Gemeinsame Wurzeln – im Gespräch mit Wendelin H. Priller aus Rasdorf

Von Richard Guth

„Die ersten Kontakte zu den Stiffollern in Ungarn sind 1982, 1983 entstanden – unter anderem zu den Hambuchs, Wendelin und Géza. Es gab kaum Kenntnisse in Fulda über die Auswanderer, ich wusste auch nichts. 1983 unternahmen wir aus dem Landkreis Fulda eine größere Reise mit einem Reisebus. Die Entdeckung war, dass es da noch intakte Strukturen bezüglich Sitten, Bräuchen, Identität und Heimat gab. In Nimmesch/Hímesháza war die Bevölkerung zur Hälfte ungarndeutsch, in Sier/Szűr sogar zu 90 %. In Mutsching wurde die deutsche Bevölkerung hingegen zu 80 % vertrieben, viele von ihnen gingen später nach Amerika”, erinnert sich der Rasdorfer Wendelin H. Priller, der seit Jahrzehnten ein Motor der partnerschaftlichen Beziehungen zu den Stiffollern in Südungarn ist. Den Wirtschaftsprüfer besuche ich an einem verschneiten Januartag in Rasdorf in seinem inmitten des Waldes gelegenen Haus an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Der 74-Jährige ist zwar voller Pläne, blickt aber auch mit Genugtuung auf 40 Jahre fuldisch-fuldischer Beziehungen zurück.

Sein Interesse für dieses Kapitel der Geschichte reicht noch weiter zurück: „Ich habe im Telefonbuch geblättert und bin in Petersberg bei Fulda auf einen Stiffollerweg gestoßen. Ich habe recherchiert und in der Fuldaer Landesbibliothek eine Korrespondenz vorgefunden, die ein Konrektor namens Hack mit Donauschwaben in Ungarn führte – mit einem Professor Schmidt aus Segedin/Szeged und dem Kaplan Franz aus Nimmesch. Sie berichteten von der Existenz typisch fuldischer Namen wie Heil oder Jordan in Ungarn”, so Priller weiter, der nach eigenen Angaben bereits als Schüler an Geschichte interessiert war.

Aber auch eine andere Motivation führte ihn zu den Stiffollern in Ungarn. Fulda, das für Priller „Heimat” ist, war früher ein geistliches Fürstentum (Hochstift Fulda) und wurde im Zuge der Säkularisierung 1802 aufgeteilt; ein Großteil des Hochstifts kam zu Hessen-Kassel. Von dem ehemaligen Hochstift spreche heute keiner mehr, die Identität sei verschwunden, obwohl die Fürstbischöfe damals genauso wie andere Herrscherhäuser repräsentative Gebäude errichteten wie eine Residenz, Sommerschlösser und barocke Kirchen, die auch heute noch von der Größe Fuldas zeugen. Was Priller an den Stiffoller in Südungarn fasziniere, sei das geschlossene Siedlungsgebiet: In Ungarn gibt es nach seinen Angaben 20 (ihm mittlerweile wohlbekannte) mehrheitlich fuldische und 20 teilweise fuldisch besiedelte Dörfer. Er findet auch faszinierend, dass „da unten die Erinnerung an das Stift Fulda noch vorhanden ist”. Auch nach Amerika habe es 100 Jahre später eine Auswanderungswelle gegeben, aber dort bilden nach Prillers Angaben die Ausgewanderten keine geschlossenen Siedlungsgebiete. Prägend war für ihn auch die gemeinsame Zeit mit westungarndeutschen Mitschülern, die nach Rasdorf im Zuge von Flucht und Vertreibung kamen.

Gemeinsame Wurzeln 2

Auf das erste Stiffoller -Treffen in Petersberg 1986, an dem viele Vertriebene teilgenommen hätten, sei eine Vertiefung der Beziehungen mit den Stiffollern in Ungarn gefolgt, so dass 1989 Nimmesch eine der ersten drei Gemeindepartnerschaften in Ungarn mit einer deutschen Kommune geschlossen habe. „Die 1990er Jahre stellten eine Zeit aktiven Austausches auch über die Gesangsvereine dar, was mit der Zeit nachgelassen hat”, erinnert sich der Rasdorfer Heimatforscher. Träger der partnerschaftlichen Aktivitäten bundesdeutscherseits sei bis heute der Stiffoller Freundeskreis in Rasdorf, der mehrheitlich aus geschichtsinteressierten Mitgliedern bestehe. Ihren Bemühungen sei damals unter anderem die Sanierung der Sierer Kirche zu verdanken gewesen. Dem Austausch ist nach Priller auch der Umstand zu verdanken, dass das Stiffoller-Bewusstsein bei den in Ungarn ansässigen Stiffollern intensiver geworden sei – auch dank der Bemühungen der Vereine und der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltungen in Ungarn. Aber auch andere Veränderungen nimmt der 74-Jährige wahr: „Die Älteren haben damals den Dialekt perfekt gesprochen, heute stirbt das Dialektsprechen aus. Meine Generation in Ungarn hat die Sprache noch von den Großeltern erlernt, das ist heute selten geworden.”

Was bringt die Zukunft – bleibt noch zu fragen. Dabei hat Wendelin H. Priller konkrete Ziele: Er will die Partnerschaft auf die Ebene des Landkreises Fulda heben. Dabei gehe es ihm nicht um formelle Dinge, sondern der Landkreis soll als Anlaufstation dienen, damit „das Ganze Struktur hat”.

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