Schwaben oder nicht Schwaben? – das ist hier die Frage

Von Dr. Beate Márkus

Am 28. Mai erschien auf der populären Jugendseite Svung ein Post mit einem Zitat des Historikers Béla Bellér, wonach „Schwaben wurden sie [die Deutschen in Ungarn – B. M.] in erster Linie nicht genannt, weil ein Teil von ihnen aus dem Schwabenland stammt, sondern wegen der Tatsache, dass die Gebiete südlich von Ofen/Buda von den schwäbischen Truppen von Ludwig Wilhelm von Baden – Türkenlouis – befreit wurden, und so seine Soldaten die ersten Ansiedler wurden.“ In der Kommentarspalte bedankten sich mehrere Leser für den interessanten Hinweis, was jedoch mehrere Probleme aufwirft.

Einerseits ist es so, dass ein Teil der Leser der Seite die dortigen Inhalte ohne Kritik als authentisch akzeptiert. So wäre seitens der Redaktion vielleicht angebracht – wenn sie schon (populär)wissenschaftliche Posts teilen -, darüber zuvor Experten der jeweiligen Themen zu fragen. Andererseits zeigt der Fall deutlich, dass über einige Kapitel der ungarndeutschen Geschichte keine aktuellen Forschungsergebnisse zur Verfügung stehen oder wenn doch, dann wurden diese in das Geschichtsbild der deutschen Gemeinschaft nicht integriert. Das zitierte Werk von Bellér erschien 1981 und trotz der gründlichen und wissenschaftlich fundierten Arbeit des Autors spiegelt es politische und ideologische Erwartungen seiner Zeit wider. In den letzten 40 Jahren wurden Teile des Buchs von anderen Experten in Frage gestellt, überholt oder sogar dementiert.

Das trifft auch für den zitierten Abschnitt zu. Ein konkreter Zeitpunkt, wann sich die Bezeichnung „Schwaben“ in Ungarn verbreitet hat, lässt sich kaum feststellen, allerdings sind dokumentierte Beispiele bereits vor dem 18. Jahrhundert zu finden. Bereits im Mittelalter diente der Begriff „Schwabe” in vielen europäischen Sprachen als Fremdbezeichnung für Deutsche, deren lateinisch-germanische Form „Alemanni“ auch in einem Brief König Adalberts IV. aus dem Jahr 1250 auftaucht.1

Zur Benennung der Deutschen in Ungarn bieten sich heutzutage mehrere Alternativen an. „Schwaben“ und „Ungarndeutsche“ sind wahrscheinlich die Varianten, mit denen sich der Großteil der Gemeinschaft identifizieren kann. Gruppenbezeichnungen sind wichtige Mittel sowohl der Identitätsbildung als auch der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Sie stärken die Kohäsion innerhalb der Gruppe und grenzen die Gruppe von „den Anderen” ab. Gerade deswegen ist „Schwabe” als Kollektivbegriff problematisch, weil sich mit diesem die deutschen Gruppen, die bereits vor den großen „Schwabenzügen” im 18. Jahrhundert hier lebten, kaum identifizieren können. Der Begriff „Ungarndeutsche“ ist ebenso nicht gänzlich problemlos, da dieser konfessionell, historisch, sprachlich und sozial sehr heterogene Teilgruppen undifferenziert subsumiert, die oft nur so viel gemeinsam haben, dass sie auf dem Gebiet (des heutigen) Ungarns leben. In den Quellen und der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts sind zahlreiche weitere Varianten zu finden, die jedoch teils historisch belastet sind („Volksdeutsche“). Andere wurden von der Gemeinschaft nicht angenommen („Deutschungarn“, „Südostdeutsche“, „Donauschwaben“) oder sie sind einfach nicht mehr zutreffend („deutschsprachige Ungarn”).

Mit der Problematik der Benennung deutscher Minderheiten setzte sich das Heft 2/2020 der Zeitschrift „Spiegelungen“ des Münchner Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas mit dem Titel „Konzepte des Kollektiven“ auseinander. Den Fall der Deutschen in Ungarn bearbeitet der international anerkannte Experte Gerhard Seewann. In seinem Beitrag erläutert er die typischen Bezeichnungen der Deutschen in Ungarn und dazu den historischen Hintergrund ab dem 19. Jahrhundert.

In den Quellen von 1867 bis 1918 ist zumeist der neutrale Begriff „ungarländisches Deutschtum“ zu lesen. Dieser berücksichtigt die Heterogenität der Minderheit jedoch wiederum nicht, er war bloß eine Sammelkategorie für deutsche Gruppen im Lande, die miteinander kein Zusammengehörigkeitsgefühl verband. Diese Bezeichnung lebte auch während der Zwischenkriegszeit weiter – u. a. im Namen des von Jakob Bleyer gegründeten Ungarländischen Deutschen Volksbildungsvereins. Ab Ende der 30er fand bereits die Bezeichnung „Deutsche in Ungarn” immer häufiger Verwendung – parallel zu der politischen Mobilisierung der Minderheit. Diese Kategorie spiegelt die von Franz Basch vertretene Vorstellung vom Deutschsein in Ungarn wider, da er die von Bleyer angestrebte deutsch-ungarischen Doppelidentität kategorisch ablehnte.

Der Zusammenbruch 1944/1945 bedeutete wieder eine terminologische Zäsur. Während der Periode der Entrechtung, Verfolgung und Vertreibung wurde die deutsche Minderheit Ungarns sowohl in den amtlichen Unterlagen als auch in der Öffentlichkeit plakativ „Schwaben“ genannt, wobei ein pejorativer Klang nicht zu verkennen ist. Erst in den 1980ern begann eine Liberalisierungsperiode im Sozialismus. Ab etwa dieser Zeit verbreitete sich im behördlichen und offiziellen Sprachgebrauch die Bezeichnung „Ungarndeutsche“, während in der Umgangssprache bis heute oft lapidar nur von „Schwaben“ geredet wird.

Heutzutage können sich alle je nach Herzenslust entscheiden, mit welcher Kollektivbezeichnung sie sich identifizieren können und wollen und ob man sich als „Schwabe“ oder „Ungarndeutscher“ betrachtet und so nennen lässt – unabhängig vom historischen Hintergrund. Ich persönlich sah und las den Begriff „Schwaben“ während jahrelanger Erforschung der Verfolgung 1944/45 in so vielen negativen und pejorativen Kontexten, dass ich diesen Begriff als Fremdbezeichnung problematisch finde. Meine Meinung möchte ich jedoch keinesfalls anderen aufzwingen. Im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs halte ich jedoch die Nutzung einer einheitlichen Terminologie für essentiell wichtig und diese wird erst dann möglich, wenn wir die Bedeutung und den historischen Hintergrund der Begriffe klären und auch kennen.

1 Siehe dazu: Gerhard Seewann: Deutsche, (Donau-)Schwaben, Ungarndeutsche. In: Spiegelungen 2/2020, Jg. 15. 27 – 34, hier

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Bildquelle: wikimedia.org, Autor: GRIPS

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