Wein ist kein Alkohol -Bock

Wein ist kein Alkohol, sondern Teil der Tischkultur

Bekanntester Winzer Ungarns erhielt Preis für Lebenswerk / das Sonntagsblatt sprach mit dem 77-jährigen Winzer Josef Bock aus Willand

Brille? Fielmann! Viele von uns kennen die legendär gewordene Werbung für die Optikkette Fielmann. Damit versucht man den Einzelhändler zum Brillenverkäufer par excellence zu machen. In ungarndeutscher Relation könnte die Werbebotschaft folgendermaßen lauten: Wein? Bock! Denn Josef Bock aus Willand/Villány ist schlechthin der bekannteste Winzer des Landes. Er erhielt heuer einen Preis der Ungarischen Weinakademie für sein Lebenswerk. Und tatsächlich lässt sich das Schaffen des in Jackfall/Kisjakabfalva geborenen Ungarndeutschen sehen.

An einem Augustvormittag sitze ich im Restaurant des Weinguts der Familie Bock in Willand Angesicht zu Angesicht mit Firmengründer Josef Bock. Der 77-Jährige macht einen entspannten Eindruck, dennoch merkt man schnell, dass er den Laden immer noch voll im Griff (und wie er scherzhaft sagt, „im Blick”) hat. Leute kommen und gehen, darunter Familienangehörige, man grüßt sich freundlich, ein kleiner Plausch hier und da, kurze Wortwechsel, vertraute Gesten. Bock beschäftigt 110 eigene Angestellte, dazu kommen in der Vegetationszeit 30-60 Saisonarbeiter – oft über Subunternehmer oder als Tagelöhner beschäftigt. Die Mitarbeiter bewirtschaften das Weingut, das 120 Hektar umfasst. Aber auch Restaurant, Hotel (das 1996 als Pension gegründet wurde) und Kellerei bieten viele Arbeitsmöglichkeiten. Bock klagt über Arbeitskräftemangel, aber vor allem vermisse er gute Mitarbeiter, die eigenständig seien und die man nicht kontrollieren müsse – insbesondere im Weingut. Zudem verfügt das Familienunternehmen über ein eigenes Wartungsteam, sollten im Keller Wasser eindringen, landwirtschaftliche Maschinen repariert werden oder die Klimaanlagen im Restaurant den Geist aufgeben.

Wahrlich klein hat Familie Bock angefangen. Die aus dem Hochstift Fulda stammende Familie, deren Urahn 1734 nach Ungarn kam, lebte lange im angrenzenden Dorf Jackfall und hatte einen 1,5 Hektar großen Weingarten. Diesen im Jammertal liegenden Weingarten (Gemarkung Willand) musste der Vater 1958 zurückkaufen – auch sonst hatte die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg einen Leidensweg durchmachen müssen: Die Eltern des Vaters seien nach Deutschland vertrieben worden (von den 233 Jackfaller Deutschen wurden 45 vertrieben). Der Vater sei zuerst in amerikanischer Gefangenschaft gewesen und in Nürnberg wegen einer Erkrankung behandelt worden. Er sei zur Zeit der Vertreibung aufgrund einer anderen Erkrankung in Sieglos/Siklós im Krankenhaus gelegen und nicht transportfähig gewesen. Eine Schwester sei im Rahmen der Malenkij Robot in die Sowjetunion verschleppt worden, die andere nach Gowisch/Villánykövesd verheiratet und so nicht mehr Teil der Bock-Sippe gewesen. In Palkan/Palkonya und Gowisch habe man kaum jemanden vertrieben, so Bock. Nach der Vertreibung seien madjarische Siedler aus dem ehemaligen Oberungarn, aber auch aus Nordostungarn nach Jackfall gekommen, so dass bis 1950 „große Gegensätze zwischen den telepesek und den Alteingesessenen geherrscht haben”, so Josef Bock. Die erzwungene Zusammenarbeit im Rahmen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) Jackfall (und des Staatsgutes) habe aber nach Eindruck des Winzers Positives bewirkt: „Mein Vater war Brigadeführer von 15 Leuten, darunter viele Madjaren. Die Gegensätze haben sich mit der Zeit gelöst, es kam zu den ersten Mischehen im Ort.” Die Ankunft der Madjaren hatte wie anderswo den Alltag verändert: „Auf der Gasse wurde fortan ungarisch gesprochen. Wir zu Hause sprachen schwäbisch, das war richtiges Schwäbisch, aber nach dem Schuleintritt habe ich meist ungarisch geantwortet. Ich hatte einen ungarischen Freund, der nach einer Zeit das schwäbische Gerede der Großmutter auch verstanden hat.” Die volkskirchlichen Traditionen haben auch den Alltag der Bocks geprägt, so dass Josef Bock bis zum 17. Lebensjahr ministriert hat. Der Geistliche des Ortes, Sebastian Elm, habe sowohl auf Deutsch als auch Ungarisch gepredigt und bestimmte als Pfarrer von Willand (ab 1950) das geistliche Leben der Region bis zu seinem Krebstod im Jahre 1984.

Josef Bock sei 1972 nach Willand gezogen und heiratete die Lehrerin Valeria Kenéz (Kresz), die aus Lippowitz/Kislippó unweit von Willand stammte. Seitdem habe das Heimatdorf Jackfall nach Bocks Eindruck sein Gesicht maßgeblich verändert: Waren 1979 noch die Hälfte der 288 Jackfaller Deutsche, sind es heute nur noch „fünf bis zehn Leute”, so der Winzer. Bock war ursprünglich Schlosser vom Beruf (darauf folgte das Technikum) und leitete nach eigenen Angaben Anfang der 1980er Jahre einen Betrieb mit 100 Mitarbeitern. Diese Tätigkeit habe er bis 1992 ausgeführt, aber bereits seit 1987 habe er Flaschen abgefüllt. Der Einstieg in den Weinbau sei ihm Anfang der 1980er Jahre – nach dem Tod des geliebten Vaters – nicht leicht gefallen: „Kann ich alles erledigen? Weiß ich alles über den Weinbau?”, solche und ähnliche Fragen beschäftigten den damals jungen Mann. Aber die Mühen haben sich gelohnt: „Wir konnten einen S(c)higuli (Zsiguli) für 75.000 Forint (damals etwa 10.000 Deutsche Mark, in Ungarn ein Vermögen, Red.) kaufen, jedes Jahr Urlaub am Plattensee und bei den Verwandten in Deutschland machen”, erinnert sich Bock. Bis 1991 habe er die Branauer Hotels der Kette Hungary Hotels beliefert und bereits Exportgeschäfte abgewickelt. Damals bestand das Weinangebot zu 90 % aus Portugieser, darüber hinaus bot man Rosé/Schiller und Blaufränkisch an. Dies sei sowieso eine Zeit einschneidender Veränderungen gewesen: Das Staatsgut habe nur Wein angebaut, aber auch die LPG habe eine Wein-Fachgruppe gehabt, der Bock angehört habe. Den angebauten Wein habe die LPG vermarktet, ein Großteil des Willander Weins sei in die Sowjetunion gegangen. Mit der Zeit seien die Alten gestorben und die Jungen hätten eigene private Weingüter gegründet. Das Staatsgut (bzw. der Nachfolger) sei 1998/99 vom Banker und Großunternehmer Sándor Csányi aufgekauft worden, womit dieser zum größten Weingutbesitzer des Landes aufgestiegen sei (500 Hektar).

Aber auch Bock mit seinem Gut von 120 Hektar – davon fünf biologisch bewirtschaftet – zählt zu den großen Mitspielern. 70 % der 1,4 Millionen Liter kaufe der Lebensmittelhandel auf – vor allem die Discounter seien hier erwähnt  – 20 % gehe an Gastronomie und Weinhandel und 10 %, etwa 150.000 Flaschen, verkaufe man vor Ort in Willand. Der Export mit einem Anteil von 2 % falle nicht ins Gewicht, so der Seniorchef. Der Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Forint (4,55 Millionen Euro) bringe einen Gewinn von 80 Millionen Forint (202.000 Euro – Zahlen vom letzten Geschäftsjahr), was einer Marge von etwa 4 % entspreche – ein Klacks im Vergleich zur Anfangszeit, wo die Marge zehnmal höher (40 %) gelegen habe.

Aber generell erlebe der Weinbau in Ungarn eine Krise: „Durch Covid gab es einen Einbruch in der Gastronomie, die Probleme hat der Ukrainekrieg verstärkt, denn die Preise für fast alles sind zwei Monate nach Kriegsbeginn deutlich gestiegen. Das Wachstum im Lebensmittelhandel konnte den Einbruch in Gastronomie und Hotellerie leider nicht ausgleichen, zumal die Preise gefallen sind, auch wegen dem Kostendruck im Einzelhandel.” Darüber hinaus hätten sich die Gewohnheiten geändert: „Die Nachfrage nach Weißwein ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Das Problem ist aber, dass sich die Anbaufläche des Weißweins in Willand seit der Wende zugunsten des Rotweins verschoben hat, früher betrug der Anteil 50 %. Das zu ändern benötigt Zeit”, gibt der Winzer zu bedenken. Auch der Verbrauch sei in den letzten 20 Jahren massiv gesunken: von 29 Liter pro Person im Jahr 2000 auf 15 Liter 2024. Der Weintourismus in Willand laufe nach Ansicht Bocks gut, aber an die goldenen Jahre (2017-19) würden die gegenwärtigen Zahlen nicht heranreichen („die Leute sind nicht mehr so spendabel”) – dies gelte auch für den Hotelbetrieb, in dem die Ganzjahresauslastung von 60 auf 40 % gesunken sei. Man müsse nach Ansicht von Josef Bock durch mehr Marketing und die Anhebung der Null-Promille-Grenze für Autofahrer gegensteuern: „Wenn eine 0,5 %-Promillegrenze woanders möglich ist, dann müsste das auch hier funktionieren. Wein ist kein Alkohol, sondern Teil der Tischkultur. Man könnte durch die Anhebung einen Mehrverbrauch von fünf bis acht Liter pro Jahr und pro Person erzielen.”  

Kritisch sieht der 77-Jährige auch den Rückgang der Anbaufläche von gegenwärtig 60.000 Hektar in Ungarn. Mit dem Verschwinden der Weinstöcke drohe vielerorts eine Austrocknung der Landschaft insbesondere in der Großen Tiefebene. Deswegen plädiert der Fachmann für die Nutzung des Hochwassers der großen Flüsse durch den Ausbau des Kanalnetzes.

Die Zukunft des Familienunternehmens sieht der Gründer optimistisch: Die Kinder Patricia und Valer – beide Leőwey-Absolventen und deutschsprachig – sind fest in die Geschäftsprozesse integriert. Das Kellersystem unterhalb des Restaurants und des Hotels (mit der Kuppel oder Kapelle, die als Veranstaltungsraum genutzt wird) zeugt vom Willen, die Marke Bock für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. 

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