Eine Rezension zum Film R.M.N.
__________________________________________________
Von Richard Guth
Taumelnd, vom filmischen Geschehen völlig mitgerissen verließ ich das Kino im Stadtzentrum von Budapest. Der Film „R.M.N.” des namhaften rumänischen Regisseurs Cristian Mungiu (4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage), der letztes Jahr in Cannes als Wettbewerbsfilm vorgestellt wurde, ist wohl einer der ausdrucksstarken Filme der letzten Jahre.
Er behandelt ein hochaktuelles, aber auch gleichzeitig hochpolitisches Thema: die Migration in ihren vielen unterschiedlichen Facetten. Denn der Protagonist Matthias ist selber Arbeitsmigrant und sucht als Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien väterlicherseits sein Glück im Mutterland Deutschland, wo er vom Schlachthofvorarbeiter mit Migrationshintergrund dennoch als Zigeuner beschimpft wird – der Grund für seine Rückkehr zu seiner Familie in Siebenbürgen. Genauso der Arbeit wegen verließen Männer aus Sri Lanka ihre Heimat, um in Europa Geld zu verdienen – die anderen Protagonisten, die das multiethnische siebenbürgische Dorf, das stolz zu sein scheint, die Roma gerade losgeworden zu sein, in Angst und Schrecken versetzen (wie wohl 2020 in Dittersdorf/Ditrău/Gyergyóditró, wo die Dorfbewohner gegen die Anstellung von Bäckern aus Sri Lanka auf die Barrikaden gingen). Das madjarisch-sächsisch-rumänische Dorf, das bis zum Erscheinen der drei Fabrikarbeiter aus Sri Lanka das Bild einer friedlichen multiethnischen Gemeinschaft abgibt, ist ein fiktives: Der Betrachter erkennt aber darin das durch seine siebenbürgisch-sächsische Architektur berühmte Eisenburg/Rimetea/Torockó am Fuße des Seklersteins, das als Drehort gewählt wurde.
Protagonist Matthias steht durch seine Frauenbeziehungen stellvertretend für das multiethnische Erbe Transsylvaniens: Er ist mit einer Rumänin namens Ana verheiratet, aber führt eine Affäre mit der madjarischen Managerin Csilla (die toleranteste Figur im Film). Der gemeinsame Sohn Rudi, mit dem Matthias vornehmlich rumänisch spricht, leidet unter Wahnvorstellungen und Angstzuständen – am Ende des Filmes wird sich herausstellen, dass der wohl hochsensible Junge wie ein Seismograph das sich nahende Unheil – den Freitod des sächsischen Opa Otto – vorausahnt. Aber anfangs ist die Dorfidylle noch perfekt, man feiert, tanzt und trägt gemeinsam ein Schauspiel kurz vor Weihnachten in drei Sprachen vor.
Schon früh zeigen sich erste Risse dieser Idylle – die Familienkonflikte im Hause des Protagonisten, die Schwierigkeiten für den gesetzlichen Mindestlohn genug Bäcker für die Brotfabrik zu finden und die Klagen vieler, dass nach der Abwicklung des Bergwerks ein Auskommen nur im europäischen Ausland möglich sei, was den Arbeitskräftemangel noch verschärfe. Der französische Umweltschützer, der die Bärenpopulation zählen soll, wird noch müde belächelt, die Ankunft der Fabrikarbeiter, die nun in der Brotfabrik zum Mindestlohn arbeiten sollen, damit die madjarische Besitzerin die Bedingungen für die EU-Förderung erfüllt (was die Zahl der Belegschaft angeht), versetzt das Dorf in Unruhe. Urängste werden geweckt samt EU-Skepsis und manch bekannte Topoi populistischer Politiker finden gar ihren Weg in die sozialen Medien, mit der Konsequenz, dass das Dorf die Annahme des Brotes verweigert und sich über die Ausweisung der Fremden befinden will.
Die Dorfversammlung ist zwar eine Groteske, erinnert dennoch an Versammlungen in Ost- und Mitteleuropa im Vorfeld geplanter Industrieansiedlungen beispielsweise, im Beisein der hadernden Dorfelite (Bürgermeister, Pfarrer und Polizist), als Akt basisdemokratischer Mitbrstimmungsgehversuche, emotionsgeladen, Stereotypen und Scheinideologien bediendend, wohlwissend, dass man die Ankunft der Moderne im Dorf nicht verhindern wird. In diese Dorfversammlung platzt die Nachricht vom Freitod des sächsischen Opas, Angehöriger der kleinsten, von Auswanderung stark dezimierten Volksgruppe (der Pfarrer wird mit dem Auto gebracht), hinein. Der Film endet apokalyptisch, die bellenden Hunde und die Schreie der Dorfbewohner ängstigen einen regelrecht, obwohl das Dorf durch die Umsiedlung der drei Vertragsarbeiter in einen Nachbarort letztendlich einen Pyrrhussieg errungen hat.
Ein exzellenter und wichtiger Film, der vielen, vor allem in Ost- und Mitteleuropa, wo vieles gerne mit zweierlei Maß gemessen wird, einen Spiegel vorhalten will und womöglich wird.
Beitragsbild: https://le-pacte.com/france/film/rmn