Von Prof. Dr. Zoltán Tefner
Teil 9
Die lange Reise hat die Reisenden seelisch sehr in Anspruch genommen, aber sie konnten die Missstände leicht ertragen, die Mehrheit war aus der jüngeren Generation, sehr Alte haben die Umsiedlung in eine Heimat selten unternommen. Häufig gab es Stimmungsumschwung unter den Mitfahrern, nicht selten sind welche von ihnen verstorben, die Leichen sollten auch „mitfahren“ oder das Schiff wurde angelegt und die Verstorbene irgendwo am Ufer beerdigt. Diese „Friedhöfe” sind unbekannt, ihren genauen Platz überdeckt die Schleier der Vergessenheit. Junges Blut, Seelenkraft und physikalische Ertragsfähigkeit haben sie über die Schwierigkeiten hinweggeholfen. Bei Ofen gab es damals eine Anlagestelle, wo sie ausstiegen, sie konnten noch die ruinierte Ofner Burg ansehen, nach ihrer Rückeroberung von den Türken war auf der Höhe des Berges nicht alles in Ordnung. Die mittlere Donau bot ihnen auch Möglichkeiten für das Aussteigen, aber die Quellen beweisen, dass es schon von den Agenten im Voraus abgestimmt war, welche Gutsherrschaften auf sie warteten. Es gab mehrere von ihnen, was die erste Schar der später in Kötsching landenden Kolonistengruppen anbelangt, die Gutsherrschaft von Mercy Claudius und die kleineren Domänen von hiesigen ungarischen Familien. So konnte solchen Gemeinden große Bedeutung beigemessen werden wie Großsäckel/Nagyszékely, Jink/Gyönk, Majos, aber auch Orten direkt am Ufer: Bonnhard, Tolnau, Paksch.
Die Momente des Ankommens waren wo prosaisch wo erhebend. Auch aus der Fallstudie von Johann (János) Schmidt kommt die Geschichte der Kischtormascher her (die Geschichte wird überall mit Vorliebe zitiert) – auf Grund der ursprünglichen Verabredung wollten alle in den Banat fahren, aber sie haben sich – sicherlich in Folge von anderweitiger Überredung – trotzdem für die Schwäbische Türkei entschieden. Unter ihnen höchstwahrscheinlich die Ahnen vieler Kötschinger Familien. Schmidt beschreibt die Ankunft der Kischtormascher nach den Quellen aus dem Archiv der örtlichen Kirchengemeinde (die so genannte „gyülekezeti láda”, „Gemeindetruhe”) folgendermaßen: „Auf den Schiffen des Kaisers sind sie bis Tolnau gefahren, dort stiegen sie aus, von dort wurden sie mit den Pferdekutschen von Mercy nach Tormasch befördert und sie haben sich am 9. Mai 1724 abends zwischen 7–8 Uhr in das grüne Gras »ausgegossen«, nachdem es ein Obdach nirgends war. Ihre Decke war der sternhellige Himmel Gottes und der rasenbewachsene Boden ihr Unterbett.”
Die Szene ist wirklich romantisch, sie mangelt nicht an lyrischer Phantasie. Diese Beschreibung hat unter anderen Heinrich Trimmel übernommen, der diese Szene in seiner bisher nicht veröffentlichten Dorfmonographie auch auf Kötsching adaptierte. Sie sind – so das Manuskript – am 11. April 1730 angekommen und auch sie wurden in das Gras „ausgegossen” und der sternhellige Himmel breitete sich über ihnen aus. Teilweise ist diese Beschreibung berechtigt, 1730, als die ersten Kolonisten den Kötschinger Boden betraten, waren unter ihnen höchstwahrscheinlich auch Kistormascher Pioniere.
Die sporadische Besiedlung der Schwäbischen Türkei mit Raitzen, „tótok” (Slowaken/Kroaten) und Deutschen hat sich unmittelbar nach der Vertreibung der Türken in Gang gesetzt. Unmittelbar nach dem Rákóczi-Freiheitskrieg erfolgte die erste großzügige Aktion der Ansiedlung der deutschen Kolonisten, und zwar durch die Aktion von László Dőry, Grundbesitzer in Tevel, der 1714 durch Agentenwerbung Kolonisten aus Baden, aus der Umgebung von Bieberach und aus der Breisgau hereingerufen hatte. Das Experiment ist misslungen, die Deutschen mussten zurück nach Baden gebracht werden. Dőry hat das Experiment nicht aufgegeben, er hat das Unternehmen 1718 wiederholt, diesmal mit Erfolg. János Meszlényi, Grundbesitzer in Jörking/Györköny, hat 1717 aus der Gegend des Neusiedlersees evangelische Deutsche eingeladen, sie waren die Heidebauern oder in der Jörkinger Mundart die „Hepauer”. 1718 hat die Grafenfamilie Wallis auf ihrem Bodenbesitz in Tolnau und in Kokesch/Kakasd Deutsche ansiedeln lassen. Ähnliche Ereignisse sind auch woanders zu beobachten, wie in Majosch/Majos, Kleinmanock/Kismányok, Warschad/Varsád, in diesen Dörfern lebten noch Deutsche geringer Anzahl zur Zeit des „großen Schwabenzuges”. Wahrscheinlich gab es um 1720 auch in Großsäckel, Paksch, Mutschfa/Mucsfa, und Udwo/Udvari eine kleinere deutsche Bevölkerungsgruppe. In der Branau sind Deutsche sporadisch erschienen, und in der Schomodei genauso, aber nur in niedriger Zahl. Nach den Angaben von Johann Weidlein bevölkerten Deutsche auch die Südschomodeier Gemeinde Szigetvár, wo sie mehrheitlich anwesend waren: um 1720 28 deutsche und 26 madjarische sowie serbische Familien bewohnten die Ortschaft. Die frühe Kolonistenwelle hat diese Zeit um 1720 an Ort und Stelle noch wenige Landsleute vorgefunden, mehrheitlich lebten hier noch Madjaren aus dem Tiefland, aus dem Komitat Wesprim und aus Slawonien unvermerkt eingedrungene Serben/Kroaten.
Der bewegende Geist, der große Organisator und gleichfalls der große Nutznießer der Kolonisierung in der Schwäbischen Türkei war aber der Graf Mercy Claudius Florymundus de Argenteau. Ohne seine Bedeutung verhältniswidrig zu vergrößern können wir feststellen, er hat dafür wirklich sehr viel getan, dass in der Schwäbischen Türkei eine deutsche Volkstumskultur viele Jahrhunderte lang emporblühen konnte. In der neuzeitlichen Geschichte Kötschings halten wir ihn – neben der Familie Antall/Antal – für die bedeutendste Persönlichkeit. Nicht zu beeinträchtigen ist aber die Rolle der Familien Styrum-Lymburg aus Simonsturm/Simontornya, der Familie Magyary-Kossa aus Jink, der vorhin schon erwähnten Jörkinger Familie Meszlényi, dann János Monasterly serbischer Herkunft, Ferenc Kun, Besitzer in Majosch und der Familie Peczel aus Bonnhard. Letztere sollen wir auch deshalb nicht weglassen, da ihr späterer Nachfolger Mór Perczel im Freiheitskrieg von 1849 unverwelkliche Verdienste erworben hat.
Mercy stammte aus Elsaß, das ursprüngliche Nest der Familie lag in der heutigen belgischen Stadt Liège, Lüttich. Aus seinen militärischen Fähigkeiten hat er in den türkischen Kriegen Nutzen gezogen, er gelangte in eine hohe Position, er wurde zum „Gouverneur des Banats” befördert Präsident der kaiserlichen und königlichen Ansiedlungskommission. Grundbesitze hat er nicht vom Kaiser mittels der Neoaquistican Kommission in der Tolnau um Hidjeß/Hőgyész bekommen, sondern er hat dieses Gut von dem Grafen Zinzensdorf gekauft. Noch in diesem Jahr hat er mit der Kolonisierung auf diesen frisch übernommenen, ein wenig vernachlässigten Gütern angefangen. Vielleicht die Verdienste als General berücksichtigend hat der Kaiser Karl III. ein Auge darüber zugedrückt, dass er einen Teil der ursprünglich dem Banat zugedachten Kolonisten auf sein Hidjeßer Gut umgelenkt hat, was auch im Falle von Kischtormasch zu beobachten war. Mercy starb in einer Schlacht bei Mantua, die Sachen der Kolonisierung hat sein Neffe übernommen, später hat dessen Sohn diese Angelegenheiten übernommen und weitergeführt. Bis 1773, als die Hidjeßer Grundbesitz an die Familie Apponyi weiterverkauft wurde. Die heroischen Jahre in der Geschichte Kötschings sind hauptsächlich mit diesen historisch wohlklingenden Namen verflochten. Mercy schließt den Ansiedlungsvertrag mit den Kleinmanocker hessischer Herkunft evangelischer Konfession am 22. Juli 1722 ab. Die Ereignisse folgen rasch nacheinander. Die aus dem türkischen Mittelalter zurückgebliebene Faulheit, Uninteressiertheit, Enerviertheit wandelte in fieberhafte Aktivität, deren Folge auch eine unaufhaltsame Expansion in alle Himmelsrichtungen war. Die Wege der schwäbischen Abwanderung um so genannte sekundäre, sogar tertiäre Dörfer zu gründen führten Richtung Norden, bis zu einer natürlichen Grenze. Diese natürliche Grenze bedeutete der Plattensee, ein Hindernis, über das die Kolonistengruppen nicht weitergehen wollten.