Prinz Eugens Siedlerkinder: die mittelungarische Ratzenmark/Tschepele-Insel und ihre Deutschen

Von Stefan Pleyer (aus Ratzenmarkt)

Die Ratzenmark, also die Tschepele-Insel gehört zu jenen ungarländischen Landschaften, die eine ausgesprochen reiche, epochenübergreifende Vergangenheit über sich erzählen können. In der Umarmung von zwei Donau-Zweigen wurde die Geschichte der mittelungarischen Donauinsel von den Römern, Germanen, ungarischen Landnehmern, Serben bis hin zu verschiedenen Kolonistengruppen geprägt, und die Zeit schmiedete im Herzen Ungarns die hiesigen Völkern und Kulturen zusammen, womit eine kuriose und gleichzeitig isolierte Kulturlandschaft entstand. Maßgeblichen Anteil hatten daran auch die Donauschwaben der Ratzenmark, deren Verhältnisse ihnen eine zentrale Musterrolle schenkte: Einerseits weil die Siedlungen im Mittelpunkt des Landes ausgebaut wurden, andererseits galten sie als „Prinz Eugens Siedlerkinder”, Pioniere einer Persönlichkeit auf seinen Ländereien, der als Feldherr und Held der im 17. gegen die osmanische Herrschaft geführten Befreiungskriege Symbol seiner Zeit war – sein Landgut, die Ratzenmark, sollte den landesweiten Wiederaufbau widerspiegeln, vor allem durch die Schwabenzüge. Wie erfolgreich das Unternehmen von Prinz Eugen und seinen aus dem Westen angekommenen Echtschwaben und Steirern war, bestätigt auch die zeitgenössische Siedlungsstruktur der Insel.

Die „wunderbare Isolation” der Natur

Dank ihrer geschützten geografischen Gegegebenheiten zog die Tschepele-Insel seit der Bronzezeit viele Völkerschaften und Kulturen auf seine Sandhügel an: In der Antike fand eine rege römische Handelstätigkeit statt, und auch der ungarische Anführer der Häuptlinge, Árpád, etablierte sein Herrschaftszentrum auf der südlichen Hälfte der Insel. Im Spätmittelalter erhielt diese Provinz von den serbisch-rätzischen Flüchtlingen ihren ersten prägenden Charakter: Die Serben, die vor dem osmanischen Vormarsch im 15. Jahrhundert flohen, fanden einen vielverspechenden Zufluchtsort hier, wo sie – mit königlichen Vorrechten ausgestattet – die spätere „Haupstadt der Tschepele-Insel”, Ratzenmarkt (Ráckeve), und mehrere Dörfer (wie z.B. Luery/Lórév) gründeten. Auch den in der Frühen Neuzeit gängigen deutschen Namen gab das Serbentum der Landschaft, nämlich die Ratzenmark, die Mark oder Provinz der Serben. Neben der serbisch-rätzischen Bevölkerung waren auch noch Madjaren, griechische Händler, und interessanterweise Italiener in diesen Ortschaften heimisch. Im 15-16. Jh. blühte in Ratzenmarkt ein buntes Städte- und Handelswesen auf, das Reichtum und das dichte Handelsnetzwerk von der Markstadt Ratzenmarkt wurde von deutschen Reisenden mehrfach beschrieben. Die osmanische Zeit erlebten die Völker der Ratzenmark unterschiedlich: Während die türkischen Angreifer in mannigfachen kleineren Dörfern keinen Stein auf dem anderen ließen, konnten sich beispielsweise Ratzenmark und Luery in der Fremdherrschaft aufgrund ihrer wirtschaftlichen Position behaupten.

Heiß umfehdet, wild umstritten

Nach einer ca. 150-jährigen Besatzungszeit bereiteten die Habsburger und die vereinigten christlichen Heere im späten 17. Jh. dem Reiche des Halbmonds in Ungarn ein Ende. Im Befreiungskampf zeichnete sich der Pariser Aristokrat so spektakulär aus, dass er im Großen Türkenkrieg (1697-1700) als Oberbefehlshaber die kaiserlichen Truppen befehligte. Nach dem Frieden von Karlowitz 1699 galt er als ein europaweit gefeierter Kriegsherr und Triumphator, der die Osmanen aus Mitteleuropa vertrieb. Der vielseitige und begabte Feldherr war auch mit politischen und organisatorischen Fähigkeiten gesegnet, welche er im engsten Machtkreise der Hofburg in klingende Münzen umsetzen und die Zukunft des Kaisertums Österreichs mitbestimmen konnte. Als Anerkennung für seine militärischen Verdienste erhielt der Prinz die von den Osmanen frisch eroberte Tschepele-Insel, also die Ratzenmark. Die Landschaft fand der neue Grundherr teils gut erhalten (Stadt Ratzenmark und wenige Dörfer), aber im Wesentlichen hieß ihn ein verwüstetes Terrain willkommen. Die Habsburger – neben der Mitwirkung von Prinz Eugen – fingen die quasi mit einer Neugründung des befreiten Ungarns an, und Kolonisten, Unternehmer, Fachleute strömten ins Land, um die entvölkerten Landesteile wieder mit Leben und Siedlungen zu füllen.

Eine deutsch-schwäbische Provinz wird geboren

Die Ratzenmark fiel bereits 1698 in seine Hände, aber erst 1711 konnte Prinz Eugen mit der Verwaltung des neuen Landguts anfangen. Nach der gründlichen Vermessung der Insel begann er die Anwerbung der Siedler aus dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Am Rande sei erwähnt, dass im frühen 18.Jh. eine spontane serbische Kolonisation in der Ratzenmark stattfand, und ohne das deutsche Element hätte die Insel wahrscheinlich ihren rätzischen Charakter zurückgestellt, geschweige denn die hiesige madjarische Restbevölkerung, die die Türkenzeit überstanden haben – das Gebiet war also keinesfalls menschenleer. Trotz alledem, der Sieger von Senta wollte in Ratzenmarkt das im Kleinen verwirklichen, was er im Großen, im ganzen Land vorhatte, die Rekolonisierung und Neuetablierung von Ungarn – zu diesem Zwecke begann die Anwerbung deutscher Siedler aus dem Heiligen Römischen Reich für die Ratzenmark. In den 1710er Jahren wurden die verlassenen, verwüsteten, ehemals madjarischen Ortschaften mit überwiegend abstammungsschwäbischen (also tatsächlich aus Schwaben stammenden) und steirischen Familien besiedelt, einige kamen aus der Nürnberger Gegend – aus diesem Grunde spricht (genauer gesagt sprach) das Schwabentum der Insel schwäbisch-steirisch gefärbte oberdeutsche Dorfmundarten. Infolge der Ansiedlung bekamen die alten Dörfer Tschepele/Csepel, Simmartin/Szigetszentmárton, Ujfluch/Szigetújfalu, Wetsch/Szigetbecse und Tschiep/Szigetcsép ein neues deutsches Gesicht, manche Deutschen siedelten sich später auch in der Stadt Ratzenmarkt an. Wie überall genossen die Neuankömmlinge sechs Jahre Steuerbefreiung, währendessen sie die Erschließung der Landschaft günstigerweise vornahmen. Auch von der Seite der Religion folgte das Schwabentum der Ratzenmark demselben Muster (abgesehen von den wenigen Evangelischen landesweit), da die Siedler katholischer Konfession waren – vor ihnen, ab dem Beginn der Reformation herrschten die zwei christlichen Konfessionen, die orthodoxe der Serben und die calvinistisch-reformierte der Madjaren auf der Insel vor, aber die deutsche Mehrheit (ganz besonders vor allem auf der südlichen Inselhälfte) begründete das Primat des Katholizismus in der Ratzenmark: Neue Kirchen, Kalvarien, und Statuen wurden in den Dörfern errichtet, und die Deutschen übten dieselbe Religionspraxis aus, die sie aus Schwaben und der Steiermark mitbrachten. Symbolhaft wirkte die Tatsache, dass die Insel zu dieser Zeit auch „Prinz-Eugen-Insel” genannt war. Die kolonisatorische Tätigkeit auf der Tschepele-Insel endete nicht mit dem Tode Prinz Eugens, auch die theresianische Epoche 1740-1780 mehrte die Anzahl der Deutschen, als die Dörfer (z.B. Simmartin) neue Kolonisten aus Bayern bekamen.

 Auf dem Wege zur Prosperität

In der zweiten Hälfte des 18.Jh.s. stand alles zur Verfügung: Das Kaisertum Österreich und damit Ungarn erlebten eine friedliche Blütezeit, und die feste deutsche Siedlungsstruktur der Ratzenmark war vorhanden. Geografisch betrachtet waren die Dörfer von den zwei Donauzweigen geschützt, die Felder wurden fast nur von den Schwaben kultiviert, also auch mit ethnischen Konflikten konnte man nicht rechnen – dies bedeutete in der Praxis, dass die schwäbische Art der Landschaftsgestaltung zwischen den Dörfern reibungsloser verlaufen konnte. Hinzu kommt die Nähe von Pest-Ofen, welche Städte als riesige Absatzmärkte für die Ratzenmärker Getreideproduzenten dienten. Die schirmende Arm der Donau war zu den „Inslern” (der traditionelle Name der auf der Tschepele-Insel lebenden Donauschwaben) nicht immer hold – die Dörfer mussten in der Neuzeit auch mit Hochwasser rechnen, die ihr Hab und Gut von zwei Seiten bedrohten. Im 19.Jh. erschien auch ein deutsch-schwäbisches Bürgertum in dieser Provinz, zumeist im Bilde des traditionellen Handwerkswesens: Ein typisches Beispiel war dafür die Schiffsmüllerei in (und um) Ratzenmarkt, (das Symbol der Ratzenmark seit dem Mittelalter) und ihre städtische Müllerzunft, die wesentlich von schwäbischen Meistern betrieben wurde. Diesem Ratzenmärkter schwäbischen Bürgertum des 19.Jhs. entstammten auch Bischof Johann Pauer oder das (höchstwahrscheinliche) Vorbild für Petőfis Held Johann/János vitéz, der abenteuerliche Husarenkapitän der napoleonischen Kriege, János Nep. Horváth, geb. Johann Piringer. Die nördliche Inselspitze, Tschepele, ging in ihrer Geschichte einen Sonderweg: Hier entwickelte sich durch die Wirkung des Freihafens und des wachsenden Industriegeländes eine gemischte schwäbisch-madjarische Arbeiterschaft, und die natürliche Assimilation der Deutschen ging in der Südpester ungarischsprachigen Athmosphära Schritt für Schritt weiter.

Die Geschichte geht auf die Insel zurück

Die Zwischenkriegszeit und der Zweite Weltkrieg lösten in der schwäbischen Welt der Ratzenmark einen Wirbelwind aus. Die Nationalitätenkonflikte dieser Epoche ließen auch die Insler Schwaben nicht unberührt (beispielsweise die Frage der Unterrichtssprachen an den Grundschulen), und der Volksbund konnte in den schwäbischen Dörfern festen Fuß fassen. Nach 1940 wurden in Simmartin, Ujfluch und Wetsch dörfliche VB-Gruppen gegründet und diese pflegten ein aktives Gesellschaftsleben bis zum Ende des Weltkriegs. In manchen Orten wie in Wetsch wurde auch ein „Deutsches Haus” errichtet, wo die Mitglieder ihre regelmäßigen Veranstaltungen hielten. Im Allgemeinen ist es zu behaupten, dass das deutsche Wesen in der Ratzenmarkt vom Volksbund grundlegend gleischgeschaltet wurde. Auch die den Sonnenrad als sein Wappen geführte NS-Organisation der Deutschen in Ungarn war diejenige, die die örtlichen Waffen-SS-Rekrutierungen durchführte: freiwillige Meldungen sowie verbindliche Zwangsrekrutierungen in Simmartin, Wetsch, und Ujfluch. Im November 1944 erreichte die Front die Tschepele-Insel: Es wurden zwar Kämpfe auf der Insel gefochten, sogar von volksdeutschen/ungarndeutschen Waffen-SS-Einheiten, aber die Dörfer überlebten die Frontbewegungen ohne größere Kriegsschäden (außer der aufgesprengten Brücke von Ratzenmarkt z. B.). Die in der Nähe der Haupstadt gelegene Lage der Ratzenmärker Dörfer, wie die Natur eines kompakten deutschen Siedlungsgebietes (noch dazu die örtliche Tätigkeit des Volksbundes) besiegelte nach dem Kriege das Schicksal der Insler Schwaben, und auch sie blieben von der Vertreibung der Ungarndeutschen nicht unberührt, auch wenn es aus der Sicht der schwäbischen Gemeinden glücklicherweise nicht vollkommen fatal war: Es wurden 1946 aus Simmartin 491, aus Ujfluch 821, aus Tschiep 462 und aus Wetsch 152 Personen vertrieben. In der kommunistischen Ära mussten die Donauschwaben der Tschepele-Insel mit der gegenüber dem Deutschtum und dem Katholizismus (besonders anfangs) feindlich eingestellten Staatsdiktatur umgehen: Ihr religiöses und deutsches Gemeinschaftsleben wurde in diesen Jahrzehnten massiv eingeschränkt.

Nach der Wende 1989/1990 freuten sich die Insler über eine Renaissance der deutschen Kultur in Ungarn: Im Aufwind der Etablierung der Nationalitätenselbstverwaltungen gründeten die Simmartiner, Wetscher, Ujflucher und die Ratzenmärker Deutschen eigene Selbstverwaltungen, der Nationalitätensprachunterricht in fünf Wochenstunden wurde eingeführt. Seitdem bereichern Tanzvereine und Sängerchöre in diesen Dörfern das Nationalitätenleben, das deutsche Element erscheint im örtlichen öffentlichen Leben immer stärker. Neuerdings wird die fast in Vergessenheit geratenen kulturellen Schätze der Ratzenmärker Donauschwaben und ihre Identität auch in den Online-Bereichen präsent. Trotz der günstigen Bedingungen des Erhalts des Selbstbewusstseins wirft der zweiköpfige Drache einen tiefen Schatten auf Prinz Eugens Siedlerkinder: in Form einer Verminderung der Zahl der Bekenntnisdeutschen (und damit das Verschwinden der deutschen Sprache und Kultur auf der Tschepele-Insel) sowie der Abwanderung aus den Dörfern.

Beitragsbild: Haefele, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wien-Innere_Stadt_-_Prinz_Eugen-Denkmal_-_Detail_I.jpg, CC-BY-SA 3.0-at

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