„Auf für eine frische, landesweite Kulturbewegung!“

Lehrer, Heimatforscher und Kulturschaffender Dr. Peter Schweininger aus Saar/Szár zu seiner heimatgeschichtlichen Dissertation sowie zu Fragen von Sprache und Identität und den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft

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SB: Peter, Du hast im Herbst dein Buch über die Ansiedlungszeit in Saar vorgestellt – wie war die Resonanz?

PS: Als ich Mitglied im Doktorandenprogramm der Uni ELTE war, erfuhr ich oft die Kritik, warum ich mich eigentlich nur mit einem einzigen Dorf beschäftige. Es gab aber auch manche Professorinnen und Professoren, die mir vertraut haben. Deswegen habe ich ein dreijähriges Stipendium für meine Forschungsarbeit bekommen. Und was ich wollte, konnte ich – mit großer Hilfe meiner Lehrer und dank der riesigen Geduld meiner Familie – umsetzen: eine Ortsmonographie mit ganz neuen wissenschaftlichen Methoden. Ich bin darüber sehr froh und ich bin mit der Resonanz zufrieden: Alle Exemplare der ersten Auflage der „Schwabenwelten“ wurden verkauft, die Buchvorstellungen waren unglaublich gut besucht. Es ist mir eine große Ehre, ich bin sehr dankbar für das Interesse. Die Historiker haben auch sehr gute Meinungen und Kritiken darüber gesagt und geschrieben. Denn viele Fachleute erkannten, dass es dabei nicht nur um ein kleines Dorf geht, sondern die Geschichte der Saarer Familien können auch Aufschluss über allgemeine mentalitäts- oder gesellschaftsgeschichtliche Tendenzen bei den Ungarndeutschen geben. Ich bin echt froh darüber.

 

SB: Du beschäftigst dich in deiner Arbeit mit der Geschichte von Saar im 18./19. Jahrhundert. Kannst du ein bisschen mehr über das Forschungsprojekt bzw. deine Dissertation erzählen?

PS: Der Fokus meiner Forschung lag zwölf Jahre lang auf der Bevölkerungsgeschichte meines Heimatsdorfes. Mein wichtigstes Ziel war es zu erkunden, wie die ersten Saarer eigentlich gedacht haben. Es ist eine ziemlich schwierige Aufgabe – sogar fast unmöglich – die Denkweise der Mitglieder einer Gemeinschaft zu erforschen, die vor 200-250 Jahren gelebt haben. Denn es gibt sehr große Quellenlücken in einer Gesellschaft, in der recht wenige die Fähigkeit zum Lesen oder Schreiben beherrschten. Während meiner Forschungstätigkeit war mir jedoch ein Quellentyp von besonderer Hilfe, der im Großen und Ganzen konstant, in ausreichender Zahl zur Verfügung stand: die Matrikeln, also die Geburts-, Heirats- und Todesurkunden. Und dazu kamen die örtlichen Seelenbeschreibungen der Pfarrgemeinde und des Gutes, die ebenfalls eine Stütze für meine Arbeit darstellten. Anhand der auf diese Art und Weise gewonnenen Daten habe ich eine Datenbank mit mehr als 120.000 Einträgen erstellt. Die Verarbeitung der genannten Quellen gab meiner Forschung eine bevölkerungsgeschichtliche Richtung. So habe ich die Methoden der historischen Demographie angewendet, mit denen es mir gelungen ist, auch einige Elemente des Denkens von den damaligen Saarern zu erfassen. Der Zeitraum der Untersuchung reichte von dem Anfang der Besiedlung bis zur Hörigenbefreiung 1848.

SB: Du bist Dozent an der Eötvös-Uni in Budapest – was ist dein genauer Forschungsschwerpunkt im Moment?

PS: Ich unterrichte Lokalgeschichte, Historische Geographie und Geschichtspädagogie an der Uni. Ich versuche meine Forschungen weiterzuführen: Saar zwischen 1848 und 1948. Es ist aber eine Frage, wie dieses mikrohistorische Thema funktionieren wird. Es ist möglich, dass ich trotz dem Erfolg der „Schwabenwelten“ andere Forschungsthemen wählen sollte.

SB: Du unterrichtest darüber hinaus an einem Budapester Elitegymnasium – sind ungarndeutsche Themen Teil des Geschichtsunterrichts?

PS: Man verliert ein paar Worte über die sächsische Population in Ungarn und über die Städte mit deutschem Bürgertum. Darüber hinaus geht es um die Ansiedlung der Schwaben, und es wird wieder weniger über den Hitlerplan mit dem Banat und über die Vertreibung gesagt. Es ist alles. Ich weiß nicht, ob der Nationale Lehrplan oder der Rahmenlehrplan von einer ungarndeutschen Organisation begutachtet und beim Inhalt mitgesprochen wurde. Aber ich glaube, dass zum Beispiel der Zusammenhang zwischen der Vertreibung der Ungarndeutschen und der großen, schnellen und meiner Meinung nach tragischen Umgestaltung der ländlichen Gesellschaft in Ungarn mehr Aufmerksamkeit in den Geschichtebüchern verdienen würde.

SB: Du stammst aus einer Saarer deutschen Familie – erzähle bitte ein wenig über deine Familie und darüber, in welchem Umfeld du aufgewachsen bist. Wo hast du Deutsch gelernt?

PS: Alle meine Großeltern haben zu Hause schwäbisch und ungarisch gemischt gesprochen, aber meine Eltern sprechen nur noch ungarisch. Ich bin mit meinen Eltern aufgewachsen, so habe ich den Dialekt nicht jeden Tag gehört. Aber ich war oft bei meinen Großeltern und konnte auch manche Lieder und Märchen auf Schwäbisch singen und erzählen. Ich bekam keine „ideologisch fundierte“ Erziehung, es war nur einfach eine natürliche Sache schwäbische Musik, Märchen und Rede zu hören. So war mir die Entdeckung der Geschichte meiner Familie ein besonderes Mysterium, gerade als ich Grundschüler war. Hochdeutsch habe ich in der Schule gelernt, und ehrlich gesagt, es war nie mein Lieblingsfach, obwohl ich gute Lehrer hatte. Aber zum Dialekt fühle ich mich emotional stark hingezogen.

SB: Du vertrittst – Jahrgang 1988 – die jüngeren Generationen – welche Unterschiede erkennst du zu den älteren Generationen hinsichtlich Sprachgebrauch und vor allem Identität?

PS: Wir sprechen unter uns fast immer ungarisch. Leider! Ich kenne in meiner Generation keine Ungarndeutschen, deren Muttersprache deutsch ist. Es wäre gut die Benutzung der deutschen Sprache zu verbreiten, aber es ist eine schwere Aufgabe. Mit der englischen Sprache kann man selbst in Deutschland auch überall total gut auskommen… Fast alle Arbeitsstellen erwarten englische Sprachkenntnisse. So sprechen viele Ungarndeutsche besser Englisch als Deutsch. Eine Sprache zu erlernen und die erworbenen Kenntnisse zu nutzen nur aus emotionalen Gründen, ist ein ziemlich anspruchsvolles Vorhaben. Ich bin nicht Sprachwissenschaftler, aber ich habe Angst davor, dass die deutsche Sprache als aktiv genutzte Umgangssprache in den breiteren Schichten der ungarndeutschen Bevölkerung verloren gehen wird. Es ist sehr traurig, und es wäre gut die Benutzung dieser Sprache zu verstärken, aber ich denke, man darf einen anderen Aspekt auch nicht vergessen: Der ausschließliche Gebrauch einer nun Fremdsprache kann ein identitätsstiftender Faktor sein, aber er kann auch der Weg zur oberflächlichen Kommunikation und der Verdrängung der am Ungarndeutschtum interessierten Leute – die Deutsch nicht beherrschen – sein.

Die Generation meiner Eltern spricht auch Ungarisch als Umgangssprache. Viele von ihnen haben die ungarische Sprache nur im Kindergarten erlernt, bis dahin haben sie ausschließlich Schwäbisch gesprochen. Aber jetzt haben sie es in den meisten Fällen vergessen. Sie verstehen Deutsch gut, aber es ist ganz typisch, dass die Mitglieder der jüngeren Generationen besser antworten können, wenn ein deutscher Besucher kommt. Und ich habe es bemerkt, dass bei anderen Faktoren der Identität die jüngeren Generationen auch bewusster sind. Dieses Phänomen hat gesellschaftshistorische Gründe, die für mich als logisch erscheinen.

SB: Du warst auch in der Saarer Kulturarbeit aktiv. Welche Erfahrungen hast du gesammelt, insbesondere bezüglich der Aktivierung der Jugend und der Identität?

PS: Ich bin sehr dankbar, dass ich dieses Wunder in Saar erleben konnte. Dieses Wunder kam nicht von selbst, dazu benötigte man sehr viel Arbeit. So konnten wir in einem von der Vertreibung gebeutelten, 1700-köpfigen Dorf 170 junge Tänzerinnen und Tänzer zusammenbringen und -halten sowie Veranstaltungen mit 1000 Teilnehmern durchführen. Die Hälfte von diesen Tänzern/Tänzerinnen war aber nicht ungarndeutsch. Die Tänzer/innen mit hundertprozentig schwäbischer Abstammung waren noch weniger: ungefähr 8 – 10 %. Aber sie haben das mit großer Begeisterung gemacht! Ich kenne einen Saarer Mann, der mir 2018 gesagt hat: „Ich bin ein Madjare, aber ich sehe eure Arbeit, deswegen habe ich mich in die Deutsche Liste eingetragen.“

SB:  Die Volkszählungsergebnisse zeigen einen Abwärtstrend in allen Kategorien – welche Erfahrungen hast du gemacht im Kreise der deutschen Gemeinschaft bezüglich Identität und Sprachgebrauch und was vermisst du?

PS: In Saar habe ich die Stärke der Kultur persönlich erlebt. Die Menschen brauchen sie, aber sie fehlt oft in ihrem Leben. Deswegen sehe ich in diesem Bereich eine gute Chance für die Zukunft der Ungarndeutschen. Denn die ungarndeutschen Gemeinschaften haben oft eine lebendige, wertvolle, eigene Kultur und da treten Nicht-Ungarndeutsche auch gerne bei. So könnte unser Kreis größer und integrierend sein. Viele Leute haben eine „latente“ ungarndeutsche Identität. Die Hauptstadt Budapest hat selbst auch eine latente schwäbische-deutsche Identität, die könnten wir mit Hilfe einer systematischen Verbreitung der ungarndeutschen Kultur zum Leben erwecken. Das könnte bei vielen Leuten der erste Schritt zu einem Bekenntnis zum Ungarndeutschtum sein.

Es gibt ja in diesem Bereich auch viele Fragen. Wir haben zum Beispiel eine ganz gut dokumentierte Volkskultur, aber es gibt keine authentischen Bauern mehr dazu. Es gibt eine deutsche Hochkultur in Ungarn, aber die Frage stellt sich immer, wie eine deutsche Hochkultur „ungarndeutsch“ sein könnte!

Ich habe viele Ideen als Antworten darauf von einem Schwäbischen Tanztheater bis zur schwäbisch-ungarischen Musikband, die auf dem Partyschiff A38 auftritt, sowie die Idee von Stipendienprogrammen für zukünftige professionelle Künstler und Manager für ungarndeutsche Kultur. Aber genauso denke ich an einen landesweiten Kulturplan oder die Gründung einer „Ungarndeutschen Wissenschaftsakademie“ oder eines Forums für ungarndeutsche Ärzte-Juristen-Ingenieure oder Unternehmer, Fachmänner usw. Aber ich bin jetzt nicht als „Gemeinschaftsleiter“ tätig, ich kenne nicht alle Möglichkeiten und Zustände. So bleibe ich nur in dem Bereich, wo ich mich persönlich jetzt für unser Ungarndeutschtum einsetzen kann. Es ist die historische Forschung. Ich hoffe, mit meinen Werken und Vorträgen auch einen Beitrag für die Verstärkung und Sichtbarkeit unserer Gemeinschaft zu leisten.

SB: Peter, vielen Dank für das Gespräch!

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Das Gespräch führte Richard Guth.

Beitragsbild: Facebook-Seite von Peter Schweininger

 

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