Josef Michaelis
Wege durch Schluchten
(Meinen Eltern)
Regen strömte. Schon seit Tagen regnete es in einem fort. Gräben füllten sich bis zum Rande mit Wasser. Der Wandkalender zeigte Juni 1947.
Rädergeknarre eines Wagens brachte der Nachtwind immer näher. Manchmal knallte eine Peitsche. Bald taten sich die Umrisse eines Ochsenwagens auf. Er war voll beladen. Eine Truhe und ein kleiner Kasten waren leicht zu erkennen. Tief versanken die Räder im lehmigen Boden. Die Möbelstücke waren mit Pferdedecken zugedeckt, die jetzt einem Schwamm ähnelten. Auf dem Wagen saßen ein Mann mit Hut und eine Frau im Faltenrock, die ein in Windeln gewickeltes Kind hielt. Ein großer Regenschirm schützte sie vor Regen.
Die Ochsen betraten den schmalen Hohlweg, konnten aber nur mit Anstrengung vorwärtskommen. Sie versanken tief im Morast.
„Es is schad far tie Ochse”, murmelte der Bauer.
Der Regen strömte unaufhörlich weiter. Die Ochsen schreckten plötzlich zurück. „Na! Rihrt aich toch!”
Die Tiere bewegten sich aber nicht.
„Ich steig ab”, sagte der Mann zu seinem Weib und landete in einer Pfütze. „Himml und Hell!” fluchte er.
„Was is tenn los, Josef?” fragte die Frau erschrocken.
Josef tastete sich mit dem Peitschenstiel an den Ochsen nach vorn. Nach ein paar Schritten ertastete er glitschige Masse.
„Tu liewr Kott! Sin tie Hohlwegseide eigsterzt?”
Tatsächlich, herabgestürzte Erde verhinderte den Abfluss des Regenwassers. Das Fuhrwerk stand in einer ziemlich tiefen Pfütze. Man konnte weder vorwärts, noch rückwärts. Josef warf seinen Hut zornig in das rauschende Wasser.
„Tes had uns noch kfehld!” tobte er. „Anne, was werd jetzt mid uns?”
Die junge Frau verzog ihren Mund zum Weinen. Josef kam zurück, streichelte die Tiere, Vitéz und Sudár, von deren Rücken Rinnsale liefen. Hilfe nirgendwo. Weit war das Dorf und zurückfahren durften und konnten sie sowieso nicht.
„Es pleipt nar ones”, sagte der Mann.” Mir spanne tie Ochse aus, pack ti Mebl runr, nehme ten Wache auseinanr. Tes Unrkstell lenge mir um. Wann mr fertig sen, misse mr alles umgekehrt mache. Un wenn mr Klick hun un ten Perich erraiche, vleicht kenne mr noch far Marichets in tie Stadt kumme.” Anna brach in Tränen aus.
„To ned flenne, kumm liewr helfe!”
Und schon kramte der Mann aus einer Ecke des Wagens eine Petroleum- Sturmlampe hervor und zündete sie an. Ein kleines Licht beleuchtete die Schlucht. Die Frau suchte die andere Pferdedecke und baute in einer hohlen Seite der Schlucht für ihr Kind ein kleines Lager. Es wachte nicht auf. Den Regenschirm stach sie seitwärts in den Wegmatsch. Der Mann spannte Vitéz und Sudár aus dem Joch, nahm die Ringe aus ihren Nasen und band sie an einen an der Hohlwand gewachsenen Holunderbusch. Auf ihre Rücken warf er je eine grobe Decke, damit sich ihre Körper nicht so abkühlen. Wortlos machten sie sich ans Abladen. Die Frau schützte sich mit einem Wachsleinenmantel vor dem Regen, der Mann hatte weder einen Mantel noch einen Schirm. Nach einigen Minuten war er bis auf die Haut nass. Josef zog sich bis auf die Unterhose aus und stülpte sich einen Bauernsack über den Kopf als Kapuze. Er nahm erst die beiden Schragen vorn und hinten herunter. Mit der Truhe hatten sie viel Mühe, weil sie nicht an sie herankonnten. Außerdem war sie sehr schwer. Anna konnte sie nur mit Mühe tragen. Mehrmals rutschten sie im Schlamm aus. Mit dem Schrank, der in dieser Gegend nur „Prodkästl” genannt wurde, hatten sie es auch nicht leicht. Danach hob Josef die beiden Bodenbretter heraus, montierte die vier Wagenleisten ab und hob die zwei Seiten des Wagens herunter. Jetzt war noch die Deichsel übrig. Als er auch sie in die Pfütze gelegt hatte, stand ihm noch der schwerste Teil der Arbeit bevor. Josef musste auf einem schmalen Platz mit knappen Bewegungen den Wagen nach vorn, nach hinten, nach links und rechts umlenken. Das Manöver dauerte fast eine halbe Stunde, aber am Ende schaute die Deichsel auf den Gipfel des Hügels. Jetzt setzten sie in umgekehrter Reihenfolge die Zubehöre des Wagens auf, dann kamen das „Prodkästl” und die Truhe auf ihre Plätze. Josef wischte sich dann die regen- und schweißnasse Stirn ab, aber mit dieser Bewegung verschmierte er nur den Schlamm auf seinem Gesicht. Dann seufzte er:
„Es scheind mir, Anne, tr Kott hod uns aus tiesr rohen Lage rauskholwe.”
Anna bekreuzigte sich und ging das Kind holen, das von der ganzen Mühsal nichts wahrgenommen hatte, und legte es auf den Sitz hinauf. Danach watete sie mit der jetzt nur noch blinzelnden Sturmlampe zu den Ochsen, damit das Vieh den Weg besser finden könne. Josef stieg auch nicht auf den Wagen, auf dem Weg schreitend führte er die Ochsen an den Zügeln.
Das schlechte Wetter war im Abklingen und in der Ferne hinter den Wolken kamen zwei drei Sterne hervor. Ein mildes Lüftchen erhob sich aus Richtung Süden und trocknete die Haut des Mannes ein wenig. Nach mehreren Ansätzen und mit Rutschen und Schieben erreichten sie den Gipfel. Vitéz und Sudár dampften vor Schweiß, Regentropfen und Anstrengung. Josef streichelte die beiden bewährten, jetzt müden Ochsen, dann warf er sich eine Pferdedecke über und kletterte auf den Wagen neben seine Frau. Sie fuhren auf den steinigen Weg hinaus.
„Es is schun allesons”, dachte der Mann.
Die Ochsen zogen an. Nach dem schweren Vorwärtskommen auf dem Lehmboden schien es, als flögen sie. Vom Himmel schwanden die schweren, rissigen Wolken und die Sterne blitzten wie Opale. Josef dachte daran, dass unzählige Sterne am Himmel genug Platz hätten, hier auf der Erde sich jedoch einige Millionen Menschen nicht vertragen können.
Am Horizont zog langsam die Morgenröte auf und Josef hätte die Kirchtürme der nahen Stadt wahrnehmen können, wenn er nach vorn geschaut hätte. Sein Blick blieb aber an einer Haubenlerche haften, die sich vom Rande des Weges in die Höhe hob. Nach einigen schüchternen Pfiffen begann sie eine Morgenserenade zu singen und die Melodien klangen rein in der blauen, dunstigen Luft.
Josef folgte mit seinen Augen dem Vogel, bis der in der Weite verschwand. Dann blickte er noch einmal zurück auf den Weg, der in sein Heimatdorf führte, trieb die Ochsen an und fuhr weiter, dem Schicksal vertrauend. (1985)
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Der Autor Josef Michaelis ist den meisten von uns bekannt. Er stammt aus Schomberg/Somberek und lebt auch heute noch dort. Auch ein anderer namhafter Literat war in Schomberg zu Hause, nämlich Martin Krisztmann, besser bekannt als Márton Kalász. Als Andenken an den großen Sohn der Gemeinde wurde die Grundschule letztes Jahr nach ihm benannt.
Aber nun zurück zum Hintergrund des Prosawerks von Michaelis, das nach Angaben des Autors starke autobiografische Elemente enthält. Der Vater von Josef Michelisz, Josef Michelisz sen., diente in der ungarischen Honvéd. Nach drei Jahren Militärdienst an der Ostfront und dann nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft kam er 1946 nach Schomberg zurück. Noch im Jahre 1946 heiratete er Anna Auth. Ein Jahr später kam Bruder Franz zur Welt.
Man wollte sie in jenem Jahr auch vertreiben. So mussten sie in einer regnerischen Nacht nach Mohatsch zu einer schokatzischen Familie namens Buturácz flüchten; das waren Bekannte des Großvaters. Es ist die Nacht, um die es in der Geschichte geht.
Sie blieben einige Monate bei dieser Familie. Während dieser Zeit schrieb der Großvater mütterlicherseits, Josef Auth, dem ungarischen Innenminister einen Brief. Die Antwort ging leider verloren.
Das Ersuchen sollte von Erfolg gekrönt sein, denn sie wurden nicht vertrieben, aber dafür enteignet. Haus und Feld verlor die Familie also. Danach kamen die Eltern nach Schomberg zurück und als junges Ehepaar wurde ihnen am Dorfende ein baufälliges Häuschen mit einem Strohdach zur Verfügung gestellt. Dieses Haus hatten die Neuansiedler – die telepesek, also Madjaren aus dem ehemaligen Oberungarn und Sekler – nicht annehmen wollen. Der Autor Josef Michaelis wurde 1955 auch noch in diesem Häuschen geboren. Später verkaufte die Familie dieses Haus und zog in ein anderes Gebäude ins Zentrum der Gemeinde. (kommentiert von Richard Guth)
Das Bild zeigt die Eltern des Autors.