„Wir wollten nur eine Geschichte erzählen” – Im Gespräch mit Filmregisseur Attila Szász (Ewiger Winter)

Von Richard Guth

Es fing so an: Ich habe mich mit Drehbuchautor Norbert Köbli zusammengesetzt und überlegt, was als Nächstes folgen könnte. Der Filmfonds „Filmalap” hat ein anderes Projekt unterstützt und dann sagte Norbi, dass er eine Filmnovelle von János Havasi (Lánykák, az idő eljárt, R. G.) in der Schublade habe, die man verfilmen könnte”, erzählte der Regisseur Attila Szász im Messenger-Videogespräch über die Entstehungsumstände des mit insgesamt 35 internationalen Preisen prämierten Malenkij-Robot-Films „Ewiger Winter”. Das Drehbuch traf auf wohlwollende Unterstützung des Gulag-Erinnungskomitees (Gulág Emlékbizottság) und so ging es nach Erinnerungen von Szász an die Umsetzung des Filmprojekts. Der 50-jährige Regisseur hat nach eigenem Bekunden keinen familiären Bezug zum Thema, wenngleich Szászs Großvater Kriegsgefangener war.

Wie entsteht ein solcher Film, wollte ich wissen: „Erst einmal muss man Orte und Hauptdarsteller finden, dann steht das Budget. Meist liegt man darüber, aber beim „Ewiger Winter” hatten wir Glück mit dem Drehort: Das Lager war als Kulisse in Fót vorhanden, aber die baufälligen Baracken mussten beispielsweise befestigt werden.” Als größte Herausforderung erlebte Szász den Schnee: „Anfang Januar 2017 gab es, als wir im Freilichtmuseum in St. Andrä/Szentendre waren, einen großen Schneesturm, das Freilichtmuseum verschwand unter einer Schneedecke von einem Meter. Wir hofften, dass das auch in einem Monat der Fall sein wird. Letztendlich mussten wir aber manche Szenen an zwei Tagen in der Niederen und Hohen Tatra drehen, wo gerade noch Schnee lag. Am Ende des Drehtages fing es an zu regnen, so war auch dort die Schneedecke schnell geschmolzen.” Die Schauspieler fand man nach Szászs Angaben schnell, vor allem Starschauspieler Sándor Csányi konnte man nach seinen Angaben schnell engagieren. „Der Rest war wie beim Werkfilm: harte Arbeit, 28 Drehtage, man musste ins Zeitfenster reinpassen”, so der renommierte Filmemacher.

Die Hauptfigur Irén, Irene entnahm man Havasis Filmvorlage, es war seine Mutter, eine Tolnauer Schwäbin. So stellte sich die Frage für mich, warum die Figuren, so auch die beiden Hauptprotagonisten, im Film nicht eine der deutschen Mundarten gesprochen haben. „János Havasi berichtete uns, dass man bei ihnen zu Hause ungarisch gesprochen wurde. Wir haben ja diese Familie ausgewählt. Es war ja wohl so, dass es von Familie zu Familie, Ort zu Ort variierte, welche Sprache man sprach. In der Crew gab es übrigens eine ungarndeutsche Frau, Sandra Holczinger, aus Sitsch/Bakonyszűcs, die seit langem schwäbische Lieder sammelt. Einige dieser Lieder haben wir in den Film übernommen, so singen die Frauen in der Baracke eine der Volksweisen”, erklärte Attila Szász.

Szász und sein Stab wollten „Ewiger Winter” als Kinofilm präsentieren, aber da er vom Erinnerungskomitee unterstützt wurde, lief er in Ungarn als Fernsehfilm – in Rumänien oder Südkorea hingegen wurde der Anfang 2018 fertiggestellte Film in Kinos gezeigt. „Ewiger Winter” hat auch an zahlreichen internationalen Kinofestivals teilgenommen, „um den Kreis zu erweitern”, wie Szász sagte, und gewann unter anderem den EMMI-Fernsehpreis und den Prix Europa; auch in Montreal gewann er einen namhaften Preis. Der Stab mit 70-100 festen Mitgliedern und tageweise bis zu 300 Statisten erhielt vom Gulag-Komitee 420 Millionen Forint (1,2 Millionen Euro) an Unterstützung und profitierte darüber hinaus von der Regelung der 25 %-Steuerbegünstigung.

Bei der Premiere im Jahre 2018 schauten auf Duna TV 140.000 Zuschauer zu, aber schnell tauchte der Film nach Angaben von Regisseur Szász auf diversen Torrent-Seiten auf, was mehrere zehntausend Zuschauer zusätzlich bedeutete. „Ich schätze, dass im ersten Jahr 500.000 Zuschauer den Film gesehen haben. Seit vergangenem Jahr ist er auch auf Netflix zu sehen und war schnell unter den Top 10-Filmen. Darüber hinaus gab es zahlreiche Sondervorstellungen, und auch viele Gymnasien haben Filmvorstellungen für ihre Schülerinnen und Schüler angeboten – zu einigen wurden wir auch eingeladen”, so Attila Szász.

Der Regisseur berichtete im Gespräch von positiven Rückmeldungen, auch die Kritiker hätten den Film positiv aufgenommen und die Themenwahl gelobt, da es der erste Spielfilm in diesem Themenbereich gewesen sei: „Auch das Publikum lobte den Film, man hat wohl einen Hahn aufgedreht, ein Trauma aufgearbeitet, was lange totgeschwiegen wurde.” Er erzählte darüber, dass unter dem Eindruck des Films in den sozialen Medien Familienschicksale aufgeschrieben worden seien und Zeitzeugen und Angehörige auch zu Filmvorführungen gekommen seien. „Ich musste erfahren, dass jede dritte Familie in Ungarn davon betroffen war. Der Film hatte einen gesellschaftlichen Effekt: Man konnte nun endlich seine Geschichte erzählen. Darauf war ich eigentlich nicht vorbereitet. Auch darauf nicht, dass man uns international eingeladen hat, denn auch international war die Verschleppung kein bekanntes Thema! So entwickelte sich das Ganze zu einer Art Mission, obwohl wir eigentlich nur eine Geschichte erzählen wollten.”

Für Laien ist der Einblick in einen unbekannten Bereich wie das Filmgeschäft stets interessant: So wollte ich wissen, wie das Filmgeschäft in Ungarn funktioniert und welche Auswirkungen Corona hatte: Attila Szász berichtete darüber, dass man durchaus Filmprojekte nicht durchbekomme und dass er persönlich schwerpunktmäßig Werbung und kleine Filmbeiträge produziere. In der Covid-Pandemie kam es nach seinem Eindruck zu deutlichen Preissteigerungen (für Material und Personal), dennoch seien ungarische Produktionen international immer noch wettbewerbsfähig. Auch sei es schwierig bekannte Schauspieler zu engagieren, denn sie seien vor Covid viel beschäftigt gewesen. „Als die Theater coronabedingt geschlossen waren, verließen viele die Schauspielerei und haben studiert, um woanders Fuß zu fassen, denn sie erkannten, wie ausgeliefert sie eigentlich sind. Ich persönlich habe durchgängig gearbeitet. In der Covid-Zeit war es einfacher gewesen Leute zu engagieren, jetzt brach infolge der Öffnung von Spielstätten alles über sie herein, darüber hinaus ziehen ausländische Engagements Leute ab, so dass ich Schwierigkeiten habe für kleinere Filmprojekte einen Stab zusammenzubekommen”, ergänzte Regisseur Szász.

Historische Spielfilme werden den aus Szolnok stammenden Regisseur nach eigenen Angaben weiter beschäftigen, denn man hat ein gemeinsames historisches Erbe, dem man gedenken sollte. Besonders freut ihn die Tatsache, dass seinen Film jedes ungarische Gymnasium auf DVD bekommen hat, was Gelegenheit bietet, beispielsweise am Gedenktag der Opfer kommunistischer Diktaturen am 25. Februar jeden Jahres, tragische historische Vorgänge in Erinnerung zu rufen.

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