehr von privaten Kontakten als von kommunalen Engagements getragen. Zudem sei früher das Erlernen der deutschen Sprache Motivation Nr. 1 gewesen, das Reisen ins Mutterland Deutschland, heute sei das nicht mehr so „sexy”. Andere Bürgermeister berichteten hingegen von breiten Aktivitäten, von Sprachcamps bis hin zu Partnerschaften von Feuerwehren.
Was das Zukunftsbild betrifft, so betonten die Teilnehmer, dass es wichtig sei, dass viele das gleiche Zukunftsbild hätten. Dabei käme dem Nachwuchs eine Schlüsselrolle zu – in vielen Vereinen zeigte sich das Phänomen der Überalterung der Mitglieder, so einer der Bürgermeister dazu.
Die Reihe „Wechselgespräch untereinader” geht nach der Sommerpause in Kürze weiter weiter, am 7. September wird es im Deutschen Haus in Wesprim zu Gast sein, mit den Bürgemeisterinnen und -meistern Stefan Fódi aus Sitsch/Bakonyszücs, Josef Antmann aus Schitzenhofen/Bakonycsicsó, Tibor Schuder aus Woj/Baj und Johann Krausz aus Gant.
Die Gespräche können auf dem Youtube-Kanal des Deutschklubs Tarian aufgerufen werden: https://www.youtube.com/@Deutschklub-Tarjan
Bild: Facebook-Seite des Deutschklubs Tarian