Der Preis des Mandats – Listenführer Emmerich Ritter im Kreuzfeuer öffentlicher Diskussionen

Von Richard Guth

Einen selten gewordenen Schlagabtausch lieferten Mitte Februar – auf Ungarisch, wobei der LdU-Beitrag auf Ungarisch gepostet wurde – Landsleute auf der Facebook-Seite der Landesselbstverwaltung. Vorgestellt wurden im Post die Kandidaten der Deutschen Liste, allen voran die Kandidaten auf den ersten fünf Plätzen, mit Emmerich Ritter als Listenführer.

Lassen Sie uns ein wenig durch die Kommentare stöbern. Wenn man es sich einfach machen würde, dann würde man einen kurzen Dialog zwischen zwei Ungarndeutschen zitieren und es dabei belassen: A: „Ich glaube, Emmerich Ritter hat sein Vertrauen verspielt…” B: „Da liegst du aber daneben!” Denn Zankapfel war die Beurteilung der Tätigkeit von Emmerich Ritter, der als einer mit Managerqualitäten nachweislich Einiges bewegt hat, vor allem auf dem Gebiet der finanziellen Förderung von Nationalitätenaktivitäten, aber der auf der anderen Seite durch sein Wahlverhalten (er stimmte vielen umstrittetenen Gesetzesentwürfen der Regierungsparteien zu) für viel Unruhe in der ungarndeutschen Wählerschaft gesorgt hat. Dabei hat er 2018 keine Katze im Sack verkauft, wie einer der Kommentatoren auch bestätigt: „Ich habe persönlich, mit den eigenen Ohren gehört, 2017-18, in Wahlkampfzeiten, auf zwei verschiedenen Veranstaltungen, dass Emmerich Ritter sagte: „Solange die jeweilige Regierung eine Nationalitätenpolitik verfolgt, die für die Nationalitäten akzeptabel ist, dann werde ich als Abgeordneter die Vorhaben der Regierung bei Abstimmungen unterstützen.”

Ob dies eine vertretbare Position ist, darüber ging es in der Diskussion, so äußerte sich die eine Seite wie folgt: „Er ist ein Ersatzmitglied von Fidesz” oder „Jeder weiß, dass Ritter gleich Fidesz ist”, gar: „Wenn einer bei jeder Abstimmung mit Fidesz stimmt, das kann man nicht falsch verstehen” oder „Ritter soll unter dem Schirm von Fidesz antreten, er vertrat in den vier Jahren diese Partei und nicht die deutsche Nationalität. Nach so etwas werde ich mich auf gar keinen Fall als deutscher Wähler registrieren.” Auch die Gegenseite brachte ihre Argumente vor, wenngleich hier der Fokus auf das von Ritter Erreichte gelegt wird. Dabei wird die Gegenseite, wie in Ungarn üblich, direkt und manchmal sehr deutlich angesprochen: „Dann benötigen die Lehrer nach Ihrer Ansicht (der Ansicht der vermeintlichen Gegenseite, Red.) keine Nationalitätenzulage, die Studenten kein Nationalitätenstipendium, man benötigt keine schulische Nationalitätensonderförderung, keine Bewerbungen usw., weil es darauf ankomme, dass der deutsche Abgeordnete nicht mit der Regierung stimmen soll?” Ein weiterer Kommentator schrieb: „Es ist unter anderen Emmerich Ritter zu verdanken, dass die Nationalitätenlehrer und -erzieher von Jahr zu Jahr mehr Geld erhalten. Er vertritt nicht nur die Interessen der Deutschen, sondern auch die der anderen Nationalitäten Ungarns. Sie sind zufrieden mit ihm. Man soll ihn nicht mögen, aber seine Verdienste müsste man anerkennen können”. Dies wurde auch von einem weiteren Teilnehmer der Diskussionsrunde unterstützt: „Welch ein Glück, dass es einen Emmerich Ritter gibt, der etwas für die Schwaben tut und auch nicht wenig. Und (was macht, Red.) ihr?”

Die Facebook-Diskussion war nicht frei von persönlichen Seitenhieben und es offenbarten sich dabei gesellschaftliche Spaltungstendenzen, die die gesamte ungarländische Öffentlichkeit kennzeichnen. Übergänge, die es früher gab, gibt es kaum noch.

In der aber an sich erfrischenden Diskussion, die eine gewisse Progression aufwies, wurde es deutlich, dass es trotz parteipolitischer Befangenheit Landsleute gibt, die versuchen Brücken zu schlagen oder der Kritik der Gegenseite (wenn es sie überhaupt gibt) wenigstens argumentativ zu begegnen, mit Beispielen aus Gegenwart und Vergangenheit. Allen voran der eingangs zitierte Kommentator in diesem Beitrag: „Er (Emmerich Ritter, R. G.) hatte noch nicht die Möglichkeit dies im Falle einer Regierung anderen Colouers zu beweisen! Ich würde Ihre Kritik akzeptieren, sogar wäre ich der Empörteste, wenn Emmerich Ritter obiges Versprechen (von der Unterstützung von Regierungsvorhaben bei einer akzeptablen Nationalitätenpolitik, R. G.) nichr einhalten würde! (Schreibe ich das unabhängig davon, was meine feste politische Einstellung ist.)”

Auch in diesem Beitrag ist das Bemühen einer Differenzerung erkennbar: „Es ist schnuppe, welcher Partei er angehört oder angehörte, die Vorzugsnationalitätenvertretung ist keine bedeutende politische Kraft. Die richtige Formulierung wäre, dass er mit der Regierungsseite zusammen abstimmt.” Und weiter: „1992 hat das Verfassungsgericht die Verletzung der Verfassung festgestellt, weil es bis dahin nicht gelang die Angelegenheit der parlamentarischen Vertretung der ungarländischen Nationalitäten zu regeln. Dieses verdammt große Versäumnis konnte man auch mit dem Nationalitätengesetz im Jahre 1993 nicht aus dem Weg räumen, sondern erst mit dem Gesetz 203/2011. Der Prozess der Regelung zog sich ganz schön hin. Einen Abgeordneten haben wir, weil wir Schwaben nur wenige sind, lediglich über ein Vorzugsmandat. Ein Beispiel für dieses System ist die Vertretung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Bereits oft war der einzige Vertreter der Dänen bei Regierungsbildungen das Zünglein an der Waage, sie waren auch an der Regierung beteiligt und sie werden und wurden stets von der jeweiligen Opposition beschimpft, weil sie mit der Gegenseite stimmen bzw. gestimmt haben. Bedenken Sie vielleicht, dass die Aufgabe unseres Abgeordneten nicht weltanschaulicher Natur ist, sondern eine Tätigkeit zugunsten unserer Schulen, Kulturgruppen usw., harte Lobbyarbeit. Und so wie in Schleswig-Holstein dies nicht aus den Oppositionsbänken heraus funktioniert, wie sollte es dann diesseits der Leitha funktionieren? (…) Wenn wir das nicht verstehen, sondern nur aus parteipolitischer Motivation heraus diskutieren, dann ist es so, wie es Prälat Walper formulierte: „Jetzt san ma’ wieda’ bei den Ungarndeutschen”.”

Einen interessanten Ansatz verfolgt dabei ein anderer Kommentator, indem er historische Vorgänge thematisiert: „Ich weiß es nicht, ob es Ihnen bewusst ist, welcher Fraktion Jakob Bleyer im Parlament der 1920er Jahre angehörte? Ich verrate es: der der Regierungspartei. Weil es die einzige Möglichkeit war, etwas für das Deutschtum zu erreichen.” Und weiter: „Mir kommt die Geschichte in Erinnerung, als die ungarischen Stände zwei sehr wichtige Rechte gegenüber dem König hatten: die Rekrutierung und die Besteuerung. Der König durfte ohne Zustimmung der Stände keine Steuern eintreiben und erhielt keine Rekruten für die Armee. Die Stände baten im Gegenzug um zwei Sachen, die für sie wichtig waren. War das Erpressung? Nach meiner Ansicht eine Abmachung. Ob es gefällt oder nicht, die Politik ist eine Reihe von Abmachungen, die Suche nach Bündnissen usw. Das nimmt jemand in Kauf oder nicht. Es ist kein Zufall, dass weder Sie noch ich Politiker sind. Und es gibt welche, die es sind.”

Diese Diskussion zeigt, dass parteipolitische Grabenkämpfe auch vor unserer Gemeinschaft nicht Halt machen. Bei allem Respekt für die Funktionsweise der Politik mit Abmachungen und (oft faulen) Kompromissen: Es war höchste Zeit dagegenzuhalten und ein klares Signal auszusenden, dass „der Grundsatz der Parteineutralität im Umgang der LdU mit allen demokratischen Kräften” das politische Handeln bestimmen soll und dass darüber ein offener Diskurs zwischen LdU und dem deutschen Abgeordneten (mit welchem Endergebnis auch immer) stattfinden soll. Es bleibt zu hoffen, dass diese Grundsätze auch ohne klar definierte Sanktionen zur Geltung kommen, sollte es der Gemeinschaft erneut gelingen, einen Vertreter ins Parlament zu entsenden.

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