Einblicke in die deutsch-ungarische zweisprachige Kindererziehung in Ungarn
Zwischen Sprachen und Erwartungen
In Ungarn wird ungarisch gesprochen. Das ist die allgemeine Vorstellung der Gesellschaft. Für die Mehrheit ist die Sprache das wichtigste Merkmal der Zugehörigkeit zur Nation. In einem solchen Umfeld wird erwartet, dass man die Sprache innerhalb der Familie weitergibt. Verlässt man das bequeme, schützende Zuhause, trifft man auf eine rein ungarischsprachige Welt. Natürlich kann man nicht erwarten, dass überall im Land, wo es Deutschsprachige gibt, alles zweisprachig ist. Doch mehr Zweisprachigkeit in der Öffentlichkeit wäre wünschenswert. In alltäglichen Situationen habe ich Erfahrungen gesammelt, über die ich im zweiten Artikel der Serie „Zweisprachiger Erdenbürger“ schreiben werde.
Man kommt beim Kinderarzt an. Alles ist auf Ungarisch. Die anderen Kinder sprechen ungarisch mit ihren Eltern. Der Arzt spricht ungarisch. Und allen Anwesenden ist bekannt, dass ich Ungarisch kann – ich spreche ja ungarisch mit meiner Frau. Und dann beginne ich mit „Hoppe, hoppe, Reiter“, um das Kind zu beruhigen.
Wie auf einem Karussell beginnen die Gedanken in meinem Kopf zu kreisen. Was denken die anderen? Muss man immer eine Erklärung abgeben, warum man deutsch spricht? Oder sollte man außer Acht lassen, was andere denken könnten? Es scheint einfach, diese Frage mit einem Ja zu beantworten. Doch der gesellschaftliche Druck macht es nicht so einfach.
Früher habe ich die früheren Generationen kritisiert, weil sie die Sprache nicht weitergegeben haben. Doch jetzt, da ich in einer ähnlichen Situation bin, ist es nicht mehr so leicht, anderen die Schuld zu geben. Früher gab es neben gesellschaftlichem auch politischen Druck und die Erinnerung an Entrechtung und Vertreibung.
Ich dachte, es würde nur etwas Entschlossenheit brauchen, um mit meinem Kind deutsch zu sprechen. Doch das ist unter gewissen Umständen nicht so einfach. Wenn man die Umgebung, in der man dem Druck ausgesetzt ist, nicht ändern kann, braucht es eine Entschlossenheit, die für viele zu viel ist. Mehr zweisprachige Schilder und Texte könnten das erleichtern. Wenn man in einem Raum Informationen auch auf Deutsch findet, fühlt es sich plötzlich einfacher und „normal“ an, auf Deutsch zu kommunizieren.
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