Als Antwort auf nachstehende Facebook-Bemerkung von Karl Eichner zum Beitrag „Reisenotizen: Elsass“ (von Richard Guth):
„Wenn ich mich nicht irre, hat auch Jakob Bleyer hier das Herkunftsgebiet seiner Ahnen besucht. Das Elsass hatte damals ja eine recht wechselvolle Geschichte.”
ARTIKEL AUS: Dr. Hans Göttling: Aus Vergangenheit und Gegenwart des deutschungarischen Volkes – UDV 1930, Heimatbuch, Seiten 106 – 108
Dr. Jakob Bleyer:
AHNENVEREHRUNG
Von früher Jugend an heftete sich meine Pietät besonders an den Großvater väterlicherseits. Immer wollte ich von seinen Eltern und Großeltern hören, wie es war, als diese noch lebten. Der Großvater war ein kluger, rechtschaffener Bauersmann, der auch wegen seiner Belesenheit und seines Erzählertalents sich großer Beliebtheit im Dorf erfreute. Er war fast drei Jahrzehnte lang Waisenvater in der Gemeinde und auch sonst ein Mann von Ansehen. Ich war sein aufrichtigster Zuhörer, aber auch der ungeduldigste Frager. „In welchem Haus wohnte Euer Großvater, mein Urgroßvater?“ „In dem ich und dein Andres-Vetter jetzt noch wohnen.“ „Und wo wohnte sein Vater?“ „Im Reich.“ „Im Reich?“ „Ja, in Deutschland.“ In Deutschland, im Reich! Das gab genug zu denken für den übrigen Tag, ich fragte nichts mehr.
Den anderen Morgen zeitlich ging´s zum Großvater. „Und wo im Reich, in Deutschland? Und was war Euer Großvater, der von dort gekommen ist?“ Er sei auch ein Bauernsohn gewesen und habe Georg geheißen, erzählte der Großvater. Da er aber noch einen älteren Bruder hatte, habe er das Schneiderhandwerk lernen müssen, damit die Wirtschaft nicht verteilt werde. Das habe ihm aber nicht recht zugesagt und als der Kaiser nach der Vertreibung der Türken immer wieder deutsche Leute in sein ungarisches Königreich gerufen habe, habe auch er sich als Junggeselle aufgemacht und in der Batschka als Bauer niedergelassen. Er sei so zwischen 1780-1790 aus „Rotterdam an der Mur“ gekommen. „Rotterdam an der Mur“, das merkte ich mir wohl.
Jahre vergingen und ich wurde in die Lateinschule – ins Gymnasium – geschickt. Da sagte mir ein leutseliger Jesuitenpater, einer meiner Professoren, der aus Österreich stammte: „Kind, deine Voreltern müssen aus Tirol eingewandert sein, denn nur dort kommt dein Name vor.“
Tirol? Ja und „Rotterdam an der Mur“? Es war mir schon damals klar, dass sich in die Erinnerung meines Großvaters eine Verwechslung eingeschlichen haben muss. Rotterdam, die weltbekannte holländische Handelsstadt, und die Mur, ein Nebenfluss der heimatlichen Donau – ihre Namen lagen dem Großvater nahe und konnten sich in seinem Gedächtnisse leicht an die Stelle minder bekannter Orts- und Flussnamen einschieben.
Jahrzehnte vergingen. Ich riet hin und her und schrieb auch mitunter dahin und dorthin, doch ohne Erfolg. Da las ich in einem Aufsatze, dass es im Schwarzwald in der Gegend des unteren Laufes der Murg, eines Nebenflusses des Rheins, Bleyer gebe und dass ein Vinzenz Bleyer 1804 aus Michelbach (Amt Rastatt in Baden) nach Russisch-Polen ausgewandert sei. Ich wandte mich an den alten Herrn, der mir nach einigen Wochen in liebenswürdiger Weise antwortete. Hier der Brief:
„Endlich ist es mir gelungen, in der Familienforschung einen sicheren Anhaltspunkt zu finden. Es kam so: Zunächst habe ich eine kurze Notiz über Ihre Familie in die Zeitungen des Murgtals gebracht und habe daraufhin einen Brief der Ochsenwirtin Weiler in Hilpertsau erhalten, welcher mich nach Au im Murgtal verwies.
Im badischen Generallandesarchiv in Karlsruhe habe ich sodann die Urkunden und Akten genannten Dorfes studiert und bin dabei auf die Familie Bleyer gestoßen, die schon um 1750 hier (in Au) ansässig war. Es werden in den 1780er Jahren u.a. Georg und Hansjörg (Johann Georg) Bleyer genannt. Daraufhin reiste ich nach Au, einem idyllisch gelegenen Dörflein von 400 Seelen, im hintern Murgtal zwischen Gernsbach und Forbach gelegen. Hier durchsuchte ich das Gemeindearchiv. Da fand ich nun eine „Pflegschafts- (Vormundschafts-)Rechnung“ aus den 1780er Jahren über die Hinterlassenschaft des Martin Bleyer und seiner Kinder. Diese waren: 1. Joseph Bleyer. 2. Hans Jerg (Georg) Bleyer, der nach Ungarn gezogen (wie es in der „Pflegschaftsrechnung“ heißt), 3. Barbara Bleyer.
Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir in diesem Hans Jerg Bleyer, dessen Beruf und Alter nicht festgestellt werden können, den gesuchten Georg Bleyer ansprechen.
Ferner konnte ich Folgendes feststellen: Martin Bleyer (der wäre Ihr Urururgroßvater) muss ein angesehener Mann gewesen sein: Er war 30 Jahre lang Pflegschafts- (d.h. Vormundschafts-) Rechner oder Waisenrat des Dorfes. Der Bürgermeister führte mich in das Haus, wo er wohnte; es ist ein im Jahre 1707 erbautes, zweistöckiges Fachwerkhaus und macht einen ziemlich vornehmen, fast reichen Eindruck. Auf dem Hause befindet sich ein Türmchen mit einem sagenumwobenen Glöcklein, das von einer geborenen Bleyer gestiftet wurde.
Es wird Sie auch interessieren zu erfahren, dass auch ein zweiter Bleyer nach Ungarn ausgewandert ist. Im Gemeindearchiv befindet sich auch eine Pflegerechnung von 1805/12 „über den zu Fünfkirchen in Ungarn verstorbenen Küfer (Binder) Vinzenz Bleyer von Au.“ Es scheint auch noch ein dritter Bleyer ausgewandert zu sein, denn eine „Anna Maria Playerin“, Kolonistin in Hird (Baranya) forderte 1788 von dem Hauptzollamt in Freiburg in Baden die Ausfolgung ihrer Erbschaft.
Zuletzt eine Bemerkung zu dem „Rotterdam an der Mur“! Zwischen Au und Weisenbach ist ein Hohlweg, genannt die „Rote Klamm“. Sollte das in der Erinnerung Ihres Großvaters gespuckt haben?“
Soweit der Brief. Er machte mir aufrichtige Freude.
Bald darauf erhielt ich ein liebes Schreiben aus der Gemeinde Au. Es ist von den Mitgliedern des Gemeinderats unterschrieben, mit Herrn Bürgermeister Otto Krieg an der Spitze. Man teilt mit: “Die ganze Einwohnerschaft unseres Ortes würde sich herzlich auf Ihren Besuch freuen.“ Einstweilen bitte ich den löblichen Gemeinderat, mit einem warmen Gruß vorlieb zu nehmen. Mit einem warmen deutschen Gruß aus dem schönen, unglücklichen Ungarland. (gefunden von Georg Krix)