Südtiroler Filmemacher Lukas Pitscheider porträtiert Alltag im österreichischen Karpatendorf Königsfeld
_________________________________________________
Eine Rezension von Richard Guth
Ein bemerkenswerter Dokumentarfilmcoup gelang dem Südtiroler Filmemacher Lukas Pitscheider: Er begleitete nach eigenem Bekunden drei Jahre lang die Bewohner der (einst) österreichischen Gemeinde Königsfeld/Усть-Чорна im Theresiental in der Karpatoukraine und allen voran vier Protagonistinnen und Protagonisten mit ihren Familien. Wie der Name des Tals (nach dem Fluss Tereswa) auch vermuten lässt, wurde das Dorf von Untertanen von Kaiserin Maria Theresia gegründet — damals war das Gebiet Teil des Königreichs Ungarn und damit Teil der Habsburgermonarchie. Die Siedler kamen aus dem Salzkammergut und sprechen — jedenfalls die verbliebenen Einwohner — die dortige bairische Mundart (von damals). Königsfeld selbst ist eine Sekundärwaldbauernsiedlung. Sie wurde von Kolonisten von Deutsch-Mokra gegründet – 10 km entfernt gelegen und heute ein Teil des Gemeindeverbundes Königstal.
Der Film zieht schnell in seinen Bann: Die Einstellungen versprühen eine Atmosphäre der Stille, Bewegungslosigkeit oder einer gewissen Zeitlosigkeit; als etwas melancholisch dürften dabei die Landschafts- und Ortsbilder erscheinen. Porträtiert werden Junge und Alte, Österreicher (wie sie es von sich sagen) und Ukrainer, die mittlerweile den Großteil der Einwohnerschaft stellen, wobei Königsfeld in der Wendezeit noch mehrheitlich “österreichisch” war.
Noch früher – wohl in den 1960ern und 70ern – herrschte nach Erinnerungen von Vizebürgermeister Peter Somja, einem Endfünfziger, überall das Bairische vor – er spreche nach eigenem Bekunden auch heute noch mit jedem Deutschen bairisch. Peter und sein gleichaltriger Freund Joseph Horkawtschuk sind die Protagonisten des Films, die vor Ort etwas bewegen wollen — Joseph träumt sogar von der Etablierung Königsfelds als neuem Skigebiet und ist dabei, ein Almhäuschen als Gästehaus zu bauen. Auf der anderen Seite steht die Familie Kais, deren Mitglieder im Begriff sind auszureisen: Die Jüngeren wollen in die USA, Oma Kais hingegen zu Verwandten nach Österreich. Zuletzt ist da noch der junge Vitali Palinkasch, dessen Mutter deutschsprachige Österreicherin ist und der seine kleine ukrainischsprachige Familie durchzubringen versucht, was eine Arbeitsaufnahme im Ausland erfordert.
Der Film gewährt auch einen Einblick in die Herausforderungen des osteuropäischen Alltags noch vor der jetzigen kriegerischen Auseinandersetzung: Verfallene Industrieruinen, abgeholzte Berghänge und notdürftig reparierte Straßen (hier müsse man aufpassen, dass das Material nicht verschwinde, so der Vizebürgermeister) markieren das Leben der Einwohner – all dies vor einer grandiosen Naturkulisse und den Resten althergebrachter Kulturgüter wie der Sonnenwendfeier mit bairischen Sprüchen. Der Ukrainekonflikt bedeutet vor dem Hintergrund der Fluchtbewegungen auch aus der Karpatoukraine womöglich den Todesstoß für die verbliebene österreichische Bevölkerung, aber dies ist eine andere Geschichte.
Das Filmende bringt für alle vier Protagonisten die Verwirklichung ihrer Ziele: Oma Kais verlässt Königsfeld unter Tränen in Richtung Österreich, Vitali fährt mit einem Auto mit ungarischem Kennzeichen zur Arbeit ins Ausland und auch Peter und Joseph gelingt es, das Almholzhäuschen aufzubauen und auch den begehrten Skilift zu besorgen. Mit dieser Sequenz schließt der Film – wohlwissend, dass Königsfeld überall ist.