Wenn der Elan nachlässt

Wenn der Elan nachlässt

Die diesjährigen Nationalitätenwahlen waren nicht nur von Kontinuität geprägt – das Sonntagsblatt sprach mit Vertretern von aufgelösten Selbstverwaltungen

„Vieles verbindet mich mit der Gemeinde, die schönsten Jahre meiner Kindheit, Verwandte, Freunde. Beide Eltern sind schwäbischer Herkunft. Im Dorf gab es einst sehr viele schwäbische Einwohner. Bis zu meinem fünften Lebensjahr sprach ich nur Schwäbisch, weil meine Urgroßeltern und Großeltern beiderseits schwäbisch mit mir sprachen. Das bedeutete später, gerade in der Anfangsphase im Kindergarten, Schwierigkeiten. Darauf folgte Deutsch in der Schule, ich nahm auch Extrastunden und im Rahmen von Selbststudium habe ich mich weiterentwickelt. Die schwäbischen Traditionen, die Dinge rund um das Schwabentum haben mich immer interessiert. Aufgrund meiner Arbeit beschäftige ich mich seit 1998 mit deutschen Selbstverwaltungen und unterstütze sie im Alltag, also gewissermaßen stehe ich für die Arbeit im Hintergrund”, erzählt Maria*, die zuletzt Vorsitzende einer Branauer deutschen Selbstverwaltung war und der die Auflösung der DNSVW immer noch sehr nahegeht.

Die Nationalitätenwahlen im Juni 2024 sorgten in vielen Selbstverwaltungen für personelle Veränderungen. Erfreulich dabei ist die Tatsache, dass sich 30 Jahre nach der Einführung des Selbstverwaltungssystems immer noch viele auch junge Ungarndeutsche finden, die etwas bewegen wollen und bereit sind Zeit für die Gemeinschaft zu opfern. Es wächst jedoch die Zahl derer, die dieses Opfer nicht mehr erbringen wollen und können. Um sie geht es in diesem Beitrag. Die Gründe sind dabei vielfältig und oft persönlicher Natur, dennoch deuten sie auf große Herausforderungen hin, vor denen die deutsche Gemeinschaft steht.

„Wir sind ein kleines Dorf und hatten in letzter Zeit große Rekrutierungsprobleme. Viele der Alten sind gestorben, somit konnten die Programme nicht mehr realisiert werden, obwohl wir auch von den Nichtdeutschen lange viel Zuspruch erfahren haben. Corona stellte eine Zäsur dar: Sie reduzierte die Zahl der Besucher beispielsweise beim Deutschen Tag massiv. Wir von der Deutschen Selbstverwaltung gehören der mittleren Generation an und irgendwann wollten wir keine Zeit mehr investieren, fühlten uns ein wenig ausgebrannt”, gewährt eine ehemalige Abgeordnete der Deutschen Selbstverwaltung Heimasch/Nagyhajmos einen Einblick in die Gründe des Nichtwiederantritts. Heimasch ist eine Branauer Gemeinde mit knapp 300 Einwohnern im Landkreis Bergrücken. In dem einst madjarischen, dann aber serbischen und kroatischen Dorf stellten die Deutschen spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Bevölkerungsmehrheit – nach der Vertreibung sind Madjaren aus dem ehemaligen Oberungarn gekommen. Ab dem EU-Beitritt des Landes ließen sich viele ausländische Rentner nieder, Deutsch sei dabei Kommunikationssprache. Die Deutschen stellen heute nur noch ein Siebtel der Bevölkerung. Das Dorf habe, wie viele andere in der Region, in den letzten 25 Jahren einen massiven Bevölkerungsrückgang von 50 % erlitten.

Über ähnliche Tendenzen berichtete auch Maria im Gespräch und wies auf die Bedeutung des Zuzugs von Nichtortsansässigen – in der Regel Madjaren – hin: Ihnen seien die deutschen Traditionen nicht wichtig und sie schätzten das schwäbische Erbe des Dorfes kaum. Auch die niedergelassenen Ausländer, in Marias Dorf zu 90 % aus dem deutschsprachigen Ausland, hätten keine Abhilfe geschaffen, zumal viele nur wenige Wochen im Jahr im Dorf verbringen würden. Als weitere Schwierigkeit sieht die erfahrene Verwaltungsfachfrau, dass der Betriebskostenzuschuss und die aufgabenbasierten Förderung zu niedrig seien und diese in zwei Raten überwiesen würden, was eine Planung erschwere. Zudem sei das Abrechnungsprozedere viel zu kompliziert. Trotzdem erinnert sie sich an die Tätigkeit der DNSVW positiv zurück, insbesondere dank der guten Kontakte zu zivilen Organisationen und anderen Nationalitätenselbstverwaltungen.

Die ehemalige Vertreterin aus Heimasch betont dabei, dass man habe alles realisieren können, was man sich vorgenommen hat: so den Deutschen Tag, die Ferienlager, die Unterstützung von Kindergarten und Schule und die Renovierung des Heimatmuseums. Entscheidend sei beim Erfolg die Zusammensetzung der Bevölkerung und die Kraft der Gemeinschaft. Diese schwinde verbunden mit einer gewissen „Sinnentleerung”. Gerade kleinere Ortschaften seien in großer Not. „Wenn keine Gemeinschaft, dann keine Zukunft” – gibt sie zu bedenken.

Auf einen anderen Hintergrund, aber ein ähnliches Schicksal haben die dritte Branauer Gemeinde Krendorf/Tormás und deren deutsche Bewohner zurückzublicken: „In Krendorf lebten vor 1945 in kleiner Zahl Deutsche, es war ein überwiegend madjarisches Dorf. Aber es gab genug Deutschsprachige, so dass sie eine eigene Kneipe und einen eigenen Laden hatten. Meine Eltern und Verwandten haben viele schmerzhafte Erinnerungen über die Vertreibung nach dem Krieg an mich weitergegeben. Der Hass, die Verachtung und die Schuldzuweisungen, die während der Deportation zum Ausdruck kamen, hinterließen in der Familie schmerzliche Erinnerungen. Auch die anschließende Vertreibung und vollständige Enteignung verursachten tiefe Wunden, die wir jahrzehntelang trugen. Angetrieben von diesen Erinnerungen und dem Wunsch der Bewahrung schwäbischer Traditionen und Bräuche verspürte ich nach der Jahrtausendwende die Kraft und den Drang, mich aktiv an der Vereinigung der deutschen Gemeinschaft zu beteiligen und unsere Traditionen zu pflegen und weiterzugeben. Im Jahr 2010 bot sich eine gute Gelegenheit, den Plänen Taten folgen zu lassen. Gemeinsam mit einigen aktiven Familien ist es uns gelungen, das Interesse mehrerer Menschen für die Gründung einer deutschen Selbstverwaltung zu wecken”, erzählt der vormalige Vorsitzende der DNSVW Krendorf Johann Váradi.

Im Gespräch ruft Váradi mehrfach die Familiengeschichte in Erinnerung: das Gefühl der Zerissenheit der Familie durch Verschleppung und Vertreibung, den kindlichen Wunsch nach der Begegnung mit den Verwandten in der BRD und der DDR, das Treffen mit der Verwandtschaft in Zwickau oder die Begegnung der Ost- und Westverwandtschaft in Fonyódliget am Plattensee. Aber auch die Zeit in der Nationalitätenverwaltung war für ihn eine prägende: die Musik- und Tanzveranstaltungen, Ausflüge, Nationalitätentage und Feste. Als größte Erfolge sieht er die Gründung einer deutschen Tanzgruppe und die Anschaffung eines Kleinbuses für die Gemeinschaft. Váradi sieht dabei auch die Grenzen der Aktivitäten, insbesondere was die Sprachpflege anbelangt: „Der Sprachgebrauch ist im Ort leider völlig verloren gegangen bzw. war soweit vorhanden, was die Kinder in der Schule erlernt haben. In Krendorf gibt es keine Schule mehr, die Kreisgrundschule befindet sich in Gödring/Gödre. Der Kindergarten vor Ort war aber stets Partner bei der Pflege der deutschen Traditionen.”

Was die Gründe für den Verzicht auf eine erneute Kandidatur angeht, so vermischen sich persönliche wie strukturelle Gründe: Johann Váradi zog aus persönlichen Gründen nach Schaschd um. Aber auch die demografischen Verhältnisse hätten einen entscheidenden Grund geliefert: die Bevölkerungsbewegungen ab den 1990er Jahren, in deren Folge die Jungen abwanderten und die zurückgebliebenen Alten starben. Das alles habe dazu geführt, dass sich 2024 lediglich 12 Bewohner zur deutschen Nationalität bekannt hätten, obwohl mehr Deutsche in der Gemeinde lebten. Váradi meint im Rückblick, man hätte sich stärker auf die Leute zubewegen sollen, denkt aber gleichzeitig, dass es so kommen musste. Eine „Agitation” hätte womöglich alte Wunden aufgerissen, so der ehemalige Vorsitzende. Als dritten Grund weist er auf etwas hin, was auch woanders die Auflösung der deutschen Selbstverwaltungen begünstigt habe: 2019 habe man einen neuen Bürgermeister gewählt, der die Ehefrau von Váradi nach 13 Jahren im Amt ablöste. Eine Zusammenarbeit mit dem neuen Ortsvorsteher sei kaum möglich gewesen – zudem hätte Corona – ähnlich wie in Heimasch – jegliche Zusammenkünfte verhindert, was im Endeffekt den Zusammenhalt geschwächt habe.

Die kreisfreie Stadt Erlau/Eger hat 1600 registrierte deutsche Bürger. Dort berichtet der vormalige Vorsitzende der Deutschen Selbstverwaltung Attila Deutsch über ähnliche Erfahrungen: „In der letzten Amtsperiode (2019-2024, Red.) haben wir vom Bürgermeister keinerlei Unterstützung erhalten – dies gilt für alle Nationalitäten – obwohl es früher üblich war, dass jede Nationalität 1,5 Millionen Forint (vor 2019 etwa 4200 Euro) jährlich von der Stadt bekam. Gleichzeitig waren die deutschen Veranstaltungen als Touristenmagnet weiterhin willkommen. Irgendwann war ich nicht mehr bereit dies aus der eigenen Tasche zu bezahlen, obwohl die 60 Aktiven die Programme mit viel Enthusiasmus vorbereiteten und durchführten.” Deutsch hat nach eigenem Bekunden keinen Nachfolger gefunden, zumal seine Mitstreiter gesehen hätten, was sie bei einer Wahl erwartet.

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*Name auf Wunsch der Interviewpartnerin geändert

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