Interview mit der „ungarndeutschen Marlene Dietrich”
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Ildikó Frank, ihr Name ist für alle im ungarndeutschen Kulturkreis bekannt. Manche kennen sie von den „Koffermärchen“, einige haben sie beim „Marlene-Dietrich-Abend” gesehen oder werden auf ihren Namen durch „Theater Jetzt Pécs” aufmerksam. Sie war von 2004 bis 2017 Intendantin der Deutschen Bühne Ungarn in Seksard. Jetzt ist sie freischaffende Schauspielerin. Ihr letztes Theaterstück, das hier im Nationaltheater in Budapest aufgeführt wurde, war der “Schleier”. Ihre Schauspielkunst auf der Bühne hat mich gefesselt und am Ende konnte ich meine Faszination von ihrer Schauspielerei kaum in Worte fassen. Ich war sehr beeindruckt von der Darstellung. Im “Schleier” schlüpft sie in die Rolle einer drogensüchtigen Mutter und zeigt deren ständigen täglichen Kampf gegen ihre Sucht. In meinem Interview möchte ich hinter die Kulissen blicken und Ildikó Frank über ihre jetzigen und zukünftigen Pläne befragen.
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SB: Wie kannst du dich immer so gut mit deinen Rollen identifizieren? Wie soll sich der Laie deine Vorbereitung auf die Rolle in “Schleier”, “Bündeltanz” oder “Marlene Dietrich” vorstellen?
IF: Der Ausgangspunkt ist meistens der Text, der gelernt werden muss. Das verlangt jeden Tag mehrere Stunden Beschäftigung. Während ich versuche, den Text in meinen Kopf zu kriegen, beschäftige ich mich automatisch mit den Gedanken und Gefühlen der jeweiligen Person. Es ist ein komplexer Prozess, die Figur kennen zu lernen, und läuft parallel mit dem Text-Lernen. Je mehr man die Figur versteht, desto besser kann man sie vermitteln. Und das verlangt wirklich viel Übung und Beschäftigung. Und dafür braucht man Zeit. Nicht umsonst probt man ein Stück 4-6 Wochen lang zweimal vier Stunden am Tag. Wenn man an einem Solostück arbeitet, sieht es etwas anders aus: Das kann man nicht acht Stunden, höchstens sechs Stunden am Tag proben. Mehr geht nicht – man ist allein auf der Bühne und Energie und Konzentration haben ja auch ihre Grenzen. Aber in Gedanken ist man auch nach den Proben beim Stück – ganze 24 Stunden. So gelingt es dann nach einer Zeit, dass man sich mit der Rolle identifiziert. Natürlich hat man nicht immer genauso viel Zeit für die Vorbereitung. Im Dezember und Januar hatte ich Glück: Ich durfte mich gänzlich meiner „Schleier-Geschichte” widmen. Ich habe mir z. B. eine tägliche Routine aufbauen können, die folgenderweise aussah: um 6 Uhr aufstehen, von 7 bis 9 Uhr Text lernen, dann ab zur Probe und am Abend wieder Text lernen. Man muss also wirklich die Zeit haben, um sich mit einer Rolle auseinandersetzen zu können.
SB: Kannst du deine Rollen selbst auswählen oder geschieht das in Abstimmung mit dem “Oberon Társulat” oder mit “Theater jetzt Pécs”?
IF: Je nachdem! In unserer freien Szene hängt alles stark von der Finanzierung ab. Zum Beispiel beim „Bündeltanz” war ich eingeladen, die Rolle zu spielen. Um Finanzen und Organisation musste ich mich überhaupt nicht kümmern. Aber wenn ich mit meinem eigenen Theater ein Projekt habe, dann muss ich alles von A bis Z organisieren, damit es zustande kommt: die finanziellen Mittel besorgen, die Kollegen bezahlen, den Zeitplan machen etc. Dafür kann ich im „Theater Jetzt Pécs” aber selber bestimmen, was ich spielen möchte. Es gibt also Vor- und Nachteile der Selbstständigkeit.
SB: In der Co-Produktion mit dem “Oberon Ensemble” wurde der “Bündeltanz” aufgeführt, in dem die Vertreibung der Ungarndeutschen dargestellt wurde. Das Thema ist sehr berührend. Die Produktion wurde jedoch auf Ungarisch aufgeführt, obwohl es den Schicksalsschlag der Ungarndeutschen darstellt. Warum?
IF: Der Regisseur und Projektleiter (dieselbe Person) war der Meinung, dass wir dadurch Zugang zu mehr Leuten haben werden. Es gibt viele, die etwas mit dem Ungarndeutschtum zu tun haben oder selber Ungarndeutsche sind, aber trotzdem kein Deutsch sprechen. Außerdem wollten wir die Geschichte auch der Mehrheitsbevölkerung zeigen. Viele wussten ja gar nichts über die Vertreibung der Ungarndeutschen, das Thema wurde ja totgeschwiegen. Nachdem wir das Stück aber schon mehr als 25-mal auf Ungarisch gezeigt haben, planen wir es später auch auf Deutsch zu spielen.
SB: Wenn wir schon mal über das Schicksal der Ungarndeutschen sprechen, welche Verbindung hast du zum Ungarndeutschtum? Dein Name verrät schon etwas über deine Abstammung.
IF: Ja, aber die Geschichte ist ganz komplex, gerade der Familienteil, woher mein Name kommt, ist weniger ungarndeutsch. Meine Familie väterlicherseits stammt aus Westungarn, aus der Gegend von Wieselburg-Ungarisch-Altenburg – eine typische Mischlingsfamilie mit deutschen, aber auch starken kroatischen Wurzeln. Meine Großmutter väterlicherseits ist in Österreich geboren, hatte aber auch slowenische Wurzeln. Es wurde viel Deutsch im Haus von meinen Großeltern gesprochen, vor allem, als die Verwandten aus Österreich zu Besuch kamen. Die Familie meines Großvaters mütterlicherseits war aber eine echte ungarndeutsche Familie, aber seit Generationen schon madjarisiert. Sie siedelten sich im 18. Jahrhundert an, aber haben sich komplett integriert und leider dadurch auch die Sprache verloren. Bei der Volkszählung 1941 haben sie sich als Madjaren bekannt, so entkamen sie auch der Vertreibung. Was sie aber bewahrt haben, waren die schwäbische Küche und die Arbeitsmoral. Was für mich in meiner Arbeit maßgebend war, war, wie sich mein Vater während seiner aktiven Jahre für das Ungarndeutschtum engagiert hat. Das habe ich von ihm geerbt. Streng genommen habe ich die deutsche Sprache in der Schule gelernt, aber aus dem Haus meiner Großeltern in Wieselburg-Ungarisch-Altenburg war sie für mich von Anfang an geläufig und ich fühlte mich ihr emotional verbunden.
SB: Kannst du auch ein bisschen darüber erzählen, wie du ungarndeutsche Schauspielerin geworden bist?
IF: Ich bin in Fünfkirchen aufgewachsen und habe mein Abitur am Lajos-Nagy-Gymnasium abgelegt, dann habe ich ein Lehramtsstudium mit den Fächern Ungarisch und Englisch angefangen. Nach zwei Jahren kam die Möglichkeit durch meinen Vater, der als Direktor des Valeria-Koch-Schulzentrums von einem Stipendium an der Schauspielhochschule in Temeswar erfuhr. Da ich schon damals in verschiedenen Theatergruppen tätig war, habe ich mich auf die Möglichkeit gefreut und mein Glück versucht. Ich hatte sowieso keine großen Pläne, als Lehrerin zu arbeiten, und Theater war schon lange meine Leidenschaft. Die Aufnahmeprüfung fand in Seksard bei der Deutschen Bühne statt (die Bühne schien mir damals riesengroß) und nach ein paar Tagen habe ich die Zusage von der Uni bekommen. Mein Studium wurde von der Donauschwäbischen Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg finanziert. Ich habe in Temeswar Schauspiel in deutscher Sprache studiert und von Anfang an die Möglichkeit gehabt, kleinere und mit der Zeit dann immer größere Rollen am Deutschen Staatstheater Temeswar zu spielen. Die Voraussetzung des Stipendiums war, dass ich mich nach dem Abschluss bei der Deutschen Bühne in Seksard engagiere. Und so kam es, dass ich bisher wesentlich mehr auf Deutsch gespielt habe, obwohl meine Muttersprache Ungarisch ist. Ein totaler Zufall, würde ich sagen, wenn ich an Zufälle glauben würde. Es war halt mein Schicksal.
SB: “Theater Jetzt Pécs”, das ist ein Projekt, das von dir ins Leben gerufen wurde. Was können wir als Nächstes sehen?
IF: Langfristig kann ich leider nicht planen, da alles von den Finanzen abhängt. Ein neues Koffermärchen kann ich jede Zeit vorbereiten, weil das im Prinzip nichts kostet. Viele Ideen, wenig Requisiten sind da mein Motto. Ich spiele da auch allein und brauche weder Technik noch Bühnenbild. Die Idee muss halt kommen. Ob ich mit „Theater Jetzt Pécs” ein neues Theaterstück produzieren kann, hängt jedes Jahr von den Finanzierungsmöglichkeiten ab. Es passiert öfters, dass wir im letzten Quartal des Jahres die Möglichkeit bekommen, etwas auf die Beine zu stellen. Das war auch mit dem „Schleier” der Fall. Wir haben erst im Oktober die Zusage bekommen, dass unser Projekt durch den Nikolaus-Lenau-Verein vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) finanziert wird. Wir haben auf die Schnelle eine Premiere im Dezember 2022 auf die Beine gestellt, dafür aber auch vor den nächsten Vorstellungen im Januar 2023 proben müssen. Natürlich habe ich viele Projektideen, die ich gerne machen möchte, aber ob ich sie finanziert bekomme, weiß ich noch nicht.
SB: Heißt das, dass du mit einer Idee die Deutsche Selbstverwaltung Fünfkirchen ansprichst, oder man beauftragt dich, ein Projekt oder ein Theaterstück zu entwerfen?
IF: Ganz viele Projekte habe ich der Deutschen Selbstverwaltung Fünfkirchen zu verdanken. Es gibt in Fünfkirchen ein Restaurant namens „Trafik”, wo die Selbstverwaltung viele ihrer Veranstaltungen, unter anderen auch einige meiner Auftritte organisiert hat. Da gibt es eine Minibühne, wo 1-2 Personen auftreten können. Ganz-ganz viele meiner Projekte wurden von der Selbstverwaltung initiiert: zum Beispiel die Lesung von Robert Baloghs “Ich habe hier nichts zu suchen” – in der Thematik ungarndeutsche Literatur -, aber auch mein Marlene-Dietrich-Abend; damit hatte ich 2019 Premiere im „Trafik” und seither habe ich ihn mehr als 20-mal gespielt.
SB: Was kommt dann als Nächstes? Was können wir vielleicht im Sommer sehen?
IF: Sommer ist immer eher die Vorbereitungs- und Nachdenkphase: Da liest man, plant man, lernt man Text. Auch ich beginne meine Spielzeit im September, wie die anderen Theater. Diesen Sommer bereite ich die ungarische Aufführung von “Schleier” und die deutschsprachige Übersetzung von „Bündeltanz” vor. Letztere ist kein Eigenprojekt, aber ich wurde damit beauftragt. Außerdem möchte ich eine neue musikalische Vorstellung auf die Beine stellen.
SB: Als Schauspielerin kannst du die Kleinkinder in ihrer Sprache ansprechen oder die Erwachsenen als “Marlene Dietrich” erreichen. Wie siehst du deine Rolle bei Erhalt und Weitervermittlung der ungarndeutschen Kultur?
IF: Ich genieße es sehr, was ich mache, und ich halte meine Aufgabe für sinnvoll. Und es gibt auch Raum für meine Aktivitäten. Der Vorteil meiner Produktionen ist, dass ich mit wenigen Leuten und Requisiten arbeite und sehr mobil bin. Größere Produktionen kann ich mir aber nicht leisten. Die macht die Deutsche Bühne in Seksard. In diesem Sinne ergänzen wir uns. Mit meinen Koffermärchen erreiche ich manchmal Gemeinden, wo ich die einzige Vermittlerin der deutschen Sprache und Kultur bin. Das ist eine Mission.
Die Zukunft meiner Schauspielkarriere hängt natürlich von der Finanzierung ab. Ich kann Ideen haben, so viel ich will, wenn es für die Durchführung kein Geld gibt. Aber irgendwie ergibt sich immer eine Lösung: Projekte, die ich bisher für wichtig gehalten habe, habe ich auch immer finanziert bekommen. Langfristig kann ich nicht planen, auch kann ich jetzt nicht ankündigen, dass ich im Oktober eine neue Premiere haben werde. Ich werde aber ganz bestimmt meine aktuellen Stücke weiterspielen und früher oder später auch eine neue Produktion auf die Beine stellen können. Solange ich Ideen habe, mache ich mir keine Sorgen.
SB: Vielen Dank für das Interview.
Mit Ildikó Frank sprach Ibolya Lengyel-Rauh.