Besiedlung des pannonischen Raumes im 18. Jahrhundert – Historikertagung in Wudersch/Budaörs

Bei der Historikertagung am 11. September im Heimatmuseum von Budaörs (Wudersch), veranstaltet von der Deutschen Kulturgemeinschaft Budaörs/Wudersch e. V., der Jakob Bleyer Gemeinschaft e. V. und dem Heimatmuseum Wudersch unter dem Titel „Vor 300 Jahren – deutsche Ansiedlung im Ofner Bergland (1721-2021) vor 80 Jahren – schicksalshafte Volkszählung und ihre Folgen für die Ungarndeutschen (1941-2021)“, wurden folgende Vorträge an die Hörerschaft herangetragen:

10 Uhr: Dr. Mag. Hans Dama (Wien): Realität und Fiktion in Adam Müller-Guttenbrunns Roman „Der große Schwabenzug”

10,40: Prof. Dr. Zoltán Tefner (Kötsche): Die erste Welle. Deutsche Ansiedlung in Ungarn in den 1730er Jahren

11,10 Uhr: Mag. Mária Bencze-Tóth (Wudersch): Die Ansiedlung deutscher Kolonisten in Wudersch, 1721

11,30 Uhr: Dr. Kathi Gajdos-Frank (Wudersch): Die Volkszählung von 1941 und ihre Folgen am Beispiel der Ungarndeutschen

12,00 Uhr: Empfang

13.00 Uhr: Eröffnung der Sonderausstellung: „Wir gehören zusammen“
Es wirkt der Lyra – Singkreis mit.

Moderation: Prof. Dr. Nelu Bradean-Ebinger (Wudersch)

Einleitend präsentierte Hans Dama den Vortrag „Realität und Fiktion in Adam-Müller-Guttenbrunns Roman „Der große Schwabenzug“ (1913), die Besiedlung des pannonischen Raumes durch deutsche Kolonisten und hob hervor, dass der Verfasser in seinem Roman größtenteils die zeitliche Ansiedlung vor dem, während des und kurz nach dem I. Schwabenzug(es) (1722-1726) in der Tod-Not-Brot – Folge also, den karolingischen Schwabenzug veranschaulicht, in die Geschichte hingegen der theresianische, also der Zweite, zwischen 1763-1772, als DER Große Schwabenzug eingegangen ist, der jedoch keineswegs in Guttenbrunns Roman angesprochen bzw. behandelt wird.

Anschließend ging Dama auf die Handlungsschwerpunkte des Romans ein, die a) im heutigen Südwesten Deutschlands, b) im Wiener Raum und c) in der südungarisch-pannonischen Region bzw. im heutigen Dreiländereck Ungarn/Rumänien/Serbien angesiedelt sind.

Anschließend beleuchtet der Referent die Handlung über mehrere Kreise, und zwar über 1) die Trauttmann-Handlung, die sich um die evangelische Familie des aus Bobenheim in der Rheinpfalz stammenden Philipp Trauttmann; 2) über den schwäbischen Kreis um Jakob Pleß und seiner Frau Theres, die aus Blaubeuren aus dem Ulmer Raum kommen; 3) den Wiener Kreis um Hofkammerrat Josef von Stephany, dessen Tochter Lottel, die den Neffen und Adoptivsohn Mercys – Antoine- ehelichen wird.

Zum erweiterten Wiener Kreis zählen auch Prinz Eugen, die Gräfin Lory Strattmann-Batthyány sowie der Wiener Kaiserhof schlechthin; 4) der ungarische Kreis um Baron Parkoczy, seine Frau Helene und deren Mutter Erdödy und die Söhne der Magnaten-Familie Pischta und Andor.

Zu diesem Handlungskreis kann auch der Mohatscher Notar Mártonffy, der als rechtsuchender Jurist dem Baron die Grenzen aufzeigt und die Trauttmann-Familie rechtmäßig belehrt, gerechnet werden. 5) Der Kreis um das Hofmilieu: Kaiser Karl VI., dessen Tochter Maria Theresia und deren späterer Gemahl Franz Stefan von Lothringen.

Den zentralen Angelpunkt der Handlung bildet der 1. Gouverneur des Banats, Claudius Florimund Graf Mercy und „seine“ Festung Temeswar, die Banater Haupt- und Verwaltungsstadt: hier laufen alle Fäden direkt oder indirekt zusammen.

Der Vortragende analysierte im Roman M y t h o s und F i k t i o n gegenüber der Realität: Als Mythos muss die allgemein verbreitete Annahme gelten, wonach das Banat nach den Türkenkriegen weitgehend entvölkert war.

Dazu Griselini, der in seinem Siebenten Brief an Freiherrn Joseph von Brigido, ab 1775 Landesadministrationspräsident im Temeswarer Banat, k. k. Kammerherr, bemerkt: Unter den alten Einwohnern […] Walachen, Raizen, Zigeunern, Bulgaren, Ungarn, Griechen aus Macedonien und den Inseln des ägäischen Meeres, auch Deutsche, Franzosen, Welsche (Italiener), der vielen Juden nicht zu vergessen […] (Gr., 3)

„Unter den kultivierenden Nationen des Banats, sind die Walachen, die zahlreichste“ […]“ (S. 113).

„Es ist wahr, daß die Häuser in ihren Dörfern nur aus Erde, Stroh und Röhricht zusammengefügt sind, allein sie beobachten in ihrer Bauart doch gewisse Regeln, die dem Einwohner gewisse Bequemlichkeit geben[…]“ (S. 228).

Aufschlussreich ist auch der Bericht der „Temeswarer Nachrichten“ vom „Donnerstag, dem 2. May 1771 Nr.3“„[…]die Anzahl der Deutschen erstreckt sich schon mit der Zeit auf etwelche 45.000 Seelen. Die Walachen machen den größten Theil der Bewohner aus. Sie nennen sich in ihrer Sprache Rumâni, das ist Römer, und diese seynd eigentlich die Überbleibsel der von dem Kaiser Marco Ulpio Trajano hierher übersetzten Colonie[…]. (zitiert nach Klein, Franz, S.42).

Auch die Meinung, dass die deutschen Siedler den Weizen- und andere Getreidesorten im südostungarischen Banat heimisch gemacht hätten, wird von Griselini widerlegt: „Auf dem fruchtbarstem Boden, der auch die mindeste Arbeit belohnt, treiben die Walachen diejenigen Zweige der Landwirtschaft, die sie sich zum Gegenstand genommen haben, noch sehr roh und ohne Einsicht. Sie bauen Weizen, türkisches Korn (Kukuruz) verschiedene andere Getreidearten, Hanf, allerhand Wurzeln und Pflanzen an, besonders Tabak, welchen sie Doan nennen. Allein sie pflügen den Acker wenig oder fast gar nicht, denken nicht darauf, den Mist der Thiere als Dünger zu verwenden […]“ (Gr.,228).

Dass die Bodenbearbeitung keiner intensiven Nutzung zugeführt wurde, ist eine andere Sache: Wo die Population gering ist, da liegt auch der Ackerbau danieder und das edelste Geschenk der Vorsicht, ein fruchtbarer Boden, wird vernachlässigt. […] die Einwohner bauten nur so viel an, als für das Bedürfnis ihrer Familie hinreichte […] Viehzucht und Jagd waren in dieser Provinz die Hauptbeschäftigung […]. Daher herrschten auch […] die Liebe zum Herumstreifen, der Geschmack des Müßiggangs, der Hang zu Raub, Verratherei und Grausamkeit.“ (Gr.,151).

Desgleichen auch in Bezug auf die bodenständigen Industriebetriebe: „Denn, daß es ihnen (den Walachen, Anm. HD) nicht an Industrie fehlet, beweist genug das Haus und Wirtschaftsgeräthe, welches man bei ihnen antrifft, und welches alles das Werk ihrer Hände ist […]“(Gr., 229).

Wien war darauf bedacht, auch die nicht-deutschen Untertanen im Banat in Maria Theresia-Bildungssystem einzubeziehen (M. T. führte ja bekanntlich die 6-jährige Schulpflicht ein): […] Zwar hat die erhabenste Monarchin (d. i. Maria Theresia, Anm. HD) […] bereits die Verfügung getroffen, daß in jedem walachischen oder raizischen Dorf eine Schule ist, wo dem Volk raizisch lesen und schreiben gelehret wird[…]“ (Gr., 242).

In den Bereich der Fiktion muss wohl die in geheimer Mission erfolgte Reise des Herzogs Franz Stephan von Lothringen ins Banat verwiesen werden, obwohl Franz Stephan während des Türkenkriegs im Jahre 1738 im Banat war und an der Schlacht von Kornya (4.Juli 1738) als Oberbefehlshaber des kaiserlichen Heeres (ernannt am 12.Dezember 1737) gegen die Türken teilgenommen hatte.

AMG ließ ihn und seine kleine Reisegesellschaft aber bei den „Sieben Churfürsten“ der Therese Pleß in Temeswar absteigen. Weil sie im Süden des Banats eine schreckliche Krankheit – die Pest – vorgefunden, wollte sie so schnell wie möglich zurück nach Wien. Der Neffe und spätere Adoptivsohn des Grafen, Antoine de Mercy, bei den bayerischen Pontonieren zum Hauptmann ausgebildet, kam in Begleitung seines Onkels/Ziehvaters, nach Temeschwar, der ihn, falls er in diesem Klima nicht zugrunde gehe, als sein – Mercys Adjutant – dessen Nachfolge antreten sollte.

Fakt ist jedoch, dass Antoine de Mercy als Generalgouverneur in die Schwäbische Türkei kam und 1767 in Esseg starb.

In einem Gespräch des Graf Mercy mit seinem Adoptivsohn Graf Antoine, vor dessen Reise nach Wien, wirft der Gouverneur die Frage auf, warum der künftige Schwiegervater Antoines, der Hofkammerrat von Stephany, in Wien nicht daran arbeite […] daß dieses Land /Banat/ zu einem selbständigen Fürstentum erhoben wird. Ich frage. Man versäumt da etwas!“ (AMG, 281).

In den Bereich der Fiktion dürfte auch die Einladung Trauttmans an den Grundherrn Parkoczy zum Kartoffelessen verbannt werden: „Das Zeug ist zu essen? Az ebadta, verfluchter Bauer, ich will meine zwanzig Stück davon essen“ meinte der Baron […] (AMG, 323).

Schlussfolgend wies Dama darauf hin, dass der Gouverneur „sein Banat“ in ein künftiges Paradies verwandeln wollte, und im Namen des Kaisers kamen Menschen aus den verschiedensten Teilen Europas ins kaiserliche Neuland, brachten ihre Arbeitskraft, ihr Wissen und ihre Begabungen mit, „[…] die sich Ruhm und Ehre und eine neue Heimat erwerben wollten […]“ (AMG, 274).

Prof. Dr. Zoltán Tefner sprach zum Therma Die erste Welle. Deutsche Ansiedlung in Ungarn in den 1700-1730er Jahren. Der Redner betonte, dass die größtenteils von der Wiener Regierung organisierte und zentral gelenkte Besiedlung des Ungarischen Körigreiches stufenweise und in mehreren Etappen durchgeführt wurde, wobei die größte Einwanderungswelle in das innere Gebiet des Karpatenbeckens nach dem Ende der Türkenherrschaft bzw.nach der Schlacht bei Mohatsch erfolgte.

Bereits gleich nach der Rückeroberung der Ofener Festung in den 1690er Jahren, erschienen die ersten nicht organisierten Truppen, doch die Ansiedlung blieb ohne Erfolg. Erst zwischen 1700 und 1750 gelangten deutsche Siedler aus Hessen, Süddeutschland, Österreich und Sachsen in die nach den Türkenkriegen zum Teil menschenleeren Gebiete Transdanubiens, in einige Gutsherrschaftsgebiete der Ungarischen Tiefebene, in das Banat und die Batschka. Duch diese Ansiedlungen konnte eine wirtschaftlichen Erholung und ein kultureller Aufschwung in diesem Raum verzeichnet werden.

Der Vortragende wies darauf hin, dass die ersten Kolonisten einen gewissen Betrag in Gulden aufzuweisen hattten, der ihnen bis zur ersten Ernte für ihren Lebensunterhalt reichen musste.

Da auch Preußen und Russland um Siedler buhlten, mussten sich die habsburgische Ansiedlungsbestrebungen gegenüber diesen durchsetzen.

Am Ende des 18. Jahrhunderts lebten im damaligen Vielvölkerstaat Ungarn mehr als eine Million Deutsche: Obwohl die Mehrheit dieser in ländlichen Gemeinden lebten und vor allem in der Landwirtschaft tätig waren, bevölkerten viele zunehmend auch die Städte.

Der Referent beschäftigte sich in seinem Vortrag vor allem mit der Dekade 1718–1730 und erörtert die einzelnen Phasen, Standorte, Richtungen, Abwanderungszentren und vor allem die Triebfaktoren und Vorbedingungen, die die deutsche Population in der Urheimat zur Auswanderung bewegten.

In der Schlussfolgerung unterstrich der Vortragenden, dass die Tagungsteilnehmer ein kurzes, aber doch vollständiges Bild über den Besiedlungsvorgang erhalten, mithilfe dessen sie sich in den historischen Vorgängen jener Zeit entsprechend zurechtfinden können.

In ihrem Vortrag „Die Ansiedlung deutscher Kolonisten in Wudersch 1721” stellte Mag. Mária Bencze-Tóth (Wudersch) den ersten Ansiedlungsvertrag vor 300 Jahren vor.

Dabei konnte die Referentin für ihre Arbeit das 2008 erschienene zweisprachige Wuderscher Heimatbuch, veröffentlicht vom Herausgeber, der Deutschen Selbstverwaltung Wudersch, als Quelle nutzen.

Die Vortragende gewährte einen Überblick auf die Ereignisse nach der 2. Wien-Türken-Belagerung (1683), der Rückeroberung Ofens von den Türken (1686) und den Sieg bei Senta (1697) und die 2. Schlacht bei Mohatsch 1687 – also auf die Zeitspanne von 1683 bis 1721 bzw. auf lange Friedenperiode nach dem Sathmarer Frieden 1711, geschlossen zwischen dem habsburgischen Kaiserhof, den ungarischen Ständen und den aufständischen Kuruzzen, sowie die Bemühungen, die zur Verfügung stehenden Kräfte zwecks endgültiger Vertreibung der Osmanen aus Ungarn nach 145 Jahren ein und unterstrich die Leiden der Bevölkerung unter der Fremdherrschaft jener Zeit. Dabei hatte das christliche Europa eine Beispielwirkung.

Die Referentin bezog sich anschließend auf das Impopulationspatent von Leopold I. (1689), auf das kaiserliche Patent von 1690 und auf die Commission de Neoacquistica.

Zur Zeit der ersten Ansiedlung der Deutschen in der Ofner Gegend wurden auch andere Siedler – Ungarn, Slowaken und Serben angesiedelt. Anschließend wurde auf die Privatkolonisation des Grafen Peter Zichy und den ersten Ansiedlungsvertrag, den seine Gattin, Gräfin Susanna Zichy, geb. Bercsényi, mit den deutschen Aussiedlern geschlossen, unterzeichnet am 24. April 1721 eingegangen. Dieser Ansiedlungsvertrag enthält 15 Punkte; die Pflichten, aber auch die Begünstigungen sind konkret genannt. Dieses Dokument zeigt, wie aus einem verwüsteten Gebiet dank unermüdlichen Leistungen eine Kulturlandschaft entstehen konnte.

In ihrem Vortrag zum Thema „Die Volkszählung von 1941 und ihre Folgen am Beispiel der Ungarndeutschen” hob die Referentin Dr. Kathi Gajdos-Frank hervor, dass im Jahre 1941 in Ungarn mit Hilfe des Zentralen Statistischen Amtes unter der Führung des Statistikers Lajos Thirring, eine Volkszählung durchgeführt wurde.

Im ersten Teil ihres Vortrags sprach die Referentin über die Geschichte des Statistischen Amtes und über die Volkszählung von 1941, während sie im zweiten Teil die Folgen dieser Volkszählung am Beispiel der Ungarndeutschen, über die Gesetzverletzungen, Gesetzbrüche erläuterte.

Zwecks Präsentation genauer statistische Angaben über die Ethnien der Trianon-Gebiete benötigte die zweite Teleki-Regierung bei der späteren Friedenskonferenz genaue Informationen über die Bevölkerung Großungarns. Auf den Volkszählungs-Formularen des Jahres 1941 schien neben der „Muttersprache” auch die Frage der „Nationalität“ auf. Anfang 1945, wurde die Verarbeitung der statistischen Angaben weitergeführt.

Die Referentin unterstrich, dass im Dezember 1945 die Verordnung über die Vertreibung der ungarndeutschen Bevölkerung nach Deutschland verabschiedet wurde. was der Statistiker Thirring am 15. Januar 1946 wie folgt kommentierte: Mit den Aufgaben, Zielen und Grundprinzipien des Statistischen Amtes in einem kaum überwindbaren Gegensatz steht diese Vorgehensweise, denn die ehrlichen Antworten der in bestimmten Fällen nicht gegen sondern eher für die ungarische Nation kämpfenden ungarischen Staatsbürger mit deutscher Muttersprache werden genau gegen sie verwendet, obwohl das Statistische Amt ihnen bei der Volkszählung von 1941 versichert hatte, dass ihre Angaben ausschliesslich für Statistiken verwendet werden.

Die Rednerin betonte, dass das Statistische Amt nicht lange auf die ’Reaktion’ der politischen Polizei warten musste. In ihrer Zusammenfassung wurde darauf hingewiesen, warum man bei den Statistiken, die zwischen 1945 und 1989 erstellt worden sind, nie sicher sein kann, ob diese auch der Wahrheit entsprächen.

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Im Anschluss wurde die Sonderausstellung: „Wir gehören zusammen“ des Künstlers Jakob Forster unter Mitwirkung des Lyra – Singkreises eröffnet, die sich großen Interesses erfreute.

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