Irrtümer in der Forschung der Kolonisationsgeschichte der hessischen Sekundärgemeinde Kötsching/Kötcse (Teil 18)
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Von Prof. Dr. Zoltán Tefner
Errare humanum est – habe ich in meinem letzten Teil 17 das Sprichwort der alten Römer zitiert. Nicht anders ist es jedenfalls in der Volkskundeforschung und in der Ortsgeschichte. Manchmal ist es eine Sache von Missverständnissen: Die interwievten Augenzeugen sagen etwas und das Gesagte wird vom Forscher falsch verstanden. So ist es auch im Falle der Herkunftsgeschichte von Kötsching: Biebreau–Biebergau. Mein Großvater, János Tefner hat mir gesagt: Biebergau, und ich als junger Gymnasialschüler habe Bieberau verstanden. Wo der alte Urgroßopa ein Dorfschultheiss gewesen sei. Den Namen dieses Vorfahrens hat János Tefner natürlicherweise längst vergessen, wenn auch er diesen Namen überhaupt gekannt hätte.
Der Nachkomme, der Ururenkel Zoltán Tefner, nachdem er in den ersten 1990er Jahren von dem Gemeinderat Kötsching den Auftrag erhalten hatte, eine Siedlungsgeschichte zu schreiben, hatte er keine andere Wahl, nach Darmstadt zu fahren, um dort im Landesarchiv Forschungen durchzuführen. In Groß-Bieberau – 15 km entfernt von Darmstadt – eine Unterkunft zu besorgen, damit er den Umständen, den Legenden über den Dorfschultheiß-Großvater Heinrich Däfner nachzugehen. In dieser Zeit hatte ich keine Ahnung davon, dass Biebergau eine ganz andere Sache ist, als Bieberau. In Groß-Bieberau habe ich viele Dorfbwohner kennengelernt, unter anderem den Bürgermeister, der später Kötsching besuchte. Aus der Partnerschftsvertrag, den wir uns damals vorgestellt haben, wurde nicht realisiert, und zwar aus den einfachen Gründen, dass nur wenig Einwander aus Groß-Bieberau nach Kötsching gekommen sind.
Der magische prähistorische Kreis an der Straße nach Fränkisch-Krumbach ließ mich nicht in der Ruhe. Und der ganze Ablauf der Handlungen im Inneren dieses Kreises ähnelte sehr den Handlungen im Inneren des Kötschinger Plons. Der Kirweihaufmarsch in jedem Jahr im Hofe der evangelischen Kirche beinhaltete nämlich fast prallelle magische Momente, wie die Zeremonien in dem magischen Kreis zwischen Fränkisch-Krumbach und Groß-Bieberau. In mir enstand Bevorzugung, dass di ebeiden Zeremomien diegleichen sind, nur mit einer Verschiebung von etwa 10tausend Jahren. Diese falsche Einstellung wurde nach zwanzig jahren ein bisschen komisch für mich.
Die Magie hat mehrere Arten und Erscheinungsformen. In allen ihren Arten kommt die feste Überzeugung zum Vorschein, daß die menschliche Handlung eine Macht über die blinden Kräfte der Natur ausübe. Die Magie muß mindestens so alt sein wie die menschliche Kultur selbst; es gibt keinen Winkel auf der Welt, der ohne magische Bräuche auskäme. Als Vergleich könnte man sich auf die vielen Elemente der ungarischen Folklore und Mythologie berufen, die durch die Komparativität den Charakter und Ursprung der einzelnen Bestandteile im Gebrauchsystem der Kötschinger Kerbájt (Kirweih) andeuten würden. Absichtlich haben wir jedoch ein ganz ungewöhnliches Beispiel gewählt, um darzustellen, wie universal dieser bekannte, als Spiel und Unterhaltung aufgefasste Volksbrauch ist, wie er sich an die ältesten Perioden der Menschheitsgeschichte knüpfen läßt.
Im Glaubenskreis der ozeanischen Völker nennt man die übernatürlichen, mystischen Kräfte „mana”, mit deren Hilfe man alles erreichen kann: Wenn jemand eine „mana” besitzt, so kann man die eigene Krankheit oder die eines anderen damit heilen, man kann damit den Feind besiegen, das Wild erlegen oder der Fischfang wird reich. Im Alltag der ozeanischen Völker spielte die „mana” noch im 19. Jahrhundert die Rolle eines Zaubemiantels, der auch vor Gewehrkugeln schützen kann. Wie Plinius meinte: Die Magie ist gleichzeitig Heilkunde, Astrologie und Religion.
Als eine häufige Form der Magie kann die „Handlungsmagie” angesehen werden. Darunter versteht man, daß die an der Magie Teilnehmenden die künftigen Handlungen im Interesse des erwarteten Erfolges im voraus abspielen; die Imitation sichert den Erfolg und das Ergebnis der eintreffenden Geschehnisse. Oder genauer: Ich tue alles im voraus, so wird mir eine Macht über die Naturkräfte erteilt, eine Macht besitze ich über die unberechenbare Zukunft, über das Leben und den Tod der wilden Tiere, über die Wolken, von denen ich den Hagelschlag kommen sehe. Ein altbekanntes Beispiel: die Darstellungen in der Berghöhle von Altamira. Die mehr als zehntausend Jahre alten Höhlengrafiken stellen Wisente und andere wilde Tiere dar; der Mensch, bevor er zur Jagd ging, tötete diese Tiere symbolisch, und glaubte, daß er eine unwiderstehliche Macht auf ihr Schicksal ausübe.
Die Fruchtbarkeitsmagie bildet eine mächtige Gruppe innerhalb aller Magien. Hier handelt es sich um die größte Aufgabe, um die Sicherung der Ernte im kommenden Jahr. Die Kerbait Kötschings ist mit diesen Fruchtbarkeitsmomenten voll und ganz durchwoben. Sie sind zum Beispiel Symbole, wie der Rosmarin, der rote Apfel, die Nelke, die Geranie, das Pflugeisen, der Wein und noch weitere Einzelheiten. Viele kleine Symbole seien vor 100-150 Jahren im Gang der Kerbait eingebaut gewesen, aber außer jenen oben Erwähnten kennen wir zu unserem großen Bedauern keine anderen mehr. Der Rosmarin – als Fruchtbarkeitssymbol doppelter Wirkungsfähigkeit – weil er immergrün ist, ist als magisches Mittel imstande, das Leben vom Herbst durch die tote Winterperiode bis in den Frühling zu überführen.
Nicht nur in Kötsching, sondern auch in mehreren Orten der Schwäbischen Türkei finden wir diese Symbole. Der Rosmarin scheint in allen Ortschaften auf. Katharina Wild untersuchte in ihrer Fallstudie 47 Dörfer, worin sie ein anderes wichtiges Symbol, nämlich den Kirmesbaum, in 14 Dörfern gefunden hat. Der Kirmesbaum, das heißt „Kerbájtbaum” ist ein dem Maibaum stark ähnelndes, reich geschmücktes Langholz, das in der Regel in einer zentral gelegenen Stelle der Gemeinde aufgestellt wird. Seine Ausstattung ist verschieden: Es gibt Ortschaften, in denen die Stange mit Schilfrohr umwunden wird, in anderen Gemeinden wiederun mit Girlanden, Papierrosen und Blumen. Der Kirmesbaum, mit seinen Girlanden, Papierrosen und Rohrgeflechten dient ebenso der Fruchtbarkeit, wie der Maibaum mit seinem grünen Laub.
In Kötsching fehlen die Girlanden, Papierrosen und Rohrgeflechten und fehlt selbst der Maibaum, aber sonst stimmt fast alles. Um den Ursachen dieser falschen Vorstellung näherzukommen, beschreiben wir den Ablauf dieses Kebájt (Ke(r)bait, also Kirchweih, Red.)-Aufmarsches in der nächsten Folge detailliert. Fortsetzung folgt