Ein Buch über uns, aber auch für uns – Eine Rezension zu Zoltán Biharis „Mi svábok”

Von Richard Guth

Der Anblick des enzyklopädieartigen Buches ließ bei mir, dem Buchliebhaber, das Herz höher schlagen. Knapp 600 Seiten und ein stattliches Gewicht von deutlich über einem Kilo – es geht um Zoltán Biharis „Mi, svábok”*, das in Kürze auch in deutscher Sprache erscheinen soll! Und nicht nur das: Band 2 mit weiteren Ortschaften ist im Sommer erschienen.

Es ist wahrlich nicht einfach, über ein Buch zu schreiben, in dem es um uns Deutsche in Ungarn geht. Genauer gesagt wird der Versuch unternommen, den Leser über das historische, sprachliche und kulturelle Erbe, aber genauso über die Gegenwart und (mögliche) Zukunft der deutschen Minderheit zu informieren. Der Leser ist dabei Otto Normalverbraucher, am besten einer, der zwar um die Existenz der „svábok” weiß – mit einer Prise Stereotypen, aber mehr auch nicht. Dies wäre aber zu kurz gegriffen, denn selbst ich konnte – neben vielem Bekannten – sehr viel dem Buch abgewinnen.

Das Konzept scheint auf den ersten Blick einfach zu sein: Es werden Kontakte zu lokalen Funktionsträgern oder auch nur normalen Bürgern geknüpft (Ansprechpartnerinnen Nr. 1 waren die deutschen Selbstverwaltungen) und am Ende entsteht ein Mosaik aus Historischem und Gegenwartsbezogenem, eine Gesamtschau (die letztendlich nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben der Dorfbewohner bleibt) über schulische, kirchliche und zivilgesellschaftliche Aktivitäten. Lobenswert ist dabei das Bemühen, auch Orte mit geringer oder mittlerweile keiner deutschen Bevölkerung vorzustellen – etwa so manche Gemeinden, die seit spätestens 1950 zur Hauptstadt Budapest gehören. Auch interessante Informationen zum Umgang mit dem gebauten Erbe erhält der Leser. So ergeben die vielen Puzzlesteine ein Ganzes und ein durchaus realistisches Bild darüber, was uns Deutsche in Ungarn ausmacht. Im wohlwollenden Sinne, aber dazu gleich mehr!

Dabei wird die Vorstellung ausgewählter Gemeinden hin und wieder von der Präsentation von Persönlichkeiten oder erfolgreichen Unternehmen mit ungarndeutschem Hintergrund unterbrochen, was eine sinnvolle Abwechslung bietet, denn es ist einiges, was der werte Leser verarbeiten muss.

Die Personen, die hinter der Entstehung dieses Sammelbandes – Sammelband, denn am Werk waren neben Autor Zoltán Bihari Co-Autoren beteiligt – standen, sind der besondere Wert dieser Publikation. Sie geben unserer Volksgruppe ein Gesicht gerade dank ihrer Vielfalt. Pädagogen, Kulturschaffende, Funktionäre, Unternehmer oder einfache Arbeitnehmer kommen im Buch zu Wort und dabei unterschiedliche Perspektiven und unterschiedliche Ansichten. Dabei lernt man nicht nur gegenwärtige Gestalter des Minderheitendaseins kennen, sondern die Autoren nehmen Bezug auf vergangene Größen des ungarndeutschen Kulturlebens wie Anton Farkas oder Josef Wenczl und vor allem auf das, was sie für die Nachwelt hinterlassen haben.

Interessant ist die Frage, welches Bild das Buch über die deutsche Volksgruppe in Ungarn vermittelt. Auf der einen Seite nimmt man wahr, dass es diese Volksgruppe gibt – in ganz unterschiedlichen Formen und unterschiedlicher Intensität und dass es Menschen gibt, die sich für die Gemeinschaft einsetzen und Zeit und Energie investieren, um diese Gemeinschaft zu erhalten. Womöglich reicht es ja auch aus, wenn der eingangs erwähnte Otto Normalverbraucher das Gefühl hat, informiert worden zu sein. Auf der anderen Seite steht gerade für einen kritischen Sonntagsblattler die Frage, wie realistisch dieses gezeichnete Bild ist. Nun ja, fairerweise wird an mehreren Stellen auf den Sprachverlust hingewiesen, aber wohlwollend hinzugefügt, dass beim netten Beisammensein der eine oder andere Mundart-Begriff falle, was durchaus der Fall sein kann. Genauso sachlich berichtet man darüber, dass im Schulwesen die sprachunterrichtende Form vorherrscht.

Welches Gesamtbild beim Otto Normalverbraucher entsteht, ist sicherlich sehr individuell, aber letztendlich geht es beim vorliegenden Werk auch nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung über die Beziehung von Sprachverlust und Identität.
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* Zoltán Bihari (Hg.): Mi, svábok.- Budapest 2020

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