Von Ibolya Lengyel-Rauh
Am 22. Dezember 1945 verabschiedete das ungarische Parlament ein Gesetz. Laut dieses Beschlusses mussten die Ungarndeutschen aus Hof und Haus, aus Dorf und Heimat vertrieben werden. Das ereilte auch die Tolnauer Gemeinde Pari/Pári, zwischen Nagykónyi und Tamási gelegen, 1947. Ein Jahr später wurden die Verbliebenen mit dem Zug nach Deutschland umgesiedelt. Nicht alle Dorfbewohner mussten den Ort verlassen. Diejenigen, die Besitzer eines Hauses mit Stroh oder Schilfdach waren, wurden von der Vertreibung verschont. In die Häuser der Schwaben kamen bereits 1946 Madjaren. Viele Schwaben wurden 1944 zur Zwangsarbeit verschleppt, von denen viele nicht mehr zurückkehren konnten. Diese Geschehnisse haben das Leben der Gemeinde Pari in den nächsten Jahrzehnten enorm verändert.
Am 4. Juni 1947 bekamen viele Schwaben, die vor allem ein schönes Haus mit Dachziegeln oder Ackerfeldern besaßen, den Beschluss das Haus innerhalb von zwei Stunden zu verlassen. Viele fanden bei anderen Parier Familien Unterschlupf, bis sie in den Nachbardörfern ein Zimmer oder ein Haus als Mietobjekt fanden. In die Häuser der Schwaben wurden Madjaren aus Nádasladány bei Stuhlweißenburg und aus anderen Dörfern, aus St. Peter/Komáromszentpéter/Svätý Peter in der Slowakei und aus Siebenbürgen angesiedelt. 1944 belief sich die Zahl der Parier auf 1334, 95,21% der Dorfbewohner bekannten sich zum Deutschtum. Dies änderte sich aber bald, da 1948 455 Schwaben ausgesiedelt bzw. vertrieben und 646 Ungarn bzw. Madjaren angesiedelt wurden. 348 Neuansiedler kamen aus der Slowakei, 289 selbst aus Ungarn und 9 aus Siebenbürgen. 1949 zählte das Dorf 1339 Einwohner, deren ethnische Zusammensetzung in der Wirklichkeit viel anders war, als in der Volkszählung von 1949 zu erkennen ist, da 1319 die Zugehörigkeit zur madjarischen Nationalität angaben. Aber Schätzungen nach müssten noch die Hälfte der Bewohner Ungarndeutsche gewesen sein.
Diese ethnische Vielfalt hat das Leben der Dorfbewohner signifikant verändert. Am Anfang betrachteten die verbliebenen Schwaben die Neuankömmlinge misstrauisch, aber mit der Zeit änderte sich das. Es kam auch zu Mischehen, da die ungarndeutschen Jungen nur wenige deutsche Mädchen aufgrund der Verschleppung zu Malenkij Robot und der Vertreibung in ihrer Altersgruppe fanden (und umgekehrt). Die erste Mischehe wurde 1948 geschlossen, die seitens der Eltern des Bräutigams auf Widerstand stieß, folglich waren die deutschen Eltern auf der Hochzeit abwesend. Damals hatten die Eltern das Sagen bei Eheschließungen. Die Schwaben versuchten möglichst untereinander zu heiraten. Aber ab den 1950er Jahren gab es immer mehr Mischehen in Pari.
Als Folge der Mischehen hat sich die Assimilation der Schwaben in den 1950er und 1960er Jahren beschleunigt, da in solchen Beziehungen zu Hause überwiegend ungarisch gesprochen wurde. Das hat zum Verlust der eigenen Mundart geführt. Am Ende der 1940er Jahre trauten sich die ursprünglichen Dorfbewohner aus Angst kein Deutsch in der Öffentlichkeit zu sprechen. Die Deutschen waren als Schuldige des Zweiten Weltkriegs zu betrachten, das zeigt auch der Verlust ihrer Position in der Dorfverwaltung. Die administrativ wichtigen Positionen im Dorf bekamen die Neuankömmlinge, also die Schwaben waren ihrem Willen völlig ausgeliefert, vor allem am Anfang der 1950er Jahre. Außerdem wurde in der Grundschule kein Deutsch unterrichtet, nur Russisch als Fremdsprache. Die ungarndeutschen Kinder mussten also – ohne die eigene Sprache in der Schule erlernt zu haben – aufwachsen. Zwar haben sie das Deutsch ihrer Eltern und Vorfahren zu Hause verstanden, aber immer weniger wurde in der eigenen Familie die Parier Mundart gesprochen. Das hat dazu geführt, dass die Generation der heute 70-Jährigen Deutsch weder lesen noch schreiben konnte und kann. Am Ende der 1950er bzw. Anfang der 60er Jahre änderte sich die Situation und man hörte wieder mehr Deutsch auf der Straße. Die Entspannung ist auch an der Volkszählung von 1960 abzulesen, da sich im Kreis Tamási 640 Menschen zum Deutschtum bekannten, die mehrheitlich in Pari lebten. Die Anzahl der Gesamtbevölkerung betrug im Dorf 1272. Später – in den 1970er Jahren – wurde Deutsch in der Schule eingeführt, aber nur als Fremdsprache. Der in den 1930er Jahren gut funktionierende zweisprachige Unterricht wurde nie wieder eingeführt. Die Anzahl der Bewohner sank in den 1980er Jahren auf 945, wovon 592 angaben, eine deutsche Identität zu haben, also 62,6 % der Dorfbewohner.
Durch die Enteignung wurden viele Familie aus ihren Häusern „rausgeschmissen”, aber sie kamen mit der Zeit zurück. Bereits in den 1950er Jahren gab es eine Massenrücksiedlung in Pari. Das zog sich bis Anfang der 1960er Jahre hin, als auch meine Familie ihr Haus wieder erwerben konnte. Die Angesiedelten aus dem ehemaligen Oberungarn verkauften ihre Häuser an die ehemaligen Besitzer und versuchten schnellstmöglich ein neues Leben in der Nähe ihrer ehemaligen Heimat anzufangen. Bereits in den 1950er Jahren fassten viele Madjaren den Entschluss Pari zu verlassen und sich in der Nähe ihres ehemaligen Heimatdorfes niederzulassen. Sie konnten in ihre Heimat nicht mehr zurückkehren, deshalb versuchten sie an der Grenze zur Tschechoslowakei z.B. in Komorn oder in Szőny Fuß zu fassen. Einerseits hatten sie Heimweh, andererseits konnten sie die Parier Hotter-Felder nicht effektiv bewirtschaften. Die Ansiedler hatten eine andere Landwirtschaftskultur, waren an hügelige Felder nicht gewohnt und mit ihren Zugtieren hatten sie Schwierigkeiten auf den Feldern. Viele Neuankömmlinge mussten zum Beispiel ihre Ochsen schlachten oder verkaufen, da die Tiere auf den Parier Hottern nicht effektiv eingesetzt werden konnten. Die Ansiedler kamen aus der Tiefebene. Nachdem sie das Vermögen der Schwaben aufgebraucht hatten, verkauften sie die Häuser und zogen nach Komorn oder Szőny, wo sie in der Industrie Arbeit fanden. Da die Industrie ein sicheres Einkommen für die Neuankömmlinge bedeutete, konnten sie bald ein Grundstück erwerben und dort ihr zukünftiges Heim aufbauen. Somit verschwand die Mehrheit der Madjaren aus Pari und die Schwaben kehrten in ihre Häuser zurück. Das Dorf erholte sich langsam von den Schicksalsschlägen der 1940er Jahre, bekam aber sein rein deutsches Gesicht nie wieder zurück.
Diese Zeit war mit viel Leiden seitens der Schwaben und Neuansiedler verbunden. Eins hatten sie gemeinsam: ihren festen Glauben an Gott. Sowohl die Deutschen wie die Madjaren fanden eine gewisse Geborgenheit bei Gott, der ihnen zu Seite stand, um diese schwierigen Zeiten zu überstehen. Auch der „Padláslesöprés”, der Zwangsrequirierung seitens der Macht, konnte keiner entkommen. Die Dorfbewohner waren der Zwangsabgabe unterstellt, sie mussten die vorgegebene Menge abliefern – unabhängig der Umstände (schlechtes Wetter, ungewöhnliche Landwirtschaftskultur). Diejenigen, die das Soll nicht erfüllten, wurden als „Kulake” verunglimpft und vor Gericht gestellt. So hat sich der Vorfall mit einem Dorfbewohner ereignet, dessen Frau schwer an Krebs erkrankt war. Ihr Ehemann versuchte alles zu verkaufen, um das nötige Geld für die Behandlungen aufbringen zu können, darum konnte er der Verwaltung nichts abgeben, die ihn daraufhin als „Kulake” verspottete und für drei Monate ins Gefängnis steckte. Leider starb seine Frau zwischenzeitlich. Darüber hinaus waren sowohl die Schwaben und als auch die Madjaren dem Spitzelwesen ausgesetzt; man sah oft unter den Fenstern in der Nacht “Schatten” vorbeihuschen. Man musste sehr vorsichtig sein, sogar zu Hause. Die Dorfbewohner versuchten sich samt den Schwaben als Tagelöhner über Wasser zu halten, übernahmen Gelegenheitsarbeiten auf den Ackerfeldern, im Wald oder im Gewerbe. Aber am Ende mussten sie auch die Ernte abgeben. 60% der Bewohner hatte kein eigenes Feld, nur Pacht; auf den gepachteten Feldern arbeiteten die Tagelöhner vom Frühjahr bis Herbst. 5 % der Einwohner besaß die Felder zu dieser Zeit. Das zeigt auch ein Bild über die bescheidenen Verhältnisse der Parier Deutschen. Unter dieser Armut litten jeweils beide ethnische Gruppen. Das hat aber die Bewohner des Dorfes zusammengeschmiedet. Die nach Deutschland Vertriebenen hatten es auch nicht leicht, da sie dort oft verzichten mussten. Einigen von ihnen gelang die Rückkehr nach Pari. Diejenigen, die in Burgstädt ein neues Zuhause fanden, kamen schon Anfang der 1950er nach Hause zu Besuch.
Jetzt werfen wir einen Blick auf die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen in Pari in den 1950er und 60er Jahren. Die Kollektivierung des Privatvermögens erreichte das Dorf auch. Um 1950 wurde der Vorläufer der späteren “TSZ” (LPG, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) gegründet. Den Dorfbewohnern aus dem früheren Oberungarn wurde ein leichtes Leben versprochen, wenn sie der „TSZ“ Zugtiere und Arbeitszeug „freiwillig” zur Verfügung stellen. Obwohl sie ihre eigenen Arbeitsgeräte ungern an die Kollektivwirtschaft abgaben, hatten sie dennoch keine andere Wahl. So wurde der Vorläufer der „Béke”-TSZ Pari gegründet. In dieser „TSZ” wurde auch noch Baumwolle angebaut, aber Baumwolle konnte in Pari aufgrund der Wetterbedingungen langfristig nicht angebaut werden. 1952 wurde die Mühle verstaatlicht. Außerdem wurde die Menge der Zwangsabgabe landwirtschaftlicher Güter ganz genau bestimmt. Anhand der Größe der Ackerfelder wurde festgelegt, wie viel an Eiern, Hühnern, Gänsen, Schweinefleisch, Getreide etc. abzugeben war. Sogar das Saatgut wurde konfisziert. Die Dorfbewohner lebten in Armut und hatten keine Motivation zu produzieren, da alles beschlagnahmt wurde.
Eine Errungenschaft des Sozialismus war hingegen der Ausbau des Stromnetzes. 1957 wurde der Strom in den Haushalten eingeführt. Nach sozialistischem Muster bekamen die Straßen auch andere Namen: So wurden aus der “Großsasse” und der “Kleinheisli” die Stalinstraße, die “Klein Sasse” und die “Jowahser Sasse” (Gyulaji utca) wurden nach Rákosi umbenannt, die “Neustadt” bekam den Namen Lenin und die “Zingasasse” sowie die “Weingärtersasse” wurden bereits 1945 Petőfi utca und Kossuth utca.
Die Nachricht über die Revolution von 1956 erreichte das Dorf auch. Diejenigen, die das im Radio Freies Europa mitbekommen hatten, waren sehr erfreut und viele in Pari hofften auf eine bessere Zukunft. Die Nachricht der Revolution verbreitete ein allgemeines Glücksgefühl. Außer der fröhlichen Stimmung gab es keinerlei Auseinandersetzungen zwischen der Macht und den Bürgern. Angeblich soll es eine Namensliste gegeben haben – mit den Namen der Hinzurichtenden. Aber dazu kam es nicht. Als die Revolution niedergeschlagen wurde, erschienen russische Soldaten, die aber nach ein paar Tagen wieder abgezogen wurden.
1960 wurde im Rahmen der zweiten Kollektivierungswelle die Parier „TSZ”, die bis zum Ende der kommunistischen Ära Bestand hatte, gegründet – deren Gründer war ein Schwabe, der die meisten Felder besaß. Damals wurden 10-12 Agitatoren ins Dorf geschickt, um die Leute zu überzeugen, die eigenen Ackerfelder zu übergeben. Der Name der ersten Person wurde sogar im Lautsprecher des Rathauses angesagt, um die Leute zu motivieren. Da die Dorfbewohner im Frieden leben wollten und Angst hatten, ohne Felder ihr Leben aus nichts bestreiten zu müssen, traten sie der LPG bei. Zu dieser Zeit nahm die Industrialisierung im nahegelegenen Tamási ihren Anlauf, folglich arbeiteten immer mehr Leute in Industrie. Das zeigt auch die Tatsache, dass Pari zwei Bahnhaltestellen hatte. (Heutzutage gibt es keine mehr.) Durch die Abwanderung in die Industrie arbeiteten auf den kollektivierten Feldern mehr Frauen als Männer. Die Landwirtschaft war zwar die Haupteinnahmequelle, aber das änderte sich allmählich. Viele Feldarbeiten wurden mit der Zeit durch Maschinen ersetzt, dadurch sank der Bedarf an Arbeitskräften, was zur Abwanderung führte, somit sank die Anzahl der Dorfbewohner bis 1980 unter 1000.
Es lohnt sich den Veränderungen bei den Volksbräuchen und den Treffpunkten der Dorfbewohner Zeit zu widmen, die von der Entwicklung im Sozialismus auch nicht verschont blieben. Vor der Vertreibung und der Ansiedlung der Madjaren hatte das Dorf ein reiches Brauchtum, das dank den Verbliebenen auch weiter erhalten blieb. Am Anfang mischten sich die Dorfbewohner miteinander nicht, aber das änderte sich bald. In den 1950er Jahren gingen die noch unverheirateten Frauen in die Webstuben von verschiedenen Häusern, nachdem die Feldarbeiten im Herbst beendet waren. Dort wurde viel geredet, gewoben, gehäkelt und die Junggesellen gesellten sich auch zu den Mädels dorthin. Das war ein Treffpunkt der Jugendlichen, um sich kennen zu lernen. Das hat sich mit der Zeit geändert, als abends Filme im Kulturhaus vorgeführt wurden. Da trafen sich die Jugendlichen und lernten einander kennen. Außerdem wurden noch von Herbst bis zum Faschingsdienstag Bälle abgehalten. An diesen Veranstaltungen nahmen auch Madjaren teil. Wenn die Feldarbeiten beendet waren, kam es zu Hochzeiten im Dorf. Die meisten Ehen wurden zwischen Spätherbst und Februar geschlossen. Damals nahmen mindestens 200-300 Leute an einer Hochzeit teil. In den 1950er und 60er Jahren gab es noch bei jeder Familie Schweine, die im Winter geschlachtet wurden. Da kamen wieder die Bewohner zusammen. Es wurde viel gelacht, gescherzt und vor allem getrunken.
Die Parier Feiertage erweiterten sich nach 1947 um madjarische Bräuche: Es wurde des Luca(Luzien)-Tages gedacht, es gab auch ein Weinlesefest im September, die Frauen wurden am Ostermontag mit Wasser begossen – was es nie zuvor in Pari gegeben hat – und am ersten Mai wurde ein Maibaum auf dem Hof des Wirtshauses aufgestellt. Damals gab es drei Wirtshäuser in Pari, wo die Parier zusammenkamen. Oft spielte die Kapelle des örtlichen Bauernkreises dort. Es wurde ein Pionierchor gegründet. Damals war die Kirmes von großer Bedeutung, die ursprünglich am 29. September, am Sankt Michael-Tag, gefeiert wurde. Das änderte sich in den 1950er Jahren – er wurde nicht mehr am 29. September gefeiert, sondern an dem auf dieses Datum folgenden Sonntag. Im Sozialismus etablierte sich Weihnachten als Fest des Tannenbaums. Da sich nur wenige einen Tannenbaum leisten konnten, gab es stattdessen Wacholderzweige vom Wald, die schön verziert und in die Stube gestellt wurden. Die Parier waren einfach zu arm für den Tannenbaumkauf.
Heutzutage wohnen nur noch 645 Menschen in Pari. Die ethnische Zusammensetzung des Dorfes ist vielfältig, neben den Schwaben und Madjaren leben viele Roma im Dorf. Die Gemeinde hat eine deutsche Selbstverwaltung, einen Chor namens “Edelweiß” und die Dorfverwaltung ist sehr bemüht, die traditionellen Bräuche zu pflegen. Eine Grundschule gibt es aber nicht mehr, die Kinder deutscher Abstammung können aber in Tamási eine deutsche Kindergartengruppe besuchen sowie in einer deutschen Klasse in der Grundschule lernen. Die Mundart sprechen nur noch wenige Einwohner, denen aber mein Beitrag zu verdanken ist; es handelt sich dabei vor allem um die ältere Generation. Mein Artikel basiert auf Gesprächen, Videoaufnahmen und Erinnerungen von Ortsansässigen, die die Vertreibung miterlebt haben und später ins Dorf zurückkehren konnten oder in den 1950er und 1960er Jahren selbst im Dorf aufgewachsen sind.
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Literaturempfehlungen
Sewann, Gerhard und Portmann, Michael: Donauschwaben – Deutsche Siedler in Südosteuropa, Deutsches Kulturforum östliches Europa, Potsdam 2020
Lehr, Johann (János): Napló életemről és falumról.- Tamási 1991
Grósz, Stefan (István): Pári visszaemlékezések – Az én Párim.- Pari 2019
Bordács, Ilona: Emlékezés, aranyzsinór, te vezess, Kecskés László Társaság, Komorn/Komárom 2002