Reisenotizen (13) – Eupen

Von Richard Guth

(Juli 2022) „Was suchen Sie in Eupen?”, stellt mir der Endzwanziger etwas überraschend die Frage, den ich in der Nähe des Rathauses angesprochen habe. In seiner Gesellschaft befindet sich ein Endfünfziger, eigentlich frankofon, der sich aber vorher in fließendem Deutsch – gut, mit französischem Akzent – mit dem jungen Mann unterhalten hat. Im Windschatten des Kaiserdoms zu Aachen gelegen ist seine Frage durchaus verständlich, dennoch führte mich der Weg bewusst ins Zentrum der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien.

Die deutsche A4 wechselt zur belgischen A3, es geht in Richtung Lüttich, des industriellen Zentrums Walloniens. Die Fahrstreifen werden in der Mitte von einem großzügigen Grünstreifen samt Rasen gesäumt, dafür weisen die Brücken Spuren von Investitionsstau auf. Die Beschilderung ist durchweg französisch, kein Wunder, wir befinden uns in der Wallonie, dem französischsprachigen Teil Belgiens. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten. Das Ziel meiner Reise, Eupen – französisch Néau, aber selbst die Franzosen benutzen den deutschen Namen der Stadt (als Öpen ausgesprochen) -. ist bereits ausgeschildert. Das Bild ändert sich schlagartig, denn nun dominieren deutsche beziehungsweise zweisprachige Aufschriften das Straßenbild: Der Weg nach Eupen führt nämlich durch ein Gewerbegebiet; Werkstätten, Tankstellen, Supermärkte und Bauhandel wechseln sich ab. Dabei sind nicht nur die amtlichen Aufschriften zweisprachig oder eher einsprachig deutsch, sondern auch fast alle geschäftlichen. Selbst das überregionale Busunternehmen wirbt zweisprachig um Nachwuchs.

„Gut 90 % der Eupener sind deutschsprachig”, sagt der bereits erwähnte Endzwanziger überzeugt, eine Zahl, die auch von anderen bestätigt wird. Das scheint zur Folge zu haben, dass sich auch Frankofone schnell die deutsche Sprache aneignen, so auch eine Dame Anfang 50, der ich auf dem Parkplatz begegne. Seit sieben Jahren in Eupen, ist sie in der Lage, mit mir auf Deutsch zu kommunizieren, obwohl sie vorher die Sprache der hiesigen Gemeinschaft nach eigenen Angaben nicht sprach. Andere Gesprächspartner sehen die Bereitschaft Deutsch zu lernen und anschließend zu sprechen etwas differenzierter: Eine Mittfünfzigerin erzählt von dem eingeheirateten Schwager, wegen dem in seinem Beisein die ganze Familie französisch spreche. „Es kommt auf den eigenen Willen an. Wenn man will, dann lernt man die Sprache”, berichtet mir eine Gastwirtin und ruft auf Deutsch zur Tischgesellschaft rüber.

Ein Erlebnis, das mich die ganze Zeit des Aufenthalts begleitet: Man hört fast nur Deutsch, auf der Straße, in den Geschäften, in den Kirchen, wobei an diesem Sonntagsvormittag auch Französisch nicht fehlen darf, nicht zuletzt dank der zahlreichen Tagestouristen aus anderen Teilen Belgiens oder bei dem Herrn nach der französischen Heiligen Messe, der mich so nett begrüßte, dass ich ihn mit Fragen löchern musste. Er lebt nach eigenen Angaben seit dreißig Jahren in Eupen – er kommt auch auf 80 – 90 % Deutschsprachige und die Erfahrung, dass viele Frankofone Deutsch sprächen. Er geht sogar noch weiter: „Der Einfluss des Deutschen ist so groß, nicht zuletzt über den Schulunterricht, dass sich zuvor Frankofone sprachlich anpassen und auch im Alltag deutsch sprechen.” Bezüglich des Schulunterrichts erzählt er noch, dass man auch Französisch-Fremdsprachenunterricht habe, damit die Jugendlichen später die Möglichkeit hätten, in Lüttich oder Namur zu studieren. „Dennoch gibt es eine Vereinbarung mit der Universität Aachen, die einige Studienplätze für die Deutschsprachigen in Belgien bereithält”, so der Neueupener. Apropos Schulunterricht: Ich stehe auf dem Marktplatz und werfe einen Blick auf die Tageszeitung „Grenzecho“, die am Verlagshaus in Vitrinen ausgelegt ist. Eines der Themen der Freitagsausgabe ist der vermeintliche Rückgang der Französischkenntnisse der Deutschsprachigen, was nach Maßnahmen verlange. Wiederum ein Eindruck, der von meinen flüchtigen Begegnungen ebenfalls differenziert wahrgenommen wird. In den Gesprächen fehlte der Hinweis auf die lange Zugehörigkeit zu zuletzt Preußen auch nicht sowie die geografische Nähe zu Deutschland, die den Spracherhalt fördere.

So auch von einem Mittzwanziger, fließend deutschsprachig: Nach seinen Erfahrungen sprechen Jugendliche beide Sprachen gleichermaßen, wobei im täglichen Kontakt Deutsch dominiere, „bis auf die großen Ketten am Stadtrand, da spricht man eher französisch”. Wie sich herausstellt, kam der junge Mann mit fünf Jahren als Flüchtling nach Eupen und wuchs im deutschsprachigen Milieu auf.

Die große Verwunderung weicht allmählich einem Gefühl der Normalität. Denn wenn selbst Seine Majestät der König in seinen Ansprachen seine Untertanen neben Französisch und Flämisch auf Deutsch begrüßt, dann zeigt dies trotz langjähriger Gegensätze insbesondere zwischen Wallonen und Flamen die tiefe Verwurzelung der Idee der Mehrsprachigkeit und Autonomie.

Eine Autonomie, die trotz rasanter Veränderungen immer noch authentisch wirkt, wie meine letzte Gesprächspartnerin, eine betagte Ordensschwester, die mit fast zehn Geschwistern mit dem Eupener „Platt” aufgewachsenen ist und über sprachliche und sonstige Veränderungen nur schmunzele, auch bestätigt.

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!