Laudatio zur Zuerkennung des Suevia-Wissenschaftpreises an Dr. Ágnes Tóth am 12. Oktober 2020 im Lenau-Haus in Pécs/Fünfkirchen.
Von Dr. Johann Till
Es sind gut 30 Jahre her, als ich zum ersten Mal Frau Dr. Ágnes Tóths Name im SUEVIA-Jahrbuch der Deutschen aus Ungarn las und ihr persönlich auf einer Tagung in Deutschland begegnete. Etwa zur gleichen Zeit las ich auch zum ersten Mal den Text des Protokolls der Allparteienkonferenz, die kurz vor der Potsdamer Konferenz der Siegermächte im April 1945 in Budapest stattfand.
Was haben Ágnes Tóth, die Potsdamer Konferenz der Sieger des 2. Weltkrieges und die Allparteienkonferenz von 1945 mit unserem heutigen Ereignis hier zu tun? Warum fiel mir, wo wir die Historikerin Ágnes Tóth ehren wollen, spontan dieser Kontext ein?
Wenn ich an die jüngere Geschichte der Ungarndeutschen und an deren schleppende korrekte Aufarbeitung von 1945 bis in die Vorwendezeit denke, fallen mir einige Historikernamen ein, deren diesbezügliche Veröffentlichungen zum wichtigen Teil meines historischen Wissens wurden. Im Geschichtsunterricht, geschweige denn aus den Medien erfuhren wir damals über unsere Geschichte fast gar nichts. Deshalb war ich, als ich die deutschsprachige Erstveröffentlichung des Protokolls der Allparteienkonferenz las, emotional elektrisiert.
Alles, was bis dahin von den maßgeblichen politischen Machthabern, den linientreuen Historikern und den medialen Meinungsbildnern über 40 Jahre nach der Vertreibung in unserem Land bestimmt und als dogmatische Wahrheit vorgegeben wurde, brach wie ein Kartenhaus, wie ein schiefes Lügengebäude in sich zusammen. Das viel beschworene Potsdamer Diktat der Sieger zur Vertreibung der Ungarndeutschen wurde als eine Potsdamer Legende entlarvt (wie es Béla Bellér trefflich formulierte). Das Ereignis, die Veröffentlichung des Protokolls fast 40 Jahre nach der Vertreibung, wurde zum historischen Moment des dann beginnenden Paradigmenwechsels in der ungarischen Aufklärung der Vertreibungsgeschichte. Ágnes Tóth hatte wesentlichen Verdienst an dieser Entwicklung. Geist und Diktion der Protokolle bedeuteten für viele – auch für mich – Bestürzung. Bestürzung wegen dem Ausmaß und der Unerbittlichkeit, mit der alle Parteien und fast alle maßgeblichen geistigen und politischen Akteure die Schuld für die Katastrophe, die auf unser Land nach der Kriegsniederlage hereinbrach, auf die Schwaben schoben und lautstark ihre kollektive Bestrafung forderten. (Ein hetzerisches Verdikt von vielen: „Zugrunde gerichtet haben uns die vaterlandsverräterischen Schwaben“”, wie es Monsignore Béla Varga (P. Kleinlandwirte) damals in seiner Brandrede auf seiner Wahlveranstaltung am zentralen Platz von Fünfkirchen lauthals verkündete.)
Das Allparteien-Protokoll wurde von der damaligen Ketschkemeter Komitats-Archivarin Ágnes Tóth veröffentlicht, nachdem es 40 Jahre der Öffentlichkeit vorenthalten wurde. Mit den Intentionen des Protokolls wurde jener böse Geist aus der Flasche gelassen, indem dann ein halbes Jahr später vom Ministerrat der ersten frei gewählten Nachkriegsregierung die kollektive Vertreibung der deutschen Bevölkerung beschlossen und nur vier Wochen später mit der Ausführung begonnen wurde.
In unser ungarndeutsches historisches Blickfeld trat Ágnes Tóth mit der Entdeckung und Veröffentlichung des Protokolls der Allparteienkonferenz. Es war ein mutiger Schritt von der jungen Historikerin! Die Veröffentlichung wurde zur initiativen Wegmarkierung für die nachfolgende Geschichtsschreibung im Kontext des Ungarndeutschtums. Für uns bleibt dieser historische Markstein mit dem Namen und der Person von Ágnes Tóth verbunden. Ebenso mit der vor einigen Jahren von ihr herausgegebenen und vorbildlich aufbereiten (im Grunde zweisprachigen) Quellensammlung zur jüngeren Geschichte der Deutschen in Ungarn. Ein wichtiges, längst fälliges Werk! Viele andere ihrer Publikationen hierzu könnten aufgeführt werden.
Die SUEVIA PANNONICA – Vereinigung Ungarndeutscher Akademiker e.V. Heidelberg würdigt mit ihrem Wissenschafts-Preis Frau Dr. Ágnes Tóth für ihre Lebensleistung in der Erforschung der jüngeren Geschichte der Ungarndeutschen. Durch ihr beharrliches Bemühen und ihr ausgewogenes Suchen nach der historischen Wahrheit und Gerechtigkeit hat sie sich verdient gemacht. Dafür sprechen wir ihr unsere Anerkennung und unseren Dank aus.