Zwei Nationalitäten, eine Region – wenn Slowaken und Deutsche gemeinsam feiern

Von Richard Guth

Es war so wie immer bei mir – ich habe nachts einen Traum gehabt. Gleich morgens rief ich alle Betroffenen an und schilderte meine Idee. Alle sagten zu, die Planungen konnten beginnen”, erinnert sich Zoltán Molnár. Der Traum bezog sich diesmal auf einen slowakisch-schwäbischen Ball – als Zeichen der Verbundenheit beider Nationalitäten. Molnár selbst ist Sinnbild für diese Verbundenheit, denn väterlicherseits stammt er aus einer schwäbischen Familie aus Werischwar/Pilisvörösvár, mütterlicherseits hingegen aus einer slowakischen aus Sande/Santov/Pilisszántó in der Nachbarschaft der 14.000 Einwohner zählenden Kreisstadt. „Ich bin Ungar mit schwäbischen und slowakischen Wurzeln”, so der 40-jährige Musiker, Leiter der Sandemer Blaskapelle Pilišska Kapela.

Während früher die Sandemer noch (wegen ihrer infolge des Kalksteinabbaus weiß verdreckten Arbeitskleidung) wenig schmeichelhaft als Kohlischlowaken bezeichnet wurden und die Werischwarer Schwowen auch umgekehrt wenig Anerkennung von den Sandemern erfuhren, herrscht heute auch nach Molnárs Eindruck ein reger Austausch, was auch oft in Mischehen – oder mittlerweile mehrfachen Mischehen – mündet. Auch die Musik, die die Blaskapellen der Region – ob slowakisch oder schwäbisch – spielen, sei sehr ähnlich – größtenteils böhmischen und mährischen Ursprungs. Auch viele Tänze, die der bekannte und früh von uns gegangene Werischwarer ungarndeutsche Choreograph Josef Wenczl einstudieren ließ, hätten einen ähnlichen Hintergrund.

Beste Basis für den Slowakisch-Schwäbischen Ball, der Mitte November zum zweiten Mal stattgefunden hat. Die Pionierveranstaltung war im Frühjahr 2019 in Sande. „Der Plan war, dass der Ball in dem einen Jahr in Sande, im nächsten in Werischwar stattfinden soll – als eine Art Tradition. Das Pandemiegeschehen machte diese Pläne zunichte und da der zweite Ball im Spätherbst nicht im Bierzelt stattfinden konnte, war der Veranstaltungsort wieder Sande. Aber die Entscheidung fiel auch hier in letzter Sekunde. Wir hoffen, dass der dritte Ball 2022 bereits in Werischwar stattfinden kann”, so Molnár.

Denn auch musikalisch ist die Zusammenarbeit zwischen den beiden Pilisch-Gemeinden eng: So musizieren viele Werischwarer in der vor sechs Jahren gegründeten Hobbykapelle Pilišska Kapela und auch umgekehrt begann die Karriere des Halb-Werischwarers in der schwäbischen Band Donaupower. Wenngleich nach Molnárs Eindruck das Interesse der Jugend am Musikmachen in den letzten 25-30 Jahren insgesamt deutlich abgenommen habe, erfreue sich die Festkultur weiterhin größter Beliebtheit im Kreise junger Menschen. Das bestätigt auch Molnárs Musikerfreund und 5-Dörfler-Mitglied Zoltán Peller aus Werischwar, Gründungsmitglied der Bravi Buam, die 37 Jahre lang eine feste Größe in der ungarndeutschen Musiklandschaft waren. Aber er gibt gleichzeitig zu bedenken: „Bei uns Buam hat man immer den Partycharakter gesehen und nicht die harte Arbeit. Wenn wir zum Beispiel Samstagmittag nach Petschwar runtergefahren sind, um dort bis vier Uhr nachts aufzuspielen – dann wieder zurück, um kurz nach 11 ins Bett zu fallen! Am nächsten Morgen ging dann die Arbeitswoche los. Das tägliche Üben findet die heutige ergebnisorientierte Jugend langweilig. Dennoch finde ich es gut, dass die traditionelle Blasmusik in unserer Region bei Jugendlichen immer noch beliebt ist. Eigentlich motiviert das einen richtig weiterzumachen, unter dem Motto: ,Die Hoffnung stirbt zuletzt‘”. So kamen zu den beiden bisherigen Bällen nach Angaben der Musiker viele junge Menschen aus allen Teilen des Landes, um dem sechsstündigen Ereignis beizuwohnen, wo neben der Pilišska Kapela auch die 5 Dörfler im Wechsel aufspielten, um abschließend ein Musikstück gemeinsam vorzutragen. Der Name „5 Dörfler“ kommt daher, dass die Kapelle aus Musikern besteht, die aus fünf Dörfern stammen, nämlich Edeck/Etyek, Sande, Sóskút, Taks/Taksony und Werischwar.

Der Slowakisch-Schwäbische Ball ist eine gute Initiative. Wir haben strikt nur Polka und Walzer gespielt und an die 250-300 Besucher sind bis zur letzten Minute geblieben. Viele haben eigentlich eine falsche Vorstellung von der Schrammel-Musik, die in den letzten Jahrzehnten stark von dem volkstümlichen Musiker deutscher Abstammung Ludwig „Lagzi Lajcsi” Galambos (Grósz) geprägt wurde. Wir haben dabei etwas angefangen, was es in Ungarn kaum gibt – weg vom ,Schlager‘, weg von der volkstümlichen Musik hin zur traditionellen Musik. Wir wollen Qualität statt Quantität, was viele bei unseren Auftritten nicht verstehen. Dennoch sehen wir eine große Zukunft darin, denn das stößt nach unserem Eindruck auf immer mehr Zuspruch”, erklärt Zoltán Peller.

Der Beobachtungsschwerpunkt der beiden Musiker beschränkt sich nicht nur auf die Musik, sondern auch auf Sprache und Identität, sowohl im Kreise der Deutschen als auch der Slowaken, hier spricht Zoltán Molnár von „ähnlichen Tendenzen”. Zwar sei dieses Erbe „im Blut”, dennoch leben wir in einer „beschleunigten und vermischten Welt, wo sich die Jugendlichen in eine andere Richtung bewegen. Die Region ist Budapest-zentriert und das Internet hat das Englische in den Vordergrund gerückt. Während die Alten wegsterben, wächst eine Generation heran, für die dieses kulturelle und sprachliche Erbe nicht mehr das Gleiche bedeutet. Auch die Intensität der Sprachkenntnisse nimmt deutlich ab.” Das zeigt sich auch am Beispiel des 15 Jahre älteren Zoltán Peller. Er spricht mit seiner 85-jährigen Mutter und seinem Bruder immer noch des Öfteren donaubairisch, aber selbst in seiner Generation sei das nicht mehr Usus, von der der Kinder ganz zu schweigen. Peller nennt dabei ein anderes Beispiel: Ein Musikerfreund von ihm aus Sande sei noch perfekt im Slowakischen, seine Kinder hingegen interessierten sich für dieses sprachliche (und kulturelle) Erbe nicht mehr. „Dies hat meiner Ansicht nach große Auswirkungen auf die Identität, denn viele Kinder ziehen bei uns in Werischwar die Tracht an, weil man es muss, aber was dahinter steckt, erkennen sie nicht mehr, zumal man es ihnen auch nicht richtig erklärt”, so Peller. Auch er sieht dabei die Rolle der vielen Zuzügler kritisch, „wir sind schon sehr aufgeweicht”, sagt er. Ähnlich kritisch sieht der Musiker die Rolle der sozialen Medien, die „vieles zerstören”.

Dass Musik dabei nicht nur die Region verbindet, zeigen die Kontakte der Sandemer Musikgruppe zum Mutterland Slowakei: „Wir pflegen enge Kontakte zu slowakischen und tschechischen Kapellen. Zwei ehemalige Sängerinnen der slowakischen Gloria-Blaskapelle singen sogar bei uns. Es ist auch schon vorgekommen, dass wir von einem unbekannten tschechischen Musiker einen Stapel Noten geschenkt bekommen haben. Nächstes Jahr wollen wir an einem Blaskapellentreffen in der Nähe der slowakischen Hauptstadt Pressburg teilnehmen”, erzählt Zoltán Molnár, der gleichzeitig bedauert, dass man zu slowakischen Kapellen auf der Großen Tiefebene kaum Kontakte pflege.

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