Es war einmal, wo weiß man nicht, eine arme Bergarbeiterfamilie. Der Mann litt viel an Magenschmerzen, arbeitete aber trotzdem fleißig. Er lebte mit seiner braven, schönen Frau sehr gut zusammen, aber vielleicht noch mehr als einander liebten sie ihre einzige Tochter.
Jeden Tag brachte das Mädchen ihrem Vater das Mittagessen. Einmal, es war gerade Sommer, ging sie auch zu ihm. Weil sie arm waren und der Mann einen kranken Magen hatte, trug sie nur Brot und ein Töpfchen gesäuerte Gurken zu ihm. Sie setzten sich also nebeneinander, der Mann begann sein Mahl, das Mädchen aber war glücklich darüber, mit welch gutem Appetit er aß. Wie sie sitzen, kommt ein Windstoß, und plötzlich steht ein schöner Knabe vor ihnen. Der Mann fragt ihn:
“Was suchst du hier?”
“Ich bin gekommen, um zu sagen, daß in dem Bergwerk eine große Schlange ist. Vor ihr möchte ich euch warnen. Diese Schlange ist die Hexe. Wenn sie jemanden erblickt, verzaubert sie ihn im Nu. Vielen armen Bergarbeiterkindern erging es schon schlecht. Auch mich hat sie verzaubert.”
Der Mann sagte nichts. Der Knabe fand gleich Gefallen an dem Mädchen. Ja, das Mädchen auch am Knaben! Es schaute und schaute, denn einen verzauberten Knaben hatte es in seinem Leben noch nie gesehen. Als der Mann gegessen hatte, machte sich das Mädchen auf den Heimweg, und der Knabe ging mit ihr. Wie sie so gehen, erblicken sie auf einmal die Schlange. Diese hob den Kopf, zischte, und das Mädchen wurde in diesem Augenblick zu
Stein. Der Knabe ging so hinter der Schlange her, als ob er ihr Diener wäre. Zu Hause warteten Mutter und Vater vergeblich auf die Tochter.
Sie suchten sie drei Tage lang, fanden sie aber nirgends. Sie dachten, sie hätte sich irgendwo verlaufen oder wäre in eine Grube gefallen. Sie beweinten das Mädchen sehr. Aber einmal – nicht lange danach – begannen die Bergleute dort, wo das zu Stein gewordene Mädchen lag, die Arbeit tief unten im Berge. Da brach die Erde ein. Der Stein rutschte hinab und rollte in ein unterirdisches Zimmer.
Als er auf den Boden des Zimmers fiel, sprang – wie ein Küken aus dem Ei – aus dem Stein das verzauberte Mädchen heraus.
Als es sich umschaute, wunderte es sich sehr, denn der, den es dort fand, war niemand anderer als der verzauberte Knabe. Sie waren guten Mutes. Als aber dem Jungen die Hexe einfiel, wurden sic sehr traurig.
“Versteck dich schnell unter dem Bett!” sagte der Junge zu dem Mädchen, denn wenn meine Hausherrin zurückkommt, haben wir nichts Gutes zu erwarten!”
Kaum hatte er dies ausgesprochen, kam auch schon die Schlange.
“Ich rieche Menschenfleisch, ich rieche Menschenfleisch!” zischte sie giftig. Sie suchte eine Weile, aber da sie niemanden fand, legte sie sich schlafen. Dem Jungen befahl sie, gut aufzupassen und niemanden hereinzulassen.
Der Junge nickte nur, bei sich, dachte er aber, er lässt niemanden herein, denn des Mädchen steckte ja schon unter dem Bett. Er setzte sich also auf einen Stuhl und tat so, als ob er aufpassen würde.
Als die Hexe anfing zu schnarchen, kroch das Mädchen unter dem Bett hervor. Gemeinsam erwürgten sie die Schlange und befreiten sich und andere von ihrer bösen Macht.
Und jetzt erlebten sie ein wahres Wunder! Die Wände des Zimmers öffneten sich auf einmal, das Bergwerk erschloss sich vor ihnen, und aus dem kohlenreichen, schwarzen Bergwerk wurde ein wunderschöner, schloßartiger Palast.
Auch die Bergleute, die in der Grube arbeiteten, wunderten sich, als auf einmal alles um sie herum hell wurde und sie die goldenen Wände erblickten. Ihre Verwunderung stieg, als sie sahen, daß sie plötzlich schöne, ordentliche Kleider anhatten. Neugierig betraten sie nacheinander den Palast. Als sie in das größte Zimmer gelangten, beschlossen sie – freudig
über ihre Befreiung -, ein Fest zu feiern.
Als alle beisammen waren, setzten sie sich in einen Kreis um das Mädchen und den Jungen und dankten ihnen, weil sie das Volk von der Hexe befreit hatten. Alle freuten sich, aber am glücklichsten waren der Junge und das Mädchen. Bald darauf wurde die Hochzeit gefeiert. Alle waren dort, die, die geladen waren, und auch die, die nicht eingeladen waren. Wenn die eine Musikkapelle ermüdet zu spielen aufhörte, begann die andere. Auch die Alten tanzten. Die Jugend belustigte sich sieben Tage und sieben Nächte einander.
Das junge Paar lebte viele Jahre glücklich bis ins hohe Alter miteinander.
