Von San.-Rat Dr. Johannes Angeli
Vorwort
So manches kann der Mensch erleben, wenn er über 80 Jahre alt wird, lebte er aber in den letzten acht Jahrzehnten, dann umso mehr. Umso mehr auch, wenn er als Auslanddeutscher vertrieben wurde und schließlich aus der DDR geflohen in der BRD wieder eine neue Heimat gefunden hat. Vor Jahren hat mein damals 12-jähriger Sohn gelangweilt gestöhnt: „Ach Papa, bei dir war wenigsten noch was los.” Da konnte ich nur antworten: „Du weißt doch gar nicht, wie glücklich Du sein kannst, in dieser guten neuen Zeit leben zu können.” Keineswegs handelt dieser Rückblick – um mit Goethe zu sprechen – um „Dichtung und Wahrheit“, sondern um Wahrheiten aus den „Erinnerungen eines Ungarndeutschen“.
Gern hätte ich mir auf so manche mir aufgezwungene Ereignisse lieber verzichtet, aber die Weltpolitik und ihre Folgen haben den kleinen Mann, hier den kleinen 10-jährigen Jungen mitgerissen, ob er wollte oder nicht. So wurden viele meines Namens aus dem kleinen ungarndeutschen Dorf vom Winde verweht, vom Winde der Weltgeschichte in alle Himmelsrichtungen.
Wie es mir erging, will ich aus der Sicht eines kleinen Junges, eines Jugendlichen, eines Familienvaters, und schließlich als zurückblickender Rentner aufschreiben – aufschreiben für die, die Ähnliches durchlebten, die uns vielleicht nur verstehen wollen oder gar nur für die Enkel unserer Zeit und unserer Familien.
Teil 4: Integration in der neuen Heimat (Teil 3 ist in Nr. 1/2021 erschienen)
Im vergangenen Teil 3 habe ich geschildert, wie die vertriebenen Isszimmerer in der neuen, deutschen Umgebung aufgenommen wurden, welche Vorurteile sie erfahren mussten und welche gesellschaftliche Stellung sie anfänglich einnahmen, gleich wo sie damals in der SBZ angesiedelt wurden. Sich gegen diese Diskriminierung zu stemmen, sich den neuen Herausforderungen zu stellen, war die große Aufgabe für die nächsten Jahre.
Sie war auch für die Alten und Jungen, für die Erwachsenen und Kinder oft ganz unterschiedlich. In Abwandlung des Spruches der deutschen Einwanderer vor Jahrhunderten nach Ungarn, könnte man schon zusammenfassend sagen: Die erste Generation fand Not und Tod, die zweite Generation Lohn und Brot, aber erst die dritte Generation die Integration in der neuen Heimat.
Schon allein bei der Überschrift zum vierten Teil habe ich gezögert, ob ich nicht „Integration in der neuen Umgebung” schreiben müsste, denn die Heimat für uns Vertriebene war noch über viele Jahre Ungarn und viele Ältere lebten von der Hoffnung, dorthin wieder zurückkehren zu können.
Wir fanden ja bei unserer Ankunft, drei Jahre nach dem unseligen Krieg schon festgefügte Strukturen vor, die Flüchtlinge aus Osteuropa waren schon fest eingebunden und nun kamen weitere „Hungerleider” und „Brotkonkurrenten” hinzu.
Kein Wunder, dass so manche Familie aus Isszimmer in den nächsten Jahren ihre paar Habseligkeiten packten und in die BRD flohen und gar von dort aus in die USA auswanderten.
Tröstlich für viele Isszimmerer waren die Kontakte untereinander, die sie sowohl vor Ort als auch im weiten Umkreis noch über Jahrzehnte aufrechterhielten, wie ich sie schon im Teil 3 für die wichtigen Anfangsjahre schilderte. Der umfangreiche Briefverkehr nach Ungarn zur Verwandtschaft riss nie ab, ja nahm kuriose Formen an. Da man sich ins „sozialistische Bruderland” keine Päckchen, geschweige denn Pakete schicken konnte, trafen bei uns eigentümliche rote Briefe, Briefe mit Tütchen mit gemahlenem Paprikapulver ein, die natürlich teilweise geplatzt waren. Noch wertvoller waren Briefe mit Zigaretten, die allerhand Tauschmöglichkeiten boten. Wie schon erwähnt, waren die Herausforderungen für die Erwachsenen und Kinder teilweise sehr unterschiedlich. Wenn ich allein an meinen Vater denke: „Zu Hause” ein selbständiger Bauer, Herr über Hof und Feld, wurde er jetzt zum Industiearbeiter, ja wegen fehlender Qualifikation zum Hilfsarbeiter in der naheliegenden Chemiefabrik Leuna degradiert. Sprachliche Schwächen (siehe Teil 1 und 2) und kulturelle Gewohnheiten führten nicht selten zur Ausgrenzung bis hin zu Mobbing (würde man heute neudeutsch sagen). In Lützen die Wohnenge (siehe Teil 3), kein Feld oder gar Garten, ja selbst das Gras der Straßengräben hatten ihre Pächter. Berührung mit dem früheren Leben, mit Feld und Acker hatten wir ja nur, wenn wir Ähren lesen oder Kartoffeln „stoppeln” gingen. Das war dann der Urlaub für die Erwachsenen und für uns Kinder die Ferienzeit.
Überhaupt drehte sich das Sinnen und Streben in diesen „Hungerjahren” für die Erwachsenen wie für die Kinder ständig um das Organisieren von Essbarem. Auch für das nötige Heizungsmaterial mussten alle Quellen „angezapft” werden. Im Gelände der Lützener Zuckerfabrik waren große Halden an Braunkohle aufgeschüttet. In der Dämmerung schlichen wir Kinder – für Erwachsene war es wegen Strafanzeige zu riskant – durch die Absperrung und füllten hastig mit bloßen Händen unsere Rucksäcke – dass wir danach wie Kohlengrubenarbeiter aussahen, kann man sich sicherlich leicht vorstellen.
Zu unserem Glück wohnten meine Großeltern in der noch voll im Betrieb befindlichen Obermühle von Lützen, der eine gutgehende Bäckerei angeschlossen war. Dort halfen wir dem Bäcker, die Brotformen und die Brote hin- und herzutransportieren – zum Lohn gab es dann ein (!) dunkles Brötchen.
So mancher Trick führte sogar zu mehr! Wie spielten im Hof und Garten mit dem kleinen Jungen des Mühlenbesitzers. Nach gewisser Zeit sagten wir, wir müssen nach Hause, weil wir so hungrig sind. Da stürzte der Kleine in die Küche des Hauses und brachte belegte Brote und, wenn ein besonders guter Tag war, Kuchen aller Art (Kuchen, den wir nur von Worten her kannten) angeschleppt – im Nu hatten wir heißhungrig alles verschlungen.
Wie schon erwähnt war in Lützen eine Zuckerfabrik, wohin im Herbst die Bauern der Umgebung mit Traktoren und mehreren offenen Anhängern randvoll mit Zuckerrüben beladen, ihre Ware hinlieferten. Wir Kinder lauerten wie Jagdhunde in Kurven und Straßeneinmündungen versteckt auf den Rübentransport, stürzten uns auf die fahrenden Hänger und rissen herunter, was wir an Rüben zu fassen kriegten. Oft saß aber auf dem Hänger der Bauer oder sein Knecht mit einer langstriemigen Peitsche und schlug nach rechts und links heftig ein, aber wie ein Rudel hungriger Wölfe machten wir immer gute Beute, Sinn des Ganzen: Aus den geriebenen Rüben würde nach stundenlanger Köchelei ein schwarzer, dicker Satz gewonnen, ein willkommener, süßer Brotaufstrich (vgl. unsere erste Erfahrung bei der Einquartierung in Lützen, siehe Teil 3).
Man könnte noch einige andere Beispiele dieser Art anführen, so den nächtlichen (!) Einstieg ins Erdbeerfeld der Gärtnerei über die Friedhofmauer, unser Robben in die Gemüdefelder (u. a. Möhren, Kohlrabi, grüne Erbsen), um den scharfen Blicken mit dem Fernglas des damals fest angestellten Feldhüters zu entgehen, der uns immer wieder mit seinem Fahrrad nachstellte.
Manch einer wird heute warnend den Zeigefinger erheben, aber der Hunger trieb die Kinder der Nachkriegszeit zu diesem Mundraub. Das waren aber auch später herangewachsen diejenigen, die mit viel Engagement und Energie das kriegszerstörte Deutschland in Ost und West („Wirtschaftswunder”) wieder aufbauten.
Nach Jahren dieser Entbehrungen ging es endlich langsam aufwärts. Wir bekamen eine größere Wohnung (zwei Zimmer und eine Wohnküche) und zur großen Glückseligkeit der Eltern einen Schrebergarten und eine kleine gepachtete Feldparzelle; endlich hatten sie wieder ein Gefühl eigene Erde unter den Füßen zu haben, und wir hatten Obst und Gemüse aus eigenem Anbau.
Mein Vater machte viele freiwillige Arbeitseinsätze in diesem Gartenverein, was ihm die Ehrennadel eintrug – aber was für uns noch wichtiger war, die Anerkennung der neuen Umgebung. Gartenfeste und Gartenfeiern waren nun für uns die Highlights der beginnenden neuen Zeit.
Auch die Katholische Kirche war ein wichtiges Sammelbecken der meist katholischen Flüchtlinge und Vertriebenen aus Ost- und Südosteuropa. Dort ergaben sich weitere Möglichkeiten der Annäherung und Kontaktaufnahme. Ich wurde wieder Messdiener, das ich schon ein Jahr in Ungarn war. Die älteren Messdiener organisierten Treffen, Ausflüge, Fahrten und sportliche Aktivitäten (Fußball, Tischtennis), kurzum die Eingliederung, speziell der Jüngeren, ging gut voran.
Auch bei meinem Opa Stefan kam der einstige Bürgermeister wieder durch. Kontaktfreudig wie er war, kannte ihn bald die ganze Straße, auch durch Einsätze, Nachbarschaftshilfe (Wein- und Obstschnitt, Kaninchenschlachten – Schlachtemeister war er ja schon immer, nur waren es in Isszimmer Schweine und Kälber); „Opa Angeli” allseits genannt, war wohlbekannt, selbst auf dem sonntäglichen Fußballplatz, wo sich oft alle männlichen Familienmitglieder einfanden.
Überhaupt Fußball! Unsere ganze männliche Verwandtschaft, wir Kinder bis hin zu unseren Vätern, Onkeln und Cousins, traf sich am Wochenende im Lützener Wald-Park auf der großen runden Wiese zum Fußballwettstreit untereinander. Da wurde, oft fern erlaubter Regeln, mit gemischten Mannschaften mit so einer Leidenschaft gegeneinander gebolzt, dass am nächsten Tag so mancher vor Muskelkater und blauen Flecken nicht laufen konnte. Bald hieß es in der Stadt: „Die Ungarn spielen wieder Fußball im Park!” und sofort stellten sich Zuschauer und Bewerber unter den Einheimischen ein. Sport einigt die Völker und bringt die Nationen friedlich zusammen – war das nicht mit Recht eine olympische Losung!?
Keinesfalls habe ich die Schule und uns als Schüler auf dem Weg der Integration vergessen, aber separat lässt sich der Ablauf chronologischer darstellen.
Nicht nur aller, sondern auch dieser spezielle Anfang war schwer. Ich wurde trotz meiner fast zehneinhalb Jahre wegen meiner schlechten Sprachkenntnisse wieder in die erste Klasse zurückgestuft. Da stand er nun da, der lange, dünne Lulatsch zwischen den kleinen Erstklässlern, verstand nichts, wurde verlacht wegen seines Dialekts, wenn er den Mund aufmachte; am besten nichts sagen und nichts verstehen. Wörter, die wir glaubten, in Deutsch zu kennen, waren oft sinnentstellend. Ein Beispiel: Ich stand vor dem Postschalter und sagte: „Bitte einen Stempel für 80 Pfennige!” Der Postbeamte: „Wir verkaufen doch keine Stempel!” Ich war sprachlos, der Beamte unbeweglich, bis endlich eine Frau aus der Warteschlange fragte: „Junge, was willst Du denn damit?” „Na, für den Brief nach Ungarn”, stotterte ich. Erleichterndes Gelächter der Anwesenden, ich bekam meine Briefmarke, die im Isszimmerer Jargon eben Stempel hieß, und schlich betröppelt davon.
Wie ich in die zweite Klasse versetzt werden konnte, ist mir noch heute ein Rätsel. Da aber die Zahlen und die mathematischen Grundregeln in Ungarn wie in Deutschland ja gleich waren, bekam ich aber Auftrieb. Beim täglichen Wettrechnen der Erste, begann mein Selbstvertrauen und Ehrgeiz zu wachsen. Deutsch machte auch gute Fortschritte, begünstigt dadurch, dass wir, d. h. ein etwas jüngerer Isszimmerer und ich, im katholischen Unterricht der Kirche ganze Textpassagen des Katechismus auswendig lernten und ständig gegenseitig abfragten. Alles lief nach dem Motto: „Den Deitschen (Isszimmerer Sprachjargon) werden wir es zeigen!”
Es begann eine rasante Aufholjagd mit dem festen Ziel, meine schulische Alterstufe wieder einzuholen. Ich übersprang Schulklassen halb- und ganzjährig und schloss die Acht-Klassen-Grundschule nach vier Jahren (und zwei Monaten) so gut ab, dass ich anschließend auf das Lützener Gymnasium (damals Oberschule genannt) gehen konnte. Nur um es zu verdeutlichen: Wir begannen zum Beispiel gerade in der fünften Klasse mit der neuen Fremdsprache Russisch im Unterricht, da verkündete der Klassenlehrer: „Angeli, Du gehst ab morgen in die Klasse 6a!” Das bedeutete, dass ich nun in Russisch fehlende Grundkenntnisse, in Mathematik die komplette Bruch- und Zinsrechnung oder in Deutsch – nur um die essentiellen Schulfächer zu nennen – die wichtigsten grammatikalischen Grundregeln selbstständig nebenbei nachholen musste – einen Nachhilfeunterricht kannte man damals nicht und Eltern, die helfen konnten, hatte ich ja auch nicht.
Mit dieser Schilderung soll niemand gelobt werden, sondern es soll aufgezeigt werden, dass man auch über den gängigen Schulweg zur Integration finden, ja, was hierüber sogar am effektivsten sein kann.
Mit der weiteren Schilderung meines Schulwegs will ich aus meinen Erfahrungen und Erlebnissen verdeutlichen, wie das so genannte sozialistische Schulsystem der DDR einen tiefgreifenden Einfluss auf jeden Schüler ausübte, wie es die Schüler in seinem Sinne zu formen versuchte, um den so genannten neuen, sozialistischen Menschen zu schaffen. Sehr gut und authentisch geschildert von Dietrich Garstka in „Das schweigende Klassenzimmer” (List-Verlag) besonders für Leser, die noch näher das Schulsystem der DDR in diesen 1950er Jahren kennen lernen möchten (siehe auch weiter unten).
Die Stadt Lützen hatte eine Internat-Oberschule, d. h. die große Mehrzahl der Schüler/innen kam aus der nächsten und weiteren Umgebung, waren in einem alten Rittergut (die Jungen) und in einer ehemaligen Gaststätte (die Mädchen) ziemlich einfach in Kost und Logie untergbracht und hatten nur alle vier Wochen ein Heimfahrtwochenende.
Wir Schüler aus dem Ort hatten es besser, da wir von zu Hause aus in die Schule, ein ehemaliges Gerichts- und Gefängnisgebäude, gehen konnten. Insgesamt war es ein kleines, übersichtliches Gymnasium mit einem vorzüglichen, jungen Lehrerkollegium, das sehr gut jeden Schüler kannte, da es regelmäßig nachmittags in den Internaten zur Aufsicht eingeteilt war. Überhaupt hatten wir nette, persönlich sehr zugängliche Lehrer, die meisten noch relativ jung, so dass sie mit uns pubertierenden Jünglingen recht verständnisvoll umgehen konnten. Kurios und eigenartig war es mir dann schon, als ich in späteren Berufsjahren manchen in Behandlung hatte. Hier in Nordhessen traf ich meinen hierher ausgereisten Deutsch- und Lateinlehrer wieder und unsere Familien wurden enge Freunde mit viel nostalgischen Gesprächen und lustigen Erinnerungen an unsere alte „Penne” (Schule), nun noch ergänzt mit so manchen interessanten Infos aus dem Lehrerzimmer unserer damaligen Zeit.
Vergleiche hinken ja bekanntlich, aber kurz auf einen Nenner gebracht (auch aus den Schulerfahrungen meiner Kinder in der BRD): In den Schulen der DDR gewichtete man die naturwissenschaftliche, in der BRD die sprachliche Ausbildung besonders stark.
Durch die tagtägliche innere wie äußere Konfrontation mit den politischen Zuständen in der DDR war auch besonders auffallend die gesellschaftspolitische Bildung und politische Reife eines jeden DDR-Schülers; sie waren viel höher und intensiver als wir es hier in der „alten” BRD bei Gleichaltrigen erleben und auch bei unseren Azubis feststellen konnten.
Die politische und gesellschaftliche Einflussnahme auf den Schulbetrieb in der DDR war von der ersten bis zur 12. Klasse (Abiturjahrgang) unvergleichlich hoch und wer dem ausweichen oder opponieren wollte, hatte es sehr schwer bis hin zur Ausgrenzung. Wenn dazu das Gymnasium noch von einem fanatischen, stalinistischen Direktor, wie zu meiner Zeit in Lützen, geführt wurde, waren die Auswüchse und Repressalien erschreckend.
Im Folgenden will ich mir durch einige Beispiele anschaulich fassbar machen, was einem heute unfassbar erscheint. Schon am 17. Juni 1953, dem Tag des Volksaufstandes – ich war gerade am Ende der Abschlussprüfungen der Grundschule –, fiel mir ein auffällig gut gekleideter Mann auf, der sich eilig durch die Menge der Protestierenden auf dem Marktplatz von Lützen zwängte mit der Bemerkung: „Jetzt kommen die Ratten aus den Löchern!” Vom Rathausfenster aus machte er dann Fotos, die als Beweismittel so manchem Lützener später langjährige Gefängnisstrafe einbrachten.
Ab September des gleichen Jahres hatte ich dann über vier Jahre genug Zeit, diesen doktrinären, politisch fanatischen, jeglicher vernünftiger Argumentation unzulänglichen Typen kennen zu lernen. Als Schüler der Oberschule (Gymnasium) der DDR – und erst recht bei diesem Schuldirektor – war die Mitgliedschaft in der FDJ (Freie Deutsche Jugend) und in der GST (Gesellschaft für Sport und Technik) geradezu obligatorisch.
In den FDJ-Versammlungen war die politische Bildung unter der Dominanz der Staatsdoktrin der DDR bestimmend. Die GST war unter dem Synomym „Sport und Technik” bewusst irreführend, weil sie im eigentlichen Sinne nur eine getarnte vormilitärische Ausbildung zum Inhalt hatte. Anordnungen wie „freiwillige” Ernteeinsätze, zum Beispiel in den Herbstferien bei der örtlichen LPG zur Rüben- oder Kartoffelernte, kann man ja aus Sicht des kostenlosen Schulbesuchs noch verstehen, weniger vielleicht noch, wie es die Privatbauern früher ohne unsere Hilfe schafften, ihre Ernte rechtzeitig einzubringen. Wer aber als Gymnasiast von Straßenobstbäumen zum Beispiel Äpfel entwendete, wurde wegen Diebstahl sozialistischen Eigentums von der Schule verwiesen.
Als evangelischer Pfarrersohn lud er öffentlich in Lützen ein zur Diskussion über die Rolle der Religion und Kirche. Wir Schüler der oberen Klassen waren als „Saalfüller” natürlich verpflichtet, daran teilzunehmen. Letztendlich hatten wir aber einen überraschenden Spaß, weil ein junger Mann aus Lützen auch teilnahm, der mit stichhaltiger Argumentation Direktor H. vollkommen in die Enge trieb. Da ja bekannterweise diktatorische Typen nicht diskutieren und argumentieren können, wusste sich der Herr unserer Schule nicht mehr zu helfen und beantragte, diesen korrekt auftretenden Diskutanten per öffentliche Hand-Abstimmung des Saales zu verweisen. Unter den strengen Blicken des Herrn Direktors hoben wir betont langsam und missmutig die Hände für diesen miesen Antrag. Nun waren wir wieder unter uns und sozialistisch 100-prozentig einig.
Wie weit es mit seiner politischen und sozialen Uneigennützigkeit her war, kann man auch bei ihm, wie bei so vielen großmäuligen Genossen bis hin zur Regierungsspitze (siehe Siedlung Berlin-Wandlitz), erkennen: Als die Firma des erfolgreichen Steinmetzmeisters von Lützen verstaatlicht und sein schönes neugebautes Einfamilienhaus aus bei den Haaren herbeigezogenen Gründen konfisziert wurde, hatte Direktor H. nichts Eiligeres zu tun, als darin skrupellos einzuziehen – ja, wie schrieb der Dichter Heinrich Heine ein Jahrhundert zuvor: „Öffentlich predigen sie Wasser, heimlich trinken sie Wein.”
Die fachlichen Fähigkeiten des Direktor H. als Geschichtslehrer waren auch so gut wie seine Diskussions(un)fähigkeit. Damit wir Schüler nicht merken sollten, dass er nur aus dem Geschichtsbuch vorlas, durfte kein Geschichtsbuch auf unserer Bank liegen. Obendrein begründete er seinen Vorlesungsstil damit, uns so auf die Vorlesungen an den Universitäten vorzubereiten (!?). Was politisch in seine geschichtliche Betrachtungsweise nicht hineinpasste, ließ er einfach entgegen dem Lehrplan aus, so zum Beispiel den amerikanischen Unabhängigkeitskampf gegen England oder den Krieg der Nord- gegen die Südstaaten der USA. Dafür umso mehr Kampf der Arbeiterbewegung oder die Pariser Kommun. Als er über die Niederschlagung der Letzteren referierte – mit Tränen in den Augen laut Mitschüler – macht mein Nachbar eine lustige Bemerkung, so dass ich grinsen musste. Da schmiss er sein Buch hin und brüllte mich an, damit lasse ich meine politische Einstellung erkennen – jegliche Erklärungsversuche waren unmöglich. Bei mündlichen und schriftlichen Vorträgen und Prüfungen durfte, um keinen Notenabzug zu bekommen, keinesfalls der von uns so genannte „politische Blumentopf” fehlen, d. h. welche Lehren ziehen wir aus den geschichtlichen Ereignissen für die Gegenwart. Das zu realisieren bei Themen wie Mittelalter, Interregnum, römische Geschichte u. a. bedurfte schon eines gewaltigen Spagats an Einfallsreichtum bis hin zur Lächerlichkeit.
In der 11. und 12. Klasse hatten wir Schüler auch noch besonderes Pech. Jeweils in den Ferien flüchteten unsere Klassenlehrer in die BRD. Im Rahmen einer Art Selbstkasteiung und um sein Gesicht vor der Kreisschulleitung zu wahren, übernahm Direktor H. zusätzlich diese Klassenleiterfunktion – unsere Begeisterung kannte keine Grenzen!
Los ging es gleich damit, dass sich möglichst alle Jungen – wir waren auf seine Initiative hin eine reine Jungenklasse – zur beruflichen Offizierslaufbahn verpflichten sollten. Erklärend muss man hier hinweisen, dass die DDR erst nach dem Mauerbau am 13. 8. 1961 die allgemeine Wehrpflicht einführen konnte, da man sonst noch mehr junge Flüchtlinge in Richtung BRD „produziert” hätte. So wurden wir wiederholt in meist wöchentlichen Abständen einzeln ins Direktorenzimmer zitiert. Dort saßen wir dann dem Direktor und einem Major Auge um Auge gegenüber und beide zogen alle Register, um uns zu dieser Verpflichtung zu überreden. Der Erfolg war aber sehr dürftig, denn schlussendlich hat nur ein Schüler von uns an der „Angel angebissen” – ein ziemlich mittelmäßiger Schüler, der es aber leicht zum Major in der nach 1961 gegründeten Volksarmee brachte; er genoss damals viele Privilegien (Verdienst, Wohnung u. a.) und genießt seit der Wende eine gute Offiziersrente. (Nicht wegen Neid, nur zum philosophischen Denkanstoß: Meine monatliche Rente für 27 Jahre DDR-Zahnarzt reicht gerademal um mit der Hälfte der Gesamtsumme meine Krankenversicherung momentan bezahlen zu können – da könnte man schon ins Grübeln kommen; erst recht aber diejenigen Mitschüler, die nach dem Abi ein langjähriges Studium im Ingenieurswesen und anderen hochqualifizierten technischen Berufen auf sich nahmen, aber im langersehnten vereinten Deutschland auf Grund des neueinsetzenden wirtschaftlichen Umbruchs schnell arbeitslos waren und oft wegen ihres Alters ohne Perspektive dastanden.)
Sicher ist schon deutlich geworden, dass ich ein besonders gespanntes Verhältnis zum Direktor H. hatte. Mit den Jahren mutierte ich langsam aber sicher zu seinem „Lieblingsschüler”, dem sein besonderes Augenmerk galt. In den ersten beiden Schuljahren hatte ich noch Ruhe vor ihm. Da ich ja Lützener war, kamen ihm örtliche Vorkommnisse zu Ohren. Als mein Onkel Béla bei der „Republikflucht” (in die BRD) erwischt wurde und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, stellte er komische Fragen und mein 65-Mark-Schulstipendium wurde gestrichen. Dass ich fast täglich vor dem Schulunterricht aus der katholischen Kirche (Messdiener) kam, war – trotz Religionsfreiheit in der DDR – schon suspekt, zumal sich in der Kirchengemeinde ein lebendiger Jugendkreis (siehe oben) etabliert hat.
Während des Ungarnaufstandes 1956 wollte unser Gegenwartskunde-Lehrer (wie erwähnt, wir waren nur Jungen in der Klasse) die aktuellen Ereignisse mit Verdrehungen und Unwahrheiten der staatspolitischen Doktrin getreu darstellen und nahezu aufzwingen. Da aber mein Vater allabendlich den freien Sender Radio Budapest im Original mit großer Empathie und oft mit Tränen in den Augen hörte und mir dolmetschte, war ich sowohl ebenso ergriffen als auch direkt genau informiert. Als der linientreue Lehrer gar behauptete, dass die Aufständischen nur über die österreichische Grenze eingeschleuste Saboteure und Agenten seien und sich dabei anschreibend zur Schultafel umdrehte, sagte ich, von so viel Lügnerei gereizt, laut in den Raum hinein: „Da müssen sie aber viele eingeschleust haben!” „Wer war das?”, drehte er sich sofort fragend um. Großes Schweigen, alle duckten sich weg; ich – ziemlich erschrocken – natürlich auch. In der folgenden Schulstunde hatten wir ausgerechnet beim Direktor Geschichtsunterricht und sofort war dieses Vorkommnis Thema, allein schon deshalb, weil alle Staatsfunktionäre nach dem Volksaufstand 1953 in der DDR nichts mehr fürchteten als das eigene Volk und dessen selbstständige andere Meinung. Eigenartig schnell sagte er aber auch: „Wenn sich hier auch keiner freiwillig meldet, wir wissen schon, wer der Zwischenrufer war!” – und erstaunlicherweise beließ er es auch zukünftig dabei.
Ende 2020 lief im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) der BRD der Film „Das schweigende Klassenzimmer” nach dem gleichnamigen Buch von Dietrich Garstka. Hierin schildert der Autor authentisch seine Erlebnisse, als seine Abiturklasse in Storkow bei Berlin nach der Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1956 nach geheimer, gemeinsamer Absprache in der nächsten Geschichtsstunde eine 5-minütige Schweigeminute einlegten. Das führte zu einem riesigen Skandal an der Schule; Partei und Kreisschulamt wurden eingeschaltet, aber trotz Verhöre und Drohungen aller Art – selbst der Volksbildungsminister der DDR, F. Lange, kam persönlich (!) vorbei und stellte nach Beschimpfungen sein letztes Ultimatum – waren die Rädelsführer nicht zu ermitteln. Niemand wurde zum Verräter. Schlussendlich erklärte der Bildungsminister (!) der DDR alle Schüler der Klasse zu Staatsfeinden und alle wurden zum Abitur nicht zugelassen. Schließlich flohen 15 Schüler und eine Schülerin nach Westberlin, die Grenzmauer war ja noch nicht errichtet, und legten gemeinsam in der BRD ihr Abitur ab. Als schließlich die meisten Eltern mit Geschwistern der Schüler auch noch wegen der nun einsetzenden Repressalien flohen, hatte die DDR nicht nur 16 Schüler verloren!
Jetzt erst, nach so vielen Jahren, wurde mir richtig bewusst, in welcher Gefahr ich mich durch diesen emotionalen Zwischenruf damals befand. Oder – der Gedanke ist nicht abwegig – hatte der Direktor unserer Schule, der sonst rabiat mit Schulverweisungen vorging, aus Bedenken wegen seiner politischen Reputation in der Partei (SED) und Schulamt gegenüber, kein Interesse an einem öffentlichen Skandal? Oder hatte er gar Kenntnis von dem Vorfall am Gymnasium in Storkow, der dem dortigen Direktor das Amt kostete? Die DDR-Medien schwiegen natürlich darüber, nur die einzige „Lehrerzeitung” der DDR berichtete in einem kleinen Absatz, während es in den westdeutschen Medien nach der Flucht der fast gesamten Klasse (außer vier Mädchen) ein Riesenthema war.
Eine weitere Episode: Jeden Montag früh war vor dem Jugendinternat mit den Schüler/innen aller Klassenstufen in Reih und Glied anzutreten zum Hissen der DDR-Fahne unter Trommelwirbel und zum Verkünden der Wochenlosung. Wir Lützener mussten natürlich auch dabei sein, was ich, nicht automatisch durch den Internatablauf wie die Internatschüler erinnert, des Öfteren vergaß. Gleich ob ich keuchend noch hinrannte oder resiginerend gleich im Klassenzimmer blieb, sofort forderte der Direktor von mir Rechenschaft. Die wahre und naheliegendste Erklärung wurde natürlich nicht akzeptiert, sondern laut und deutlich die alte Keule, das zeige meine politische Einstellung, ausgepackt.
Soviel Borniertheit verleitet geradezu zur Revanche! Nächsten Montagfrüh ging ich zu meinem Hausarzt – Magenprobleme hatte ich ja kontinuerlich – und dann in aller Ruhe in die Schule. Vor versammelter Schulklasse wurde ich vom Direktor H. sofort aufgefordert zu erklären, warum ich wieder beim Appell gefehlt hätte. Ich stammelte bewusst etwas erschrocken: „Ich war beim Arzt, bei Dr. D.!” Daraufhin verließ er sofort die Klasse und stürmte hinaus – ich wußte ja, jetzt ruft er beim Arzt an – und alle Mitschüler sahen mich erschrocken an. Nach kurzer Zeti kam er wieder und begann, als ob nichts gewesen wäre, mit dem Unterricht. Aber nicht so mit mir! Ich meldete mich und fragte ganz frech, ob er denn beim Doktor angerufen habe. Nun aber stammelte er ein leises „Ja, ist gut!” Gut war aber gar nichts, der Kleinkrieg ging weiter.
Geschichte war seit eh und jeh eines meiner Lieblingsfächer (noch heute zählt neben meinem Garten die Geschichtsliteratur zu meinen Hobbys). Geschichtslehrer H. wollte mir, natürlich aus all den oben genannten Gründen, keinesfalls die Note 1 geben und so zerrte er mich trotz Notenschnitt 1,3 in die mündliche Abiturprüfung. Während alle anderen Fachlehrer fair ihre Prüfungsthemen zu Prüfungsbeginn ziehen (losen) ließen, gab es von ihm vorbestimmte, personengebundene Themen, die er zur Prüfung dem jeweiligen Schüler überreichte. Sofort war mir klar, du bekommst Arbeiterbewegung. Und als er vor der Abiprüfung alle Themenkomplexe wiederholte, aber einen bewusst ausließ, war mir noch klarer, das wird dein Prüfungsthema!
Es gab bei den vielen Prüfungen in meinem Leben kaum eine, wo ich so zuversichtlich hineinging, bestimmt aber keine, wo ich so sicher war, mit der Bestnote herauszukommen. (Übrigens, das Thema war: „Die deutsche Arbeiterbewegung 1923 bis 1933 und welche Lehren für heute ziehen wir daraus.”) Das einzig Belastende war, dass ich ausgerechnet als erster Prüfling die mündliche Abiturprüfung an unserer Schule eröffnen musste, belastend deshalb, weil in der großen Aula neben allen Lehrern, dem Schuldirektor H. und dem Prüfungskommissar vom Kreisschulamt sämtliche Honoratioren der Stadt Lützen (u. a. Bürgermeister, Stadtverordnete, Leiter der Volkspolizei, LPG-Vorsitzender) zur Eröffnung geladen waren – ein voller Saal von über 40 Personen und ich mit Stuhl und kleinem Tisch einsam davor.
Am Schluss denke ich schon, dass ich durch diesen gelungenen Prüfungsauftritt nicht nur gegen den Willen des Direktors H. meine Note 1 in Geschichte verteidigt habe, sondern damit endgültig – und das ist ja unser Thema – die Integration der Angelis und der Ungarndeutschen in Lützen vor so vielen Lützenern deutlich machen konnte – immerhin waren wir neun Jahre zuvor noch die „ungarischen Zigeuner”!
Von diesem Tag an war der Herr Direktor H. wie ungewandelt mir gegenüber; ich stieg in seiner Gunst, das war echt unangenehm; er sprach freundlich und zugänglich mit mir – konnte ich ihn wirklich so getäuscht haben (um nicht vera… zu sagen)?
Was aber immer noch nicht in seinen politischen Scheuklappenhorizont hineinpasste – und deshalb fragte er ungläubig mehrmals bei mir nach – war die Tatsache, dass ich als einer der Wenigen (zwei oder drei Schüler der Klasse) direkt zum Studium immatrikuliert wurde, ohne vorher die fast obligatorische und ideologisch geforderte eins-zwei Jahre Arbeit (billige Hilfskräfte) in der „sozialistischen Produktion” in irgendeinem Großbetrieb ableisten zu müssen.
Falls noch von Interesse: Direktor H. trieb seinen politischen Fanatismus so auf die Spitze, dass Elternbeirat unter der Führung der örtlichen Ärzteschaft ein Jahr später seine Versetzung erreichte, natürlich wie bis heute üblich bei diesen Typen, „nach oben” in das Institut für Lehrerbildung, dort konnte er dann endgültig sein „Vorlesen” halten. Dieser politische Druck, den dieser Schuldirektor auf uns Jugendliche ausübte, erreichte im Endeffekt das strikte Gegenteil. Er führte bei den meisten von uns, bei mir aber ganz eindeutig, zu einer lebenslangen politischen Antihaltung gegenüber der diktatorischen kommunistischen Ideologie – eine Erkenntnis, die von Pädagogik und Erziehungswissenschaft schon immer gelehrt wurde und nach wie vor gilt.
Nun aber genug über uns Schüler in der Phase der Integration, schauen wir wieder zurück, auf die allgemeine Entwicklung der Gesamtheit der Isszimmerer Ungarndeutschen. Je älter die erwachsenen Personen waren, umso stärker blieb die Bindung untereinander erhalten und wurde durch zahlreiche gegenseitige Besuche auch gepflegt, während sich die Kinder und Jugendlichen immer mehr und immer schneller in die neue Gesellschaft eingliederten.
Für die Erwachsenen waren die langersehnten Reisen (natürlich visumspflichtig) nach Ungarn, nach Isszimmer zur Verwandtschaft und deren Gegenbesuche Anfang der 1960er Jahre endlich wieder möglich. Das waren die Highlights für meine Eltern, auf die hin das ganze Jahr geplant und gespart wurde. Nun waren sie wieder Halb-Ungarn und Halb-Deutsche, also Ungarndeutsche oder besser Deutschungarn.
Ereignisse wie den Ungarnaufstand 1956 verfolgte mein Vater mit Tränen in den Augen am Radio (siehe oben). Aber auch ich war noch 1954 ein großer Fan des ungarischen Fußballs und litt sehr unter der Niederlage der ungarischen Traumelf im WM-Endspiel von Bern gegen Deutschland. Noch heute kenne ich die Namen der damaligen ungarischen Spieler und war hocherfreut, als ich Anfang der 90er Jahre Ferenc Puskás (eigentlich Franz Purczfeld, Red.) bei einem Journalisten-Treffen in Rotenburg an der Fulda (Nordhessen) treffen und ein Autogramm erhalten konnte. Wie tief der Schmerz dieser unglücklichen Niederlage nach immerhin 66 Jahren bei mir immer noch sitzt – obwohl ich inzwischen ein glühender Fan des deutschen Fußballs und der deutschen Nationalmannschaft bin – zeigten sich in den letzten Monaten, als in den Medien anlässlich des 100. Geburtstages des damaligen deutschen Spielführers, Fritz Walter, Reportagen und Dokumentarfilme liefen. Viel emotionaler kann heute auch kein ungarischer Fußballfan dieser einmaligen ungarischen Traumelf nachtrauern.
Wie kann das sein? Hatte das Land Ungarn uns nicht enteignet, vertrieben und unserer Heimat beraubt?
Wo der Mensch geboren wurde, wo seine Ahnen gelebt haben und begraben liegen, dorthin wird er innerlich immer verbunden bleiben, selbst wenn er sich über Jahrzehnte immer mehr davon löst, indem er sich in der neuen Umgebung integriert, wird diese innere Verbundenheit nie ganz verloren gehen – das habe ich in über 80 Jahren nicht geschafft und werde, ja, will es auch nicht bis zu meinem Lebensende schaffen.
Darüber hinaus sind wir und bin auch ich stolz darauf, wie erfolgreich die Eingliederung der Vertriebenen aus Isszimmer in der neuen Heimat gelungen ist, sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands und darüber hinaus, wie ich es von Schulkameraden aus Isszimmer persönlich weiß, auch u. a. in den USA. Die Generationen nach uns werden nur über mündliche Überlieferung über diese dramatischen Umwälzungen erfahren und nie mehr so empfinden können wie wir, die es erleben mussten. Darum das Wichtigste aufzuschreiben und zu dokumentieren und damit weitergeben an Söhne und Enkeln, sehe ich deshalb als unsere vorrangige Pflicht, auch unseren Müttern und Vätern, unseren Ahnen gegenüber.
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Suchanzeige – neuester Stand der Ahnenforschung (24. 2. 2023)
Franziscus Xaverius Angele, der Stammvater aller Angele/i von Isszimmer/Isztimér, wurde am 06. 11. 1730 in Sulmingen bei Biberach geboren. Als Eltern sind Joannes Georgius Angele und Catharina Nüsser/Niesser im Kirchenbuch angegeben. Deren Heirat und sonstige Daten konnten im Ursprungsgebiet aller Angele/i bisher nicht gefunden werden, vor allem die Anbindung an die dortigen bis 1405 dokumentierten 16 Angele-Hauptstämme des Risstales. Erbitte Hinweise unter johannes-angeli@gmx.de.