(Ausschnitte aus dem Vortrag auf dem Stiftungsfest der „Suevia Pannonica“ Vereinigung ungarndeutscher Akademiker, Haus der Heimat Stuttgart, den 13. April 2024)
Von Krisztina Kaltenecker
Der ehemalige „Volksgruppenführer“ Franz Anton Basch (1901–1946) führte nach der Niederlage Ungarns im Zweiten Weltkrieg im Jahre 1945 in seinem Volksgerichtsprozess in Budapest zu Irma Steinschs Person, Anstellung und Tätigkeit im Volksbund der Deutschen in Ungarn grundsätzlich falsch und irreführend aus:
„[…] Dr. Irma Steinsch [führte K.K.] bei uns die Ahnenforschung der Mitglieder durch […]. Sie war Angehörige des deutschen wissenschaftlichen Instituts, bekam von dort ihre Bezahlung, während sie bei uns halbtags arbeitete. Sie war deutsche Staatsbürgerin. Wir mussten sie, die deutsche Staatsangehörige, engagieren, weil wir für diesen Posten keinen geeigneten ungarischen Bürger gefunden hatten.“ [1]
Aufgrund der Überlieferung des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts Budapest ist es nämlich zweifellos festzustellen, dass die gebürtige Schlesierin Irma Steinsch (1906–1996)[2] keine Angestellte dieser Institution war. Vielmehr war sie (getarnt als „Universitätshörerin“ und „Doktorandin“) ab 1936/1937 die von der Reichsjugendleitung über die Volksdeutsche Mittelstelle der SS (VoMi) nach Ungarn beorderte Mitarbeiterin der Volksdeutschen Kameradschaft für die organisatorische Erfassung und Beratung der deutschen Mädchen und Frauen. Doch ihre Leitungsambitionen gingen über die „Frauenarbeit“ (verstanden als NS-Indoktrinierung und -Mobilisierung) in den deutschen Gemeinden Ungarns von Anfang an weit hinaus. Als „Kameradin“ wollte sie die „Volkswerdung” der Deutschen in Ungarn unter Beanspruchung und Inanspruchnahme der Hilfestellung des Deutschen Reichs effektiv vorantreiben. Auch wollte sie der Volksdeutschen Kameradschaft reichsdeutsche Wissenschaftshilfe zu deren Autonomiebestrebungen erteilen.
Nach ihrer Promotion bewarb sie sich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft Berlin um ein zweijähriges Forschungsstipendium in Wien. Vor dem Hintergrund des von Deutschland am 1. September 1939 mit dem Polenfeldzug entfesselten Zweiten Weltkrieges war die Deutsche Forschungsgemeinschaft Berlin allerdings nur unter der Bedingung bereit, ihr ein Stipendium zu gewähren, wenn sie sich schriftlich verpflichte, in Bezug auf Umsiedlungsfragen des Deutschtums für brauchbares Material zu sorgen. Ihr Wiener Mentor, der Geograph, Historiker und Spion Wilfried Krallert (1912–1969), sicherte daraufhin der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft Berlin entschieden zu, in Bezug auf Ungarn brauchbare Dienste für die reichsdeutsche nationalsozialistische Großraumpolitik zu erbringen. Dementsprechend mobilisierte sich Steinsch von nun an unmittelbar gegen das rassisch fremde „Madjarentum“ und für die optionale Zerschlagung Ungarns.
Im August 1940 erfolgte der Durchbruch in ihrer Karriere als Expertin für „volkspolitische Fragestellungen in Ungarn/Südosteuropa“ bzw. (mit heutigem Wortgebrauch) als nationalsozialistischer Social Engineer und Ethno-Manager. Sie erhielt ein festes Arbeitsverhältnis bei der Wiener Geschäftsstelle der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft im Monat der Unterzeichnung des Wiener Volksgruppenabkommens zwischen den Regierungen des Deutschen Reichs und des Königreichs Ungarn. Sie wurde von der dortigen, von Krallert geführten Publikationsstelle als Referentin für Ungarn und Mitarbeiterin der kartographischen Abteilung übernommen. Ihr oblag die Leitung des Dokumentationswesens, mit ihrer Sachbearbeiterin Brigitte Philippi – stellt Michael Fahlbusch fest. Wie Herbert Fürst belegt, vermittelte der Leiter der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft Wien, Otto Brunner (1898–1982), im März 1941 unter anderen auch der Ungarn-Expertin Steinsch, dass die mit der sogenannten germanischen Überlegenheit im Südosten konkurrierende ungarische Staatsidee des „Reichs der Heiligen Stephanskrone“ wirkungsmächtiger als je zuvor bekämpft werden soll. Die neue Direktive bedeutete für Steinsch die Erweiterung und Spezifizierung ihrer Aufgaben mit der Bekämpfung der ungarischen Staatsdoktrin durch 1. wissenschaftliche Legitimation, 2. Spionage, 3. Agitation, 4. Propaganda und Gegenpropaganda sowie 5. Indoktrinierung. Meiner Meinung nach sollte sie konkret und in erster Linie volksstatistische und -geographische Karten und andere „Dokumente“ erarbeiten und verbreiten, um zu belegen und zu veranschaulichen, dass sich ein immerwährendes, homogenes deutsches Volkstum im Bereitschaftsmodus befindet – und zwar über das Staatsgebiet Ungarns weit hinausgehend. Diese Art des deutschen Volkstums sollte natur(ordnungs)gemäß und durch NS-Umsiedlungen und -Umvolkungen optimal aktiviert werden.
Wie Norbert Spannenberger feststellt, wurde das politische Profil der Volksgruppenorganisation des von Basch geführten Volksbundes der Deutschen in Ungarn zur Zeit der Revisionserfolge Ungarns in Richtung einer noch stärkeren „Nazifizierung“ verändert. Beispielweise einigte sich Volksgruppenführer Basch mit den von der Volksdeutschen Mittelstelle der SS vermittelten „Fachberatern“ im Januar 1941 in Budapest auf die Gründung von Unterabteilungen im Volksbund. Er habe 1941 von dem aus den drei Leitern und deren mitgebrachtem Hilfspersonal bestehenden „Import“ aus dem Deutschen Reich erwartet, dass dadurch die im Volksbund fehlenden volksdeutschen Fachkräfte ersetzt würden – meinen sowohl Loránt Tilkovszky als auch Norbert Spannenberger. Inwiefern die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Modernisierungsschub mit der willfährigen Billigung einer reichsdeutschen nationalsozialistischen Einflussnahme oder gar (und vielmehr) mit einer NS-fremdenpolitischen, invasiven Durchdringung verbunden war, wurde allerdings in der Geschichtswissenschaft bis heute noch nicht zufriedenstellend geklärt.
Im April 1941 trat „Horthy-Ungarn“ auf der Seite des nationalsozialistischen Deutschen Reichs in den Krieg gegen Jugoslawien ein – das heißt hier in den Weltkrieg. Irma Steinsch galt meiner Meinung nach exakt ab diesem Monat offiziell als eine der aus dem Deutschen Reich importierten Volksbund-Fachkräfte zur „Modernisierung“. Sie wurde nämlich in demselben Monat zur Leitung der neu errichteten sogenannten Statistischen und Wissenschaftlichen Abteilung der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft Wien ernannt, welche im Budapester Sitz des Volksbundes der Deutschen in Ungarn untergebracht wurde. Nun betätigte sie sich also grundsätzlich von Budapest aus mit der Erledigung ihres erweiterten VoMi-Auftrages, nämlich der Zuarbeit zur rassenhygienischen Neujustierung des Gemeinwesens im ganzen Donau-Karpatenraum durch Umsiedlungen sowie Umvolkungen.
Es ist meiner Ansicht nach von großer Bedeutung, dass Steinsch ab diesem Zeitpunkt in Budapest eigentlich – aber getarnt – als Abteilungsleiterin „Statistik, Wissenschaft“ der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft und Publikationsstelle arbeitete, offiziell – aber nur nebenbei – als Leiterin der neu gegründeten Abteilung „Volkswissenschaft“ des Volksbundes der Deutschen in Ungarn. Sie war im von Adam Schlitt (1913–1990) geführten Hauptamt für Volkstumsschutz eingegliedert und formell mit dem Dienst der allgemeinen Volksbildung betraut. Das heißt, Steinsch sollte dort wissenschaftliche und allgemeinbildende Vorträge für die örtlichen Volksbundgruppen organisieren sowie den Wissensstand des Deutschtums in Ungarn zu historischen, geografischen, rassenbiologischen und weltanschaulichen Gegenständen heben – beweisen Barbara Bank und Sándor Őze. Steinschs Position im Volksbund entsprach meiner Überzeugung nach einer Leiterin der rassisch-nationalsozialistischen Bildungsarbeit (NS-Agitation und -Propaganda). Meine Gewährspersonen haben mir diesbezüglich unisono zugesichert, dass Steinsch damals unter den Ungarndeutschen außerhalb der Leitungsebenen der zeitgenössischen minderheitenpolitischen Organisationen (wie des Volksbundes bzw. des vormaligen Volksbildungsvereins und der „Treuebewegung zu Ungarn“) sowie außer bei Honoratioren der Gemeinden weitestgehend unbekannt geblieben war. Sie verfügte zwar über regionale Volksbund-Verbindungsleute oder -Stützpunktleiter, verkehrte allerdings persönlich und unmittelbar mit „einfachen“ Ungarndeutschen auf dem Lande kaum – im Einklang mit dem nationalsozialistischen Prinzip der sogenannten Führer-Auslese. Meiner Meinung nach war für sie als Social Engineer und Ethno-Managerin der allumfassende Zugriff auf die ungarndeutschen Gemeinden der Vergangenheit und der Gegenwart von Bedeutung – ebenso auch auf noch lebende oder bereits verstorbene Einzelpersonen scheinbar oder tatsächlich deutscher Herkunft. Dieser Zugang wurde ihr, der „ausgebildeten Statistikerin des Volksbundes“, im bzw. durch das Amt für Volkswissenschaft ohne Aufsehen gewährt.
Ich bin von Folgendem überzeugt: Die „Expertentätigkeit“ von Irma Steinsch und der anderen, vom Volksbund nach Ungarn importierten „Berater“ bestand im Wesentlichen darin der Volksdeutschen Mittelstelle der SS zuzuarbeiten. Grundlage dieser Arbeit war eine von dem laufenden Eroberungskrieg motivierte reichsdeutsche nationalsozialistische Lebensraumplanung, -gewinnung und -gestaltung. Diese war verbunden mit reichsdeutschem nationalsozialistischem Volksgruppen-Management. Alle Maßnahmen sind auf Kosten der territorialen Integrität aller Staaten und der Souveränität aller Völker des Donau-Karpatenraumes zu verstehen und zu identifizieren.
Der ehemalige Volksgruppenführer wollte vor dem Volksgericht 1945 verständlicherweise verschleiern, dass Steinsch 1941–1944 in ihrer Eigenschaft als zweifache Abteilungsleiterin im Wesentlichen ein Bindeglied zwischen der Volksdeutschen Mittelstelle der SS in Berlin (bzw. der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft und Publikationsstelle Wien) und dem Volksbund der Deutschen in Ungarn bildete.
Ungarn wurde (unter anderen wegen dessen Bestrebung nach einem Sonderfrieden) am 19. März 1944 vom nationalsozialistischen Deutschen Reich besetzt. Der Volksbund der Deutschen in Ungarn wurde gleichzeitig – sowohl konzeptionell-funktionell als auch personell-organisatorisch-strukturell – umgestaltet. Irma Steinschs „Amt für Volksforschung“ blieb trotzdem im „Hauptamt für Volkstumsschutz“ eingegliedert. Sie inszenierte und propagierte ihren NS-Kampfdienst ab März 1944 Reichsdeutschen gegenüber als Teil der wichtigsten Volksbund-Bestrebung: Jede nur verfügbare Kraft war zur Bewältigung der infolge der Okkupation Ungarns „riesengroß angediehenen“, „vordringlichen und kriegswichtigen Arbeiten“ einzusetzen. Wie unter anderen Andrea Dunai es betont: Steinsch beteiligte sich zwischen dem 5. und dem 8. Mai 1944 mit zwei bis drei ihr zur Verfügung gestellten Volksbundmitarbeiterinnen aktiv an der Plünderung von 22 Budapester jüdischen Antiquariaten und Buchhandlungen. Diese Plünderung wurde von SS-Hauptsturmführer und Gruppenleiter VI G im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) Wilfried Krallert persönlich geplant und geleitet. Ferner half Steinsch ihrer eigenen Schilderung nach seit April 1944 im Volksbund bei der Durchführung der Aufstellung der ungarndeutschen Männer für die dritte – erzwungene – Waffen-SS-Aktion mit.
Ob Irma Steinsch Ungarn 1944 mit dem Sonderkommando VI G verließ oder es mit anderen tat, muss gegenwärtig – in Ermangelung diesbezüglicher Quellen – offen bleiben. Sie gelangte am Ende des Krieges oder nach dem Krieg in die US-Besatzungszone Deutschlands. Dort gab sie sich als geflüchtete Budapester Universitätsassistentin – sprich als ungarndeutsche Akademikerin – aus.
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[1] Ins Deutsche übersetzt von Norbert Spannenberger. Der originale Text lautet: „[…] dr. Steinsch Irma nálunk a tagok őskutatását végezte. Ő a német tudományos intézetnek volt a tagja, ott kapta a fizetését, nálunk félnapokat dolgozott, német állampolgárságú volt. Azért kellett német állampogárságút alkalmaznunk erre a helyre, mert megfelelő magyar embert nem találtunk.“ Zitiert nach: Seewann, Gerhard – Spannenberger, Norbert (Hg.): Akten des Volksgerichtsprozesses gegen Franz A. Basch Volksgruppenführer der Deutschen in Ungarn Budapest 1945/46. Unter Berücksichtigung der Arbeiten von Friedrich Spiegel-Schmidt und Loránt Tilkovszky. München 1999, S. 63-64, 309.
[2] Irma Steinschs Sterbejahr galt in der geschichtswissenschaftlichen Forschung Jahrzehnte lang als unbekannt. Für die Ermittlung des richtigen Datums danke ich Paul Ginder und Wendelin Hambuch aufrichtig.
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Beitragsbild: Männer aus Majosch (heute Teil der Gemeinde Bonnhard/Bonyhád im Komitat Tolnau) marschieren in Gefolgschaft ihrer Ortstafel vor dem Volksgruppenführer Franz Basch auf und salutieren ihm mit dem Hitlergruß, 1939