Von Dipl. Ing. Josef Lutz, St. Gerhards-Werk Stuttgart
Unterwegs sein zu einem besonderen Gnadenort und zu einer Kultstätte ist Ausdruck der Frömmigkeit und ein Uranliegen des Menschen. Wallfahrten gibt es bei Christen, Juden und Muslimen. Sie sind also keine ausgesprochen katholische Ausdrucksform des Glaubens. Bei einer Wallfahrt brechen Menschen aus ihrer alltäglichen Umgebung auf, um an einem bestimmten Gnadenort zu beten und um die Hilfe Gottes und der Heiligen zu erbitten und auch Dank zu sagen für erhaltene Hilfen. Als Zeugnisse lassen sich die vielen Votivtafeln und Reliquien in allen Wallfahrtskirchen anführen. In den meisten größeren Wallfahrtsorten finden wir Reliquien, als Gegenstände religiöser Verehrung. Als Beispiel sei die Hand (als Relique) des Heiligen Gerhard v. Tschanad in der Felsenkapelle auf dem Gellertberg in Budapest, das Herz von Alexander Rudnay in einem Glasbehälter in Maria Radna genannt. Die Pilger an den Wallfahrtsorten statten Dank ab für die erhaltene Hilfe. Sie schöpfen neue Hoffnung, danken unserem Herrgott für seine erwiesene Hilfe in Stunden der Not, der Trauer und des Leids. Nicht selten haben Menschen in den Notzeiten der Kriege in Lagern oder Gefängnissen Gelöbnisse abgelegt um nach ihrer Errettung aus Notsituationen heraus Dank für erwiesene Hilfe abstatten zu wollen. In diesem Sinne legte z.B. Pater Wendelin Gruber SJ 1946 in den Lagern von Gakowo und Rudolfsgnad seine Gelöbnisse mit den Insassen der Lager ab.
Wallfahrtsorte sind Orte, in denen die Gläubigen neue Hoffnung schöpfen können, wo man sich begegnen und austauschen kann. Sie ermöglichen uns im Gebet und in Meditation zu sich selbst zu finden.
Auch heute meinen Christen an bestimmten heiligen Stätten Gott besonders nahe zu sein. So im Heiligen Land, wo Jesus gelebt hat, an den Gräbern großer Heiliger in Rom, Assisi, oder Santiago de Compostela, Altötting, Vierzehnheiligen, Gößweinstein, Eichstätt, Kevelaer (NRW), Medjugorje (Yu) Maria Radna (RO), Mariazell (A), Maria Remete (H), Maria Doroszló (SRB) oder an Orten, wo die Gottesmutter Maria Menschen erschienen ist wie Lourdes, Loretto oder Fatima. Die donauschwäbischen Katholiken, aus dem ehemaligen Jugoslawien, Ungarn und Rumänien (RO) verehren die Mutter ihres Herrn und Erlösers, Maria, mehr und inniger als alle übrigen Heiligen. Im christlichen Verständnis ist die Wallfahrt nicht in erster Linie ein Weg zu Gott, sondern ein Weg mit Gott. Eine Wallfahrt führt Menschen zusammen und hilft, Isolierung zu überwinden. Gemeinsames Suchen und Erleben werden zur Stütze. Oft spüren Menschen auf dem Pilgerweg von neuem, was es bedeuten kann, ein gläubiger Mensch zu sein und Glaube lebendig werden zu lassen durch die Hl. Eucharistie. Zur Wallfahrt gehört zumeist auch die Begehung eines Kreuzweges mit seinen 14 Stationen wie z. B in Maria Radna oder auch in Mariazell.
Die Zeit, die Menschen dieser Gottesbegegnung widmen, wird zu einem Geschenk, welches das Leben zum Guten hin verwandeln kann. Die Gnade Gottes zu erfahren bedeutet ein Geschenk Gottes in Demut anzunehmen. Die vielen donauschwä-bischen Pilger, jung und alt, beweisen, dass der Glaube und die Hoffnung auf himmlischen Beistand noch nicht aus der Mode gekommen und aktueller denn je sind.
In Bayern und Baden-Württemberg ziehen die Pilger zu mehreren Wallfahrtsorten. Altötting ist mit jährlich einer Million Pilger der größte Marienwallfahrtsort Deutschlands mit überregionaler Bedeutung. Zum jährlichen Patrozinium-Fest am 15. August kommen tausende von Pilgern.
Auch von der Erzdiözese Bamberg, der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Diözese München-Freising, Diözese Passau und der Diözese Eichstätt und allen Landesteilen Deutschlands pilgern viele Gläubige nach Altötting.
Formen der Wallfahrten am Beispiel Altötting
Eine Zugwallfahrt wird am Bahnhof feierlich empfangen. Unter Gebet, Gesang und Geläute geht der Pilgerzug über den Kapellplatz in die Basilika zum Gottesdienst mit der Begrüßungsansprache. Zur Mittagszeit kehrt man in die Quartiere ein, am Nachmittag besucht man die Beichtstühle, die Gnadenkapelle und die verschiedenen Sehenswürdigkeiten. Auch das Herumtragen der Kreuze im gedeckten Umgang der Gnadenkapelle gehend oder kniend, wird noch ausgeübt. Es folgen die Abschiedsansprache und der Auszug zum Bahnhof.
Fußwallfahrer marschieren oft von weit her, zum Beispiel aus München, Passau, Deggendorf oder Regensburg. Seit 1946 findet jährlich die Jugendfußwallfahrt Altötting statt, 2009 wurde eine Bauernwallfahrt nach Altötting wieder ins Leben gerufen. Zahlreiche andere Organisationen veranstalten ebenfalls Großwallfahrten:
Diözesan-Wallfahrten, Mesner-Wallfahrten,
Trachten-Wallfahrten, Ministranten-Wallfahrten,
Kinder-Wallfahrten, Fahrrad-Wallfahrten,
Motorrad-Wallfahrten, Pkw-Wallfahrten,
Bus-Wallfahrten, Reiter-Wallfahrt,
Europa-Wallfahrten Deutsche Wallfahrten
Ein besonders nachhaltiges Erlebnis ist die feierliche nächtliche Lichterprozession. Nach einer Predigt in der Basilika ziehen die Pilger singend und betend in immer enger werdenden Spiralen um die Gnadenkapelle.
Als bedeutender Wallfahrtsort wurde Altötting von den Päpsten Pius VI. 1782, Johannes Paul II. 1980 und Benedikt XVI. am 11. September 2006 besucht. Der im 11 km entfernten Marktl am Inn geborene Papst Benedikt XVI. ließ der Stadt durch den Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner als Kardinallegaten einen der höchsten päpstlichen Orden, die Goldene Rose, überbringen.
S.E. Josef Csaba Pál aus Temeswar, Hauptzelebranz bei der diejährigen Gelöbniswallfahrt nach Altötting
1959 fand in Altötting die erste Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben (Deutsche aus dem ehemaligen Jugoslawien, Ungarn, dem rumänischen und jugoslawischen Banat) statt. Sie wurde initiiert von Pater Wendelin Gruber SJ. Bis dato findet sie immer am zweiten Wochenende im Juli statt, heuer fand sie zum 61. Mal am 10. Juli 2022 unter Beteiligung von Pilgergruppen aus Deutschland, Österreich, dem ehem. Jugoslawien, Banat/Rumänien und Ungarn statt. Die Teilnehmer sind: Kreuzträger, Kerzenträger, Fahnenabordnungen, Trachtenträger, Marienmädchen, Musikkapellen, Ministranten, Priester und eine große Schar von Pilgern. Mögen sie beim Feiern der Wallfahrtsgottesdienste durch die Liturgie feierlich die Nähe Gottes erspüren und seine Botschaft erfahren.
Jede Wallfahrt hat einen Anfang und ein Ende – dazwischen liegt das Ziel. Der Weg ist das Ziel. Ziel sei der Dank an Gott für die Befreiung aus Not und Schrecken. Durch die Wallfahrt wollen wir dankbar sein für unser Leben in Frieden und Freiheit, für eine neue Heimat, die wir hier in Deutschland gefunden haben, dankbar sein für unsere Familien.
Zur Wallfahrt gehört auch das Erkennen und Loslassen aller unwichtigen Dinge. So wollen wir auch im Sinne des Evangeliums und des Vaterunsers um Vergebung für alle Verfehlungen menschlichen Lebens bitten. Durch die Botschaft Christi wollen wir unseren Glauben stärken.
Die Wallfahrtstage sind geprägt von einer tiefen geistlichen Atmosphäre, bei der man spüren kann, dass die Anwesenden die Wallfahrt als Chance zur Glaubensstärkung empfinden. Wallfahrten sind lebendig geblieben und sie gehören zum religiösen Kern bei unseren Landsleuten. Das ermutigt unsere Landsleute jedes Mal von neuem sich weiterhin an unseren Wallfahrten zu beteiligen und an unserem religiösen Erbe festzuhalten. Mögen unsere Wallfahrten auch in den kommenden Jahren ein Fest des Friedens und des Glaubens in einem freien Europa sein!