Magyar módi

Dr. Ágnes Tóth zieht Bilanz über die Nationalitätenpolitik der Nachkriegszeit

Von Richard Guth

Auf diese Monografie* habe ich – coronabedingt – all die Monate erwartungsvoll geschaut. Die Literatur deutschen Schicksals kurz vor dem, während des und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ist reich. Dahingegen wurde die Geschichte der Deutschen in Ungarn in der sozialistischen Ära bislang nur unzureichend aufgearbeitet. Auch auf diesem Gebiet leistet(e) Dr. Ágnes Tóth wahrlich eine Pionierarbeit. Sie widmet sich in ihrem 2020 erschienen Buch der Historie der deutschen Minderheit in den ersten zwanzig Jahren des Sozialismus und beleuchtet zahlreiche Fragen, die für das Verständnis heutiger Vorgänge eigentlich unerlässlich sind.

So lesen wir über den ideologischen Rahmen, in dem sich die Nationalitätenpolitik der Zeit bewegte, über den Umgang mit der Frage des Familiennachzugs (in beide Richtungen) und der freigelassenen Kriegsgefangenen (neu für mich die Information, dass viele ehemalige Volksbundmitglieder nach ihrer Entlassung aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft in Tiszalök interniert waren), über die Demografie und sozioökonomisches Profil der Deutschen in Ungarn sowie über die Schulpolitik und die Tätigkeit des Deutschen Verbandes, mit besonderem Augenmerk auf den Vorsitzenden Dr. Friedrich Wild. Beim Letzteren zeigte sich zwar das erkennbare Bemühen der Verbandsfunktionäre, Veränderungen anzustoßen (durch eine engagierte Kulturarbeit, insbesondere vor Ort in den Gemeinden), aber der Spielraum des Verbandes war so eng – auch aufgrund bescheidener personeller Ressourcen -, dass er keinen tiefgreifenden Wandel – so auch in der Schulfrage – erzielen konnte.

Aber insbesondere das vorletzte Kapitel deutscher Geschichte in Ungarn enthielt für mich ganz bemerkenswerte Erkenntnisse. Ich möchte hier nur einige wichtige hervorheben. So begann der Aufbau deutscher Schulen – gerade im Vergleich zu den Südslawen und den Rumänen – erst viel später, Mitte der 1950er Jahre. Es waren zwei Typen vorgesehen: die rein deutschsprachige (vormals Typ A) und die sprachunterrichtende Form, wo Deutsch in wenigen Wochenstunden unterrichtet wurde. Im Untersuchungszeitraum 1950-70 waren fast alle Schulen sprachunterrichtende Schulen, die Gesamtzahl „deutscher” Schulen lag im Schuljahr 1956/57 beispielsweise bei 119 im gesamten Land, wovon nur drei, jedenfalls auf dem Papier, deutscher Unterrichtssprache waren. Das Innenministerium rechnete aber mit der Existenz von 471 deutschbewohnten Ortschaften in Ungarn. Die Auswahl der „Modellschulen” war willkürlich, dies zeigte sich darin, dass im Falle von benachbarten Ortschaften mit ähnlicher Bevölkerungsstruktur in dem einen Ort der Deutschunterricht eingeführt wurde, in dem anderen hingegen nicht. Es wurden nach Erkenntnissen von Ágnes Tóth große Pläne geschmiedet, wie der Nationalitätenunterricht ausgebaut werden könnte. In den 1960er Jahren nahm deren bescheidene Zahl hingegen sogar ab. Bezüglich des Unterrichts der deutschen Sprache, hier in Bezug auf die Einführung des Deutschunterrichts an ungarischen Gymnasien, merkt Tóth an, dass „die einigen Stunden pro Woche ungenügend sind, um die sprachliche Assimilation zu verhindern, bestenfalls vermögen sie es, den Prozess zu verlangsamen”.

Die Ausbaupläne scheiterten letztendlich an mehreren Faktoren: zum einen an der vorhandenen Angst der Eltern kurz nach den tragischen Ereignissen Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre sowie der Angst, ihre Kinder würden die ungarische Sprache nicht erlernen. Wohlgemerkt spricht auch Tóth von Kindern, deren Muttersprache in vielen Fällen noch deutsch war. Dr. Friedrich Wild erkannte diese Probleamtik auch und bemängelte, dass „solange wir nur isoliert ein-zwei Schulen gründen können, wird es schwierig mit der Entwicklung eines Schulnetzes. (…) Er zeigte Unverständnis, dass es in zahlreichen Ortschaften – Pula, Altglashütte, Ofala, Jod, Tscholnok, Niklo – nicht gelang, deutsche Schulen zu gründen, wo doch praktisch die gesamte Bevölkerung deutscher Muttersprache ist. Deswegen hielt er es auch für denkbar, dass „allgemein oder an bestimmten Orten” der Deutschunterricht verpflichtend eingeführt werden soll. Er argumentierte, dass in der Schule für madjarische Kinder die Auseinandersetzung mit der eigenen Muttersprache auch verpflichtend sei, wovon sie auch nicht befreit werden. Auch mangelte es an ausgebildetem Personal. Zum anderen kommt die Historikerin zum Schluss, dass Pläne der großen Politik oft am Widerwillen der unteren Ebenen (Komitat, Kreis, Kommune) scheiterten, denn diese hätten wenig Interesse am Ausbau des Deutschunterrichts und insbesondere des Unterrichts in der (damals noch) Muttersprache gehabt. Darüber hinaus gab es auch im Ministerium Befürworter und Gegner – dies zeigte sich insbesondere bei einer Entscheidung, die insbesondere die Schulen der anderen Nationalitäten betraf: die Einführung des zweisprachigen Unterrichts an den Schulen mit einer Minderheitensprache als Unterrichtssprache. Es sei deutlich geworden, dass Aufgabe der Schule die Vorbereitung der sprachlichen Assimilation gewesen sei. Dies traf die Schulen wie ein Blitz aus heiterem Himmel und die fehlende fachliche Unterstützung schadete der Angelegenheit des muttersprachlichen Unterrichts nach Tóths Ergebnissen enorm: So zeigte sich, dass die „zweisprachigen Schulen nicht imstande waren, die muttersprachlichen Kompetenzen zu stärken.”

Die Zahl der Schüler im Nationalitätenunterricht nahm infolge der Einführung deutlich ab. Dabei war nach Forschungsergebnissen der Widerstand bei den Jugoslawen am größten und bei den Deutschen am geringsten. Ein zeitgenössisches Protokoll aus dem Jahre 1960 sprach davon, dass „die Einführung der Zweisprachigkeit unseren Kindern die Aneignung sowohl der ungarischen wie auch der deutschen Sprache leichter und sicherer macht”, wodurch unsere Kinder aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht diskriminiert werden sowie „gebot es das Leben so.” Durch die Einführung des zweisprachigen Unterrichts wäre ein lang gehegter Traum der Eltern in Erfüllung gegangen- so das Credo der Protokolle aus 32 Grundschulen und acht Mittelschulen-, was den Erwartungen  des Ministeriums entsprach. Darüber hinaus verfügten die Deutschen – im Gegensatz zu anderen Minderheiten – über keine eigenständigen Schulen, nur über Klassenzüge. Diesbezügliche Bitten des Leiters der deutschen Abteilung in Baaja, Dr. Paul Schwalm, wurden nicht berücksichtigt.

* Ágnes Tóth: Németek Magyarországon.- Budapest 2020 (Verlag Argumentum)

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