Verspätete Aufarbeitung der eigenen Geschichte

Buchpräsentation und Filmaufführung in Bonnhard

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Von Anna Türberger

Die deutsche Minderheit in Ungarn durfte als Kollektiv erst mit einer Verspätung von Jahrzehnten das eigene Trauma aufarbeiten können: Zwar wurde die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in den frühen 1980ern wieder auf die öffentliche Agenda gesetzt, mit der Verschleppung oder wie es bekannter heißt „Malenkij Robot” durfte sich jedoch die Öffentlichkeit und die Community, also die Gemeinschaft selbst erst mit der Wende auf verschiedenen Ebenen auseinandersetzen. Diese verspätete Aufarbeitung von betroffenen Personen, die ihre Sichtweise der Geschichte nicht mehr erzählen konnten, verursachte das Fehlen des Narrativs einer verfolgten und geteilten Gemeinschaft, hat deswegen immer noch Bedeutung und ist besonders wichtig. Neben der wissenschaftlichen Aufarbeitung spielen Mikrogeschichten von einzelnen Personen oder Familien eine genauso wichtige Rolle bei der Traumaaufarbeitung und helfen schon durch ihre öffentliche Erzählung immens.

Eines dieser Bücher mit dem Titel Menschen in der Geschichte. Ungarndeutsche Schicksale kennenlernen durch oral and visual history 2020 als 12. Band der Buchreihe Historegio (Herausgeber: Gerhard Fritz) in Deutschland erschienen wurde am 30. November 2022 im Kulturhaus von Bonnhard/Bonyhád im Rahmen eines Kulturprogramms und zusammen mit dem Film Schwabenwalzer von Rudolf Somogyvári dem versammelten Publikum vorgestellt. Die neun Beiträge des Bandes sind durch Inhalt und Forschungsmethode miteinander verbunden. Im Mittelpunkt der Studien steht die Erforschung des Schicksals deutscher Familien in Ungarn, wie Politik auf sie wirkte und wie die großen historischen Entscheidungen und ihre Folgen das Leben einfacher Menschen und Familien beeinflussten. Dabei fokussieren die Autorinnen und Autoren vorwiegend auf die einzelnen Personen, auf ihre Geschichte und stellen die Ereignisse aus ihrem Blickwinkel dar. Auf den folgenden Seiten werden die subjektiven historischen Erfahrungen der Erzählerinnen und Erzähler Ereignisse zum Leben erwecken, die sonst in der Rationalität der objektiven Analyse der Geschichte verloren gehen.

Mit der Methode der oral bzw. visual history wurden mündlich überlieferte Geschichten aus den Interviews von Zeitzeugen durch weitere schriftliche Quellen wie Zeugnisse, Fotos, Ausweise usw. ergänzt und aufgeschrieben. Die lebendigen Erinnerungen der Zeitzeugen, die noch gesammelt werden konnten, dienen den späteren Generationen als Quelle für weitere Forschungen, zum Kennenlernen einer vergangenen Welt.

Die Autorinnen und Autoren des Bandes sammelten in der eigenen Familie oder engem Umfeld und hielten anhand von Fotos und diversen Dokumenten Geschichten einzelner Personen fest. So befinden sich unter den Aufsätzen persönliche Geschichten, wie im Falle von Edina Haslauer, die die eigene Familiengeschichte aufgearbeitet hat und diese anhand Interviews mit ihrer Mutter schildert, wie die Familie zwar vertrieben wurde und doch in Ungarn blieb. Anders als der Aufsatz von Agnes Szauer, die die Vertreibung in den Fokus stellt und thematisch das Ereignis von mehreren Zeuginnen und Zeugen erzählen lässt.

Der Beitrag von Zoltán Huszár und Rudolf Somogyvári berichtet mit dem Titel „Schwabenwalzer“. Historische Vorgeschichte und filmografische Zusammenfassung eines Dokumentarfilms über die Themen: „Malenkij-Robot“ und Vertreibung über das Entstehen und den Inhalt eines Filmes, der in der Zeitspanne der späten 1930er bis zu den 1950er Jahren über das Schicksal ungarndeutscher Familien berichtet. Der genannte Film bildete einen Teil des Programms, in dem um grundlegende Probleme des 20. Jahrhunderts einzelner Familien im Film und Erzählungen ging: Alltägliche Geschichten, die man lange nicht gewagt hat zu erzählen oder zu belastend erachtete um diese anderen aufzubürden.
Dieser Gedanke und dass die einfachen Leute all diese Geschehnisse meistens erleiden mussten, stand im Mittelpunkt der Buchpräsentation in Bonnhard, die in der Organisation der örtlichen deutschen Nationalitätenselbstverwaltung der Stadt Bonnhard stattfand.

Nach der Film- und Buchpräsentation begann eine lebhafte Diskussion über die Vergangenheit, aber auch darüber, welche Lehren man daraus für die Zukunft gewinnen kann.

Durch das Programm führte Luca Mándity, die Tanzgruppe Kränzlein erfreute mit einigen schwungvollen Tänzen das Herz der zahlreichen Anwesenden sowie Boglárka Götz und István Pecze spielten auf Harmonika.

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Huszár, Zoltán; Klein, Ágnes (Ed.) Menschen in der Geschichte: Ungarndeutsche Schicksale kennenlernen durch oral und visual history, Remshalden, Deutschland, Verlag Manfred Hennecke (2020)

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