Das Erbe lebt weiter

Auf den Spuren der Ungarndeutschen in Wieland

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Von Ibolya Lengyel-Rauh

1687 kam es zu einer entscheidenden Schlacht in der Nähe von Mohatsch, in der die südtransdanubische Region von der jahrzehntelangen (ca. 150 Jahren) türkischen Herrschaft befreit wurde. Darauffolgend kam es zur Friedensschließung 1699 in Karlowatz zwischen den Habsburgern und dem Osmanischen Reich. Der Friede deklarierte die Befreiung dieses Gebietes, also zogen sich die Osmanen von Südtransdanubien zurück.

In diesem Gebiet lag auch Wieland oder Villány auf Ungarisch. Damals war die Siedlung fast entvölkert, verwüstet, nur einige Häuser, die eher Hütten ähnelten, standen hier. Folglich stand der Wiener Hof vor einer enormen Aufgabe, die unbewohnte, verödete Region wiederzubeleben und die hier liegenden Felder zu bewirtschaften. Dies konnte nur mit der Anwerbung neuer Bewohner durchgesetzt werden. Die Einwohnerzahl von Wieland betrug um 1700 nur ein paar Familien. Zuerst lebten hier Serben, die sogenannten Raitzen, sie blieben aber nicht lange. Madjarische Bauern konnten auch nicht in ausreichender Zahl hierher angesiedelt werden, so kamen die Deutschen in Betracht. Nach dem Erlass der Wiederbevölkerung Ungarns setzte sich der Befreier dieses Gebietes, namens Eugen von Savoyen, ein und erwarb Deutsche für Wieland. Die Wiederbevölkerung der heutigen Weinstadt verlief im 18. Jahrhundert. Durch die historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts nahm die Anzahl der Ungarndeutschen ab, jedoch haben die Vorfahren der heutigen “Schwaben” ihre Spuren in Wieland für immer hinterlassen.

Während meines Aufenthaltes in der Stadt des Weines hatte ich die Absicht, den Spuren der Deutschen nachzugehen. Nun zu meinen Beobachtungen.

Wir fahren von Fünfkirchen hierher. Die Landstraße lässt mich schon von dem Straßenbild der durchgequerten Siedlungen her erahnen, dass hier einst Ungarndeutsche ansässig waren oder immer noch sind. Die erste Siedlung ist Ratzpetre. Dort erblicke ich schon typische „schwäbische” Bauten, Bauernhäuser mit Giebel, zwei Fenstern und einer Gangtür. Beim Hineinschauen in den Hof erkenne ich den Gang mit drei Türen und zwei Fenstern, die Pfeiler oder Säulen, die das Dachwerk des Hauses stützen. Wir fahren weiter. In der nächsten Siedlung, in Palkon, verkünden nicht nur einige Häuser der Präsenz der Ungarndeutschen, sondern die Kellergasse, die parallel zur Landstraße verläuft. Dann kommt das “kleine” Wieland, Gowisch, auf ungarisch Villánykövesd. Hier gibt es überwiegend ungarndeutsche Bauten, Häuser, zwei Kellergassen und eine prächtige Barockkirche. Und dann gelangen wir an unser Ziel. Erstmal fahren wir am Bahnhof vorbei. Die Stadt hat eine gute Verkehrsanbindung. Züge und Überlandbusse befördern die Einwohner, es gibt sogar einen Taxiservice in Wieland! Unser Weg führt uns durch eine kurvige Strecke, entlang der Strecke befindet sich eine riesengroße Weinkellerei mit unzähligen, in den Himmel ragenden Metallweinbehältern. Dann fahren wir über die Weinkellergasse,  bis wir unser Ziel erreichen.

Wir übernachten in einem ehemaligen Keller, der wegen touristischen Zwecken zu einem Appartement umgewandelt wurde. Die Kellergasse besteht aus zwei Straßen, anhand des Baustils erkenne ich schon, dass die Weinkeller “Ungarndeutschen” gehören oder gehörten. Zwei Kellerfenster, grün gestrichen, und ein Kellereingang, so wie es auch bei meiner Oma im Komitat Tolnau aussieht. Nach einer kleinen Schnaufpause von der Fahrt machen wir uns auf den Weg, um die Köstlichkeiten der Stadt zu erleben. Uns interessiert vor allem der Wein, dank dem die Stadt auch Bekanntschaft erlangte. Noch die Ungarndeutschen brachten die ersten Rebstöcke aus der alten Heimat mit, darunter den Blaufränkischen, den Portugieser, der heutzutage nur unter dem Namen Oporto in Ungarn bekannt ist. Hier sind die Rotweinsorten einheimisch und noch der Rosewein findet hier einige Anhänger. Weißwein kann man hier auch verkosten, aber das ist nicht typisch für diese Region. Rotwein mit Schmalzbrot und lila Zwiebeln zu essen, das empfiehlt sich hier immer. Die verkosteten Weinsorten lassen uns natürlich nicht enttäuschen.

Am nächsten Tag suchen wir die römisch-katholische Kirche auf, die im Barockstil in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erbaut wurde und auf einem kleinen Hügel gegenüber der Weinakademie steht. Während wir uns zur Kirche eilen, bewundern wir die Wohnhäuser der Straße. Es gibt aber nur noch manche, die ihren authentischen Baustil bewahrt haben. Aber die heutzutage erworbenen Bauernhäuser müssen in ihrem originalen Baustil renoviert werden bzw. aufrechterhalten werden. Das besagt das Baugesetz.

Während der Heiligen Messe werde ich auf ein deutsches Lied “Oh, du fröhliche” aufmerksam. Das erwärmt mein Herz. Nach der Heiligen Messe bleibe ich noch in der Kirche, um mir die Erinnerungsplakette an der Wand anzuschauen. Dann höre ich drei Männer untereinander auf Deutsch zu sprechen. „Oh, ist die deutsche Sprache noch lebendig hier, nicht ausgestorben?”, stelle ich mir die Frage. Aber ich muss feststellen, dass die Herrschaften keine Mundart sprechen, infolgedessen sollten sie Neuankömmlinge aus Deutschland sein. Ja, Wieland zieht auch viele Deutsche an, die ihren Lebensabend in Ungarn verbringen wollen. Wieland und die Umgebung eignen sich gut, da hier die deutsche Sprache, die Mentalität, die Arbeitsmoral zu Hause ist.

Wenn wir mal die Arbeitsmoral erwähnen, müssen wir auch darüber sprechen, was die Wielander den Ungarndeutschen zu verdanken haben. Wieland ist ein Weinanbaugebiet, die in den 1990er Jahren richtig bekannt, als ihre Weinflaschen in der Gastronomie, in der Hotellerie der Hauptstadt erschienen. Damals taten sich 4-5 große Winzer zusammen und durch ihren Fleiß und die Ausnutzung der lokalen ländlichen Gegebenheiten für den Weinanbau etablierten sie einen nominierten Platz für den Wielander Wein, jeweils in Ungarn und auch in Europa. 2000 bekam Wieland den Stadttitel.

Nach der Heiligen Messe begeben wir uns auf den Weinberg (Jammertal). Wir wollen uns den Teufelsgraben (Ördögárok) anschauen, wo uns ein herrlicher Ausblick auf das Weinanbaugebiet erwartet. Rebstöcke ohne Ende, gerade Reihen, sorgfältig gepflegte Weinberge, solange die Augenweide reicht. Die Felder werden schon mit den neuesten Techniken, Maschinen bewirtschaftet, eine Weinlese ohne diese ist heutzutage undenkbar.

Auf dem Weg zu unserer Unterkunft werde ich auf deutsche Aufschriften an öffentlichen Einrichtungen aufmerksam. In der Gemeinde gibt es einen Kindergarten, eine Grundschule und sogar eine Weinakademie, wo einst mein Stiefvater auch unterrichtete. Als Antwort auf meine Frage in einem Restaurant, dessen Besitzer zu den größten Winzern der Stadt gehört, erfahre ich, dass hier Deutsch den kleinen Kindern im Kindergarten beigebracht wird. Sogar ist die Grundschule bemüht, die Sprache der Urahnen weiterzugeben. Aber vieles ist von den alten Traditionen nicht geblieben. Wieland hat eine deutsche Selbstverwaltung, die bemüht ist, die ungarndeutschen Bräuche aufrechtzuerhalten. Die Mundart wird nur noch von den Alten untereinander gesprochen. Die Jugendlichen sprechen nur Hochdeutsch einigermaßen.

Am Abend wollen wir uns wieder in der Weinkellergasse herumschauen und suchen nach einer authentischen Weinstube. So kehren wir in unseren letzten Ort ein. Hasznics-Weinstube. Sein Name klingt eben nicht Deutsch, aber als wir hineingehen, erwartet uns eine Zeitreise in die Welt der Ungarndeutschen. Authentische Möbelstücke, Fotos von dem Leben der schon verstorbenen Dorfbewohner in Tracht oder handgestricktes Polster, Familienstammbäume der Besitzer, die bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Hier handelt es sich um eine Winzerin, die väterlicherseits serbischer Abstammung und mütterlicherseits deutscher Urahnen ist. Eine ethnische Vielfalt, die hier keine Seltenheit aufgrund der Geschichte ist. Und natürlich darf der Rotwein vom Fass auch nicht fehlen. Prost!

Am zweiten Tag müssen wir leider die Weinstadt verlassen, aber lange denke ich noch darüber nach, wie einst die Deutschen, denen die Stadt nur Danke sagen kann, lebten. Ihre Spuren haben die Geschichte der Gemeinde geprägt und ihre Spuren spiegeln sich im Stadtbild wider.

Beitragsbild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:HU_Vill%C3%A1ny_Baross-G%C3%A1bor_utca_65.jpg

 

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